Leitsätze
2333
Reichweite der Anwendbarkeit der Verfahrensgarantien der RL 2004/38/EG auf Ausweisungsverfügungen gegenüber nicht mehr nach der RL Aufenthaltsberechtigten
Leitsätze
I. Ein drittstaatsangehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers fällt nicht mehr in die Definition des "Berechtigten" iSd Art 3 Abs 1 RL 2004/38/EG, wenn der Unionsbürger zunächst von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und dann alleine wieder den Aufnahmemitgliedstaat verlässt, sodass der drittstaatsangehörige Familienangehörige dort verbleibt. II. Der Verlust der Eigenschaft als "Berechtigter" iSd Art 3 Abs 1 RL 2004/38/EG hat aber nicht zur Folge, dass der Betroffene gänzlich aus dem Anwendungsbereich der RL fiele. Vielmehr kommen auf ihn im Falle seiner Ausweisung von Art 15 RL 2004/38/EG bezeichnete Verfahrensgarantien zur Anwendung. Dies betrifft nicht jene Garantien, die sich auf Ausweisungen beziehen, welche unter Bezugnahme auf die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ergehen. III. Insb die Art 27 und 28 RL 2004/38/EG, die für Ausweisungen besonders strenge Maßstäbe in Form einer qualifizierten Gefährdung statuieren, kommen auf die in Punkt I genannten Personen nicht zur Anwendung. Denn sie beziehen sich nur auf Personen, die im Genuss eines Aufenthaltsrechts nach der RL sind, sei dieses vorübergehend oder dauerhaft. IV. Eine Ausweisungsverfügung, wie sie gegenüber den in Punkt I genannten Personen ergehen kann, darf gemäß Art 15 Abs 3 RL 2004/38/EG nicht mit einem Einreiseverbot einhergehen.
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Entscheidungsdatum: 10.09.2019
Aufbereitet am: 09.08.2021
2332
Einreiseverweigerung und Aufenthaltsbeendigung wegen Gefährdung der "öffentlichen Ordnung" durch Drittstaatsangehörige (Art 6 Abs 1 lit e VO (EU) 2016/399)
Leitsätze
I. Die negativen Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige hinsichtlich des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten gemäß Art 6 Abs 1 VO (EU) 2016/399 erfassen über ihren Wortlaut hinaus auch den weiteren Aufenthalt von maximal 90 Tagen. II. Die negative Voraussetzung des Art 6 Abs 1 lit e VO (EU) 2016/399, wonach der Drittstaatsangehörige keine Gefahr für die "öffentliche Ordnung" eines Mitgliedstaats darstellen darf, ist deutlich weiter zu verstehen als andere Bezugnahmen des Unionsgesetzgebers auf diesen Rechtsbegriff. Insb erfordert dieser Tatbestand nicht die Feststellung, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Folglich können die Behörden eines Mitgliedstaats bereits bei Straffälligkeit des Drittstaatsangehörigen auf diesen Tatbestand zurückgreifen. Dabei müssen sie aber indes verhältnismäßig vorgehen. III. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Punkt II) wird dabei nur entsprochen, wenn die in Rede stehende Straftat ihrer Art und drohenden Strafe nach schwer genug ist, um die sofortige Beendigung des Aufenthalts zu rechtfertigen. Zum anderen bedarf es für eine solche Entscheidung, wenn noch keine strafgerichtliche Verurteilung ergangen ist, übereinstimmender, objektiver und eindeutiger Indizien, die den Verdacht stützen, dass der betroffene Drittstaatsangehörige eine solche Straftat begangen hat.
