Aktueller Leitsatz der Redaktion
2878
Ermittlungspflichten bei Annahme einer besonderen Ausnahmesituation iSd EuGH-Rsp zu Art 20 AEUV
Leitsätze
I. Der (bloße) Wunsch nach einem Aufenthalt in Österreich aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung einer Familiengemeinschaft begründet noch keine Ausnahmesituation iSd EuGH-Rsp zu Art 20 AEUV. II. Die Weigerung, einem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, kann nach der EuGH-Rsp die praktische Wirksamkeit der Unionsbürgerschaft nur dann beeinträchtigen, wenn zwischen ihm und dem Unionsbürger, der sein Familienangehöriger ist, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. III. Zur Beurteilung dieses Risikos ist - wenn es (wie hier) um das Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Elternteils und dessen Verhältnis zu einem minderjährigen Kind, das Unionsbürger ist, geht - entsprechend der EuGH-Rsp zu ermitteln, welcher Elternteil die tatsächliche Sorge für das Kind wahrnimmt und ob ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kind und dem Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, besteht. Dabei bildet der Umstand, dass der andere Elternteil, der Unionsbürger ist, wirklich in der Lage und bereit ist, die tägliche und tatsächliche Sorge für das Kind allein wahrzunehmen, einen relevanten Gesichtspunkt. Dieser Umstand allein genügt aber nicht für die Feststellung, dass zwischen dem drittstaatsangehörigen Elternteil und dem Kind kein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde. Einer solchen Feststellung muss vielmehr im Interesse des Kindeswohls die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zugrunde liegen (insb Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, Grad seiner affektiven Bindung an den jeweiligen Elternteil, das mit der Trennung vom drittstaatsangehörigen Elternteil für sein inneres Gleichgewicht verbundene Risiko). IV. Die für die Anerkennung eines Aufenthaltsrechts auf Grundlage des Art 20 AEUV erforderlichen Informationen sind grundsätzlich vom Drittstaatsangehörigen beizubringen. Dabei entbindet aber auch eine (allfällige) nationale Beweislastregelung die Behörden nicht davon, auf Grundlage der vom Drittstaatsangehörigen beigebrachten Informationen die erforderlichen Ermittlungen zur Klärung der einzelnen maßgeblichen Umstände iSd EuGH-Rsp anzustellen.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Aufbereitet am: 07.12.2023

Jahrgangsband 2023