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Entscheidungsdatum: 12.12.2019
Aufbereitet am: 23.07.2021
2331
Berücksichtigung einer Behinderung bei Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG verfassungsrechtlich geboten
Leitsätze
I. Der VfGH hat in VfSlg 20.282/2018 darauf hingewiesen, dass gemäß § 11 Abs 3 NAG trotz Nichterfüllung der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit der Aufenthaltstitel zu erteilen ist, wenn dies aufgrund des Art 8 EMRK geboten ist, und dabei betont, dass auch eine Behinderung einen Umstand darstellen kann, der gemäß § 11 Abs 3 NAG als Aspekt des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen ist. II. Wenn das LVwG für seine Entscheidung auf fehlende Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers abstellt, weil er keine Initiative zum Erlernen der deutschen Sprache zeige und von sich aus keine Kontakte zu Selbsthilfegruppen oder sozialen Einrichtungen suche, ohne sich dabei mit der amtsärztlichen Feststellung auseinanderzusetzen, dass es dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, sich Deutschkenntnisse auf B1-Niveau anzueignen, und ohne darauf Bezug zu nehmen, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund seines Gesundheitszustandes nur schwer möglich ist, die Wohnung zu verlassen, übersieht das LVwG die durch Art 7 Abs 1 dritter Satz B-VG gebotene Bedeutung der Behinderung des Beschwerdeführers für die Auslegung des Art 8 EMRK und damit des § 11 Abs 3 NAG.
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Entscheidungsdatum: 24.11.2020
Aufbereitet am: 22.07.2021
2330
Erfordernis eines positiven Interesses der Republik Österreich bei Ausstellung eines Fremdenpasses
Leitsätze
I. Für die Ausstellung eines Fremdenpasses muss neben dem Interesse des Fremden auch ein positives Interesse der Republik Österreich bestehen, wobei ein restriktiver Maßstab anzulegen ist. II. Die Darlegung von Gründen, wie die Möglichkeit zu Reisen ins Ausland bzw die Erlangung einer Arbeitsstelle sind jedenfalls nicht geeignet, um ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses darzutun.
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Entscheidungsdatum: 19.01.2021
Aufbereitet am: 21.07.2021
2329
Gebot der Beiziehung eines gleichgeschlechtlichen Organwalters und Dolmetschers bei Geltendmachung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
Leitsätze
I. Soweit ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, ist er von einem Organwalter/einer Organwalterin desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. II. Unabhängig von der Frage der Glaubwürdigkeit des Vorbringens ist daher zunächst zu überprüfen, ob das konkrete Vorbringen einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung bedeutet.
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Entscheidungsdatum: 22.01.2021
Aufbereitet am: 20.07.2021
2328
Vorliegen von Asylrelevanz aufgrund bloßer Angehörigeneigenschaft - Sippenhaftung von Familienmitgliedern
Leitsätze
Soweit der Grund der Verfolgung bereits in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers – somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (wie etwa der Familie) – liegt, kann diesem Umstand bereits Asylrelevanz zukommen.
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Entscheidungsdatum: 19.01.2021
Aufbereitet am: 19.07.2021
2327
Keine Lageänderung in Bezug auf den Sudan, die eine Aberkennung subsidiären Schutzes rechtfertigen könnte
Leitsätze
I. Für die Heranziehung des § 9 Abs 1 Z 1 zweiter Fall AsylG (Aberkennung des subsidiären Schutzstatus, weil dessen Zuerkennungsvoraussetzungen "nicht mehr vorliegen") ist eine unionsrechtskonforme Interpretation des Tatbestands im Lichte von Art 19 Abs 1 iVm Art 16 Abs 2 RL 2011/95/EU angezeigt. Dies bedeutet bei ursprünglicher Zuerkennung des Schutzes wegen der Lage im Herkunftsstaat, dass sich seither die maßgebenden "Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden". In der Terminologie des BVwG kommt es dabei darauf an, ob sich die Umstände seit der Status-Zuerkennung "wesentlich und nachhaltig geändert" haben. II. Auch bei prekärer Sicherheitslage kommt eine Aberkennung unter Bezugnahme auf eben diese Lage in Frage, wenn der subsidiär Schutzberechtigte bis zu seiner Ausreise unbehelligt in der fraglichen Region gelebt hat und seine Angehörigen dies nach wie vor tun. III. In Bezug auf den Sudan ist die Versorgungslage derartig prekär, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art 2 oder 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK ausgesetzt sein kann. IV. Hinsichtlich des Punktes III hat sich im Sudan seit 2019 nichts nachhaltig zum Positiven verändert, vielmehr traten weitere Verschlimmerungen hinzu.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2021
Aufbereitet am: 16.07.2021
2326
Eigenständiger Unterhaltsbegriff bei selbstständigen Künstlern
Leitsätze
Gemäß § 43a Abs 1 Z 2 NAG soll eine "Niederlassungsbewilligung - Künstler" nur jenen selbstständigen Künstlern gewährt werden, deren künstlerische Tätigkeit eine gewisse Intensität erreicht; dies nimmt der Gesetzgeber an, wenn der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt ist. Da § 43a Abs 2 NAG die Abgabe einer Haftungserklärung für zulässig erklärt, bleibt - wird eine Haftungserklärung für einen selbstständigen Künstler abgegeben - hinsichtlich der Intensität der Tätigkeit lediglich zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist. Im Zuge dieser Prüfung ist auch zu klären, ob besondere Gründe vorliegen, die im Rahmen des - bei § 43a Abs 1 Z 2 NAG bestehenden - Spielraumes zu berücksichtigen sind.
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Entscheidungsdatum: 24.11.2020
Aufbereitet am: 15.07.2021
2325
Unverhältnismäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft bei nicht durch den Betroffenen zu verantwortender Verzögerung der Abschiebung
Leitsätze
Soweit aufgrund der derzeitigen Lage nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann, ist die Fortsetzung der Schubhaft nicht mehr verhältnismäßig, wenn überdies der Sicherungszweck auch durch Anordnung eines gelinderen Mittels erreicht werden kann.
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Entscheidungsdatum: 22.12.2020
Aufbereitet am: 14.07.2021
2324
Refoulementwidrigkeit der Rückführung eines wegen Drogenproblemen psychisch Kranken nach Afghanistan
Leitsätze
I. Um das Vorliegen einer dem Art 2 oder 3 EMRK widerstreitenden Behandlung ausschließen zu können, reicht es nicht aus, dass der Betroffene nach Rückkehr in seinen Herkunftsstaat hinreichende familiäre Anknüpfungspunkte und keine zu volatile Sicherheitslage vorfindet. Vielmehr muss auch eine massiv beeinträchtigte psychische Gesundheit infolge von Suchtmitteldelinquenz einer Behandlung zugänglich sein. II. Ist der Gesundheitszustand des Betroffenen von schwerwiegenden psychischen und mentalen Einschränkungen geprägt und ist es nicht "seriös abschätzbar", wie die reale Existenz respektive der tatsächliche Zugang zu den in diesem Zusammenhang unabdingbar notwendigen fachmedizinischen Einrichtungen und Behandlungsmöglichkeiten vor Ort beschaffen ist, so droht ihm bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ein "real risk" einer Verletzung seiner in Art 2 oder 3 EMRK verbrieften Rechte. Folglich ist derartigen Antragstellern auf internationalen Schutz der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zuzuerkennen. III. Punkt II. ist in Bezug auf Afghanistan einschlägig.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2021
Aufbereitet am: 13.07.2021
2323
Frage der Prozessfähigkeit von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen
Leitsätze
I. Die Frage des Vorliegens der prozessualen Handlungsfähigkeit ist nach § 9 AVG von der Behörde bzw vom Gericht als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzugreifen. II. Bei begründeten Bedenken in Bezug auf das Fehlen der Prozessfähigkeit der betreffenden Person ist daher die Frage von Amts wegen zu prüfen und ein entsprechendes Ermittlungsverfahren - idR durch Einholung eines Sachverständigengutachtens – durchzuführen.
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Entscheidungsdatum: 22.12.2020
Aufbereitet am: 12.07.2021
2322
"Ausreichende Existenzmittel" gemäß Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG auch bei Herkunft aus Schwarzarbeit?
Leitsätze
I. Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art 267 AEUV sind nur dann unzulässig, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind. Ansonsten gilt eine Vermutung, dass die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Rechtsfragen auch entscheidungserheblich sind. II. Die unmittelbar aus Art 21 Abs 1 AEUV sich ergebende allgemeine Freizügigkeit stellt ein Prinzip des Unionsrechts und den Regelfall dar, dementsprechend sind Einschränkungen derselben wie Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG unter Einhaltung der vom Unionsrecht gezogenen Grenzen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen. III. Das Unionsrecht verlangt nach gefestigter und beibehaltener Rsp zwar ausreichende Existenzmittel für Nicht-Arbeitnehmer und Nicht-Selbständige, die sich in einem anderen Mitgliedstaat mehr als drei Monate lang aufhalten (Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG), stellt an die Herkunft der Mittel aber keine Anforderungen. IV. Aus dem in Punkt III genannten Grund ist Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG dahin auszulegen, dass ein minderjähriger Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass er während seines Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen muss, auch wenn diese Mittel aus den Einkünften stammen, die aus einer Beschäftigung bezogen werden, der sein Vater, der einem Drittstaat angehört und über keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in diesem Mitgliedstaat verfügt, illegal nachgeht.
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Entscheidungsdatum: 02.10.2019
Aufbereitet am: 09.07.2021
2321
Angemessene aufenthaltsrechtliche Frist für die Arbeitssuche als Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat
Leitsätze
I. Auch Arbeitssuchende kommen in den Genuss der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die diesbezügliche EuGH-Rsp wurde in Art 14 Abs 4 lit b RL 2004/38/EG positiviert. II. In den (bedingungslos garantierten) ersten drei Monaten des Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat fällt ein Unionsbürger unter Art 6 RL 2004/38/EG. Während dieser Zeit darf nicht mehr als der Besitz eines gültigen Ausweisdokuments verlangt werden. III. Sobald der Unionsbürger beschlossen hat, sich im Aufnahmemitgliedstaat als Arbeitssuchender registrieren zu lassen, fällt er unter Art 14 Abs 4 lit b RL 2004/38/EG (während der [voraussetzungslos gewährten] ersten drei Monate des Aufenthalts aber noch unter Art 6 leg cit). IV. Der Aufnahmemitgliedstaat hat dem Arbeit suchenden Unionsbürger für die Suche eine angemessene Frist zu gewähren: Diese beginnt zum in Punkt III genannten Zeitpunkt. Sie ist so zu bemessen, dass die Art 45 und 21 AEUV in ihrer praktischen Wirksamkeit nicht beeinträchtigt werden. Eine Frist von sechs Monaten trüge diesem Erfordernis beispielsweise Rechnung. V. Während der in Punkt IV bezeichneten Frist darf der Mitgliedstaat vom betroffenen Unionsbürger nur verlangen, dass dieser tatsächlich nach Arbeit sucht. Er darf aber noch nicht den Nachweis verlangen, dass der Unionsbürger eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diesen Nachweis darf der Mitgliedstaat stattdessen erst nach Ablauf dieser Frist fordern.
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Entscheidungsdatum: 17.12.2020
Aufbereitet am: 08.07.2021
2320
Bestehen von faktischem Abschiebeschutz bei im Ausland gestelltem Asylantrag und Rücküberstellung nach Dublin-VO
Leitsätze
I. Der in einem anderen Mitgliedstaat gestellte Asylantrag ist auch in Österreich als gestellt anzusehen, wenn sich Österreich im Hinblick auf die Dublin-VO zur Wiederaufnahme des Fremden bereit erklärt hat. Eines nochmaligen Schutzersuchens nach Rücküberstellung bedarf es nicht. II. Es besteht die Pflicht des wiederaufnehmenden Staates, den in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Asylantrag einer weiteren Prüfung zuzuführen.
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Entscheidungsdatum: 22.12.2020
Aufbereitet am: 07.07.2021
2319
Ausweisung eines Elternteils versus Kindeswohl
Leitsätze
I. Liegt ein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK (hier die Beziehung eines Elternteils zu dessen sechsjährigem Kind) vor, ist ein strenger Maßstab anzusetzen und es kann eine Ausweisung einen Verstoß gegen das besonders gewichtige Kindeswohl darstellen. II. Bei der Beurteilung hinsichtlich der Bestreitung des Lebensunterhalts ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Von einer möglichen Bestreitung des Lebensunterhalts kann ausgegangen werden, wenn die betroffene Person bereits mehrmals im Bundesgebiet beschäftigt war, derzeit zwar arbeitssuchend ist, jedoch laufend Einstellungsgespräche führt. Eine Einstellungszusage hat auch dann in die Beurteilung positiv miteinzufließen, wenn diese zB aufgrund der Corona-Situation noch nicht zum Tragen gekommen ist.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2020
Aufbereitet am: 06.07.2021
2318
Gesicherter Lebensunterhalt - Prüfung der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft
Leitsätze
Bei der Prüfung des gesicherten Unterhalts iSd § 10 Abs 1 Z 7 StbG iVm § 10 Abs 5 StbG ist darauf abzustellen, ob dem Beschwerdeführer aus seinem Unterhaltsanspruch gegenüber der Kongregation aus seinem Professverhältnis Unterhaltsleistungen zustehen, die den Anforderungen des § 10 Abs 5 StbG entsprechen.
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Entscheidungsdatum: 23.02.2021
Aufbereitet am: 05.07.2021
2317
Ausweisung eines Tschetschenen aus Frankreich nach Aberkennung seines Flüchtlingsstatus aufgrund von Verurteilung wegen Mitgliedschaft in terroristischer Vereinigung
Leitsätze
I. Es ist angesichts der vom Terrorismus ausgehenden Gefahr für die Bevölkerung legitim, wenn die Staaten mit großer Entschlossenheit gegen diejenigen vorgehen, die sich an terroristischen Handlungen beteiligen. II. Der durch Art 3 EMRK garantierte Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung schützt vor einer Abschiebung in einen Staat, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme einer realen Gefahr einer solchen Behandlung im Fall der Rückkehr der betroffenen Person bestehen. Dieser Schutz vor Refoulement gilt absolut und unabhängig von einer Beteiligung der betroffenen Person an terroristischen Straftaten. Ihre Beteiligung daran ist daher für die Anwendung von Art 3 EMRK nicht relevant. III. Die allgemeine Lage in Tschetschenien ist nicht derart gravierend, dass sie jeder Abschiebung dorthin entgegenstehen würde. Der von Art 3 EMRK gewährte Schutz kommt jedoch zum Tragen, wenn individuelle Gründe für die Annahme einer Misshandlungsgefahr bestehen. IV. Da es für Asylwerber schwierig sein kann, Beweise über ihre Verfolgung vorzulegen, kann es geboten sein, im Zweifel ihrem Vorbringen Glauben zu schenken. V. Die Aberkennung des Flüchtlingsstatus wegen einer schweren nicht politischen Straftat bewirkt nicht auch den Wegfall der Flüchtlingseigenschaft. Daher muss in einem solchen Fall vor einer Ausweisung eine sorgfältige und umfassende Prüfung dahingehend stattfinden, ob der betroffenen Person im Fall ihrer Rückkehr eine reale Gefahr einer mit Art 3 EMRK unvereinbaren Behandlung droht. Die Unterlassung einer solchen Prüfung begründet eine Verletzung des verfahrensrechtlichen Aspekts von Art 3 EMRK.
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Entscheidungsdatum: 15.04.2021
Aufbereitet am: 02.07.2021
2316
Zur zeitlichen Anwendbarkeit des Art 33 Abs 2 RL 2013/32/EU und zu dessen Verhältnis zum Dublin-System
Leitsätze
I. Art 52 Abs 1 RL 2013/32/EU gestattet den Mitgliedstaaten eine Anwendung (der RL 2013/32/EU [VerfahrensRL]) auch auf Asylanträge, die vor dem 20.7.2015 gestellt wurden, verpflichtet aber nicht dazu. II. Die oben (I) genannte Ermächtigung erstreckt sich aber nicht auf Sachverhalte, die nach Art 49 Dublin III-VO noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin II-VO (343/2003) fallen. III. Die Mitgliedstaaten dürfen einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art 33 Abs 2 RL 2013/32/EU als unzulässig ablehnen, ohne dass sie vorrangig auf die von der Dublin III-VO (604/2013) vorgesehenen Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren zurückgreifen müssen. IV. Ein geringeres Niveau an sozialer Unterstützung im Mitgliedstaat, wo einem Antragsteller bereits subsidiärer Schutz gewährt wurde, als im Mitgliedstaat der Antragstellung reicht nicht aus, um die "Refoulement"-relevante Schwelle des Art 3 EMRK/Art 4 GRC zu erfüllen, es sei denn, diese Diskrepanz führt dazu, dass der Antragsteller seine elementarsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen kann. V. Verweigert ein Mitgliedstaat systematisch entgegen Art 13 RL 2011/95/EU die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und gewährt stattdessen bloß subsidiären Schutz, so begründet dies eine Verletzung von Art 18 GRC. VI. Der in Punkt V genannte Rechtsverstoß ist nicht "Refoulement"-relevant: Er hindert den Mitgliedstaat der nunmehrigen Antragstellung nicht an einer Erklärung des Asylantrags als unzulässig. Vielmehr führt der Verstoß dazu, dass der Mitgliedstaat, der bloß subsidiären Schutz gewährt hat, das Verfahren zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wieder aufnehmen muss.
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Entscheidungsdatum: 19.03.2019
Aufbereitet am: 01.07.2021
2315
Keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak; Situation von Kindern im Irak
Leitsätze
I. Im Irak gibt es keine asylrelevante Gruppenverfolgung in Bezug auf die islamisch-sunnitische Minderheit. II. Für die Beurteilung der subsidiären Schutzwürdigkeit von Antragstellern auf internationalen Schutz ist es besonders zu berücksichtigen, wenn diese einer vulnerablen Gruppe iSd Definition des Art 21 RL 2013/33/EU angehören. III. Kinder sind im Irak besonderen Gefahren ausgesetzt (Unterernährung, Fehlen an Bildungseinrichtungen, Zwangsrekrutierung durch viele bewaffnete Akteure inklusive der staatlichen Sicherheitskräfte), deren Eintritt der Staat nicht effektiv abwenden kann. Ihnen droht daher bei einer Rückführung in den Irak in aller Regel eine Verletzung des Art 3 EMRK. In diesem Regelfall ist Kindern subsidiärer Schutz gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zuzuerkennen. IV. Haben die Eltern von irakischen Kindern ebenso Anträge auf internationalen Schutz gestellt (Familienverfahren), so ist der den Kindern zu gewährende subsidiäre Schutzstatus gemäß § 34 Abs 4 AsylG auch auf deren Eltern zu erstrecken, wenn keine der Negativvoraussetzungen des Abs 3 leg cit vorliegen.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2021
Aufbereitet am: 30.06.2021
2314
Zu den Anforderungen an eine Interessenabwägung bei einer in das Privat- und Familienleben eingreifenden Ausweisung
Leitsätze
I. Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern müssen besondere Elemente einer Abhängigkeit vorliegen, die über das normale Maß der emotionalen Bindung hinausgehen. Solche Elemente liegen etwa dann vor, wenn ein Elternteil aus gesundheitlichen Gründen auf die finanzielle und praktische Unterstützung seiner volljährigen Kinder, in deren Haushalt er lebt, angewiesen ist. Das Vorliegen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses wird nicht durch die Tatsache in Frage gestellt, dass die Kinder ihren Elternteil auch durch Geldüberweisungen ins Ausland unterstützen könnten. II. Wenn eine Ausweisung in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreift, muss die innerstaatliche Behörde eine sorgfältige Interessenabwägung anhand der vom EGMR entwickelten Kriterien vornehmen und begründen, warum das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung schwerer wiegt als das persönliche Interesse des betroffenen Fremden an der Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens. Wenn eine solche begründete und nachvollziebare Interessenabwägung unterblieben ist, kann der EGMR nicht unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip davon ausgehen, dass die Behörden innerhalb ihres Ermessensspielraums eine angemessene Entscheidung getroffen haben. III. Auch eine mehr als zehn Jahre zurückliegende Vergewaltigung kann ein legitimes öffentliches Interesse an einer Ausweisung begründen. Allerdings müssen die Behörden die Entwicklung des Verhaltens des Betroffenen seit der Tat berücksichtigen. Auch eine inzwischen eingetretene Invalidität muss im Hinblick auf eine dadurch möglicherweise verursachte Herabsetzung der Gefährlichkeit beachtet werden.
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Entscheidungsdatum: 09.04.2019
Aufbereitet am: 29.06.2021