Leitsätze
675
Familienverfahren: Frage der Minderjährigkeit der Bezugsperson ist keine Vorfrage iSd § 38 AVG, sondern von der Behörde eigenständig zu beurteilen
Leitsätze
I. Wenn die Behörde ein Verfahren ohne formellen Aussetzungsbescheid bloß "faktisch" aussetzt, wird der Lauf der behördlichen Entscheidungsfrist weder gehemmt noch unterbrochen. Nach der Rsp des VfGH und des VwGH ist jedoch diesfalls dann ein überwiegendes Verschulden der Behörde iSd § 38 AVG zu verneinen, wenn die Aussetzung berechtigt war. II. Die Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens iSd § 69 AVG hat durch verfahrensrechtlichen Bescheid zu erfolgen, der den Verfahrensparteien zuzustellen ist. Ein bloßes "In-Kenntnis-Setzen" der Parteien über eine von Amts wegen verfügte Wiederaufnahme während der Einvernahme stellt ebenso wenig eine wirksame Wiederaufnahme von Amts wegen gemäß § 69 AVG dar wie eine formlos mittels Aktenvermerk erfolgte "Wiederaufnahme"; in beiden Fällen liegt daher kein anhängiges bzw gleichzeitig mit der Verfahrensaussetzung anhängig gemachtes Verfahren iSd § 38 AVG vor. III. Die Frage, ob die Tochter bzw Schwester der Beschwerdeführerin, die in Österreich Asyl erhalten hat, zum Zeitpunkt der Antragstellung der Familienangehörigen minderjährig gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 war, stellt eine Rechtsfrage, aber keine Vorfrage iSd § 38 AVG dar. Sie ist von der Behörde eigenständig zu beurteilen.
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Entscheidungsdatum: 06.10.2011
Aufbereitet am: 28.08.2012
674
Zustellrechtliche Fragestellungen zur Übermittlung negativer Asylbescheide
Leitsätze
Ein formlos per E-Mail an den Rechtsvertreter übermittelter Bescheid wurde nicht rechtswirksam erlassen, da es sich bei einer solchen direkten elektronischen Übermittlung ohne Inanspruchnahme eines Zustelldienstes um keine Zustellung iSd ZustellG handelt und die Bestimmungen des ZustellG daher nicht anwendbar sind, sodass auch keine Heilung iSd § 7 bzw § 9 Abs 3 ZustellG erfolgen kann.
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Entscheidungsdatum: 04.10.2011
Aufbereitet am: 27.08.2012
673
Aktuelle Feststellungen zum ungarischen Asylwesen
Leitsätze
Die Angaben des Beschwerdeführers beinhalten keine Schilderung einer konkreten und in sich stimmigen Bedrohungssituation, welche entgegen der Regelvermutung gemäß § 5 Abs 3 AsylG ein real risk einer Verletzung seiner Rechte gemäß Art 3 EMRK im Falle einer Überstellung nach Ungarn befürchten lassen.
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Entscheidungsdatum: 29.02.2012
Aufbereitet am: 02.08.2012
672
Willkür im Konsultationsverfahren
Leitsätze
Ausgehend davon, dass trotz nachweislich erfolgter Asylantragstellungen in Italien, Großbritannien und Griechenland Konsultationen ausschließlich mit Ungarn geführt wurden, liegt Willkür im Konsultationsverfahren vor, so dass die Zustimmungserklärung aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben kann.
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Entscheidungsdatum: 28.02.2012
Aufbereitet am: 01.08.2012
671
Keine Verfolgungsgefahr für Oppositionellen in Togo
Leitsätze
I. Derzeit besteht keine reale und individuelle Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer als Mitglied der Oppositionsbewegung UFC ("Union des Forces de Changement") im Fall seiner Rückkehr nach Togo. II. Der Ausschluss der Anfechtbarkeit von Entscheidungen des AsylGH beim VwGH widerspricht nicht Art 13 EMRK.
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Entscheidungsdatum: 11.05.2012
Aufbereitet am: 31.07.2012
670
Abfangen von Bootsflüchtlingen in internationalen Gewässern und Rücktransport nach Libyen
Leitsätze
I. Das Abfangen von Bootsflüchtlingen auf hoher See durch die Küstenwache bzw die Marine ist ein Fall der extraterritorialen Ausübung von Hoheitsgewalt. Die EMRK ist darauf anwendbar. II. Es bestehen stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefahr der Misshandlung der Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr nach Libyen sowie der Gefahr einer Kettenabschiebung nach Eritrea bzw Somalia. III. Die extraterritoriale Ausübung von Hoheitsgewalt durch einen Vertragsstaat - etwa in Gestalt des Abfangens von Bootsflüchtlingen in internationalen Gewässern - kann die Gestalt einer Kollektivausweisung annehmen, auf die Art 4 4. ZPEMRK anwendbar ist. IV. Der Rücktransport von Bootsflüchtlingen nach Libyen durch die italienische Küstenwache ohne Prüfung der individuellen Situation begründete eine Verletzung des Verbots der Kollektivausweisung nach Art 4 4. ZPEMRK.
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Entscheidungsdatum: 23.02.2012
Aufbereitet am: 30.07.2012
669
Die Grundrechtecharta und das österreichische Verfassungsrecht
Leitsätze
I. Die EU-Grundrechtecharta (GRC; Teil des Vertrags von Lissabon) ist auf Grund ausdrücklicher Anordnung des Art 6 Abs 1 EUV mit den Verträgen rechtlich gleichrangig und daher Teil des Primärrechts der EU. II. Gemäß Art 51 GRC gilt eine unmittelbare Anwendbarkeit für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. III. Das Unionsrecht gebietet, dass Rechte, die von unmittelbar anwendbarem Unionsrecht garantiert werden, in einem Verfahren durchsetzbar sein müssen, das für vergleichbare Rechte besteht, die aus der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten stammen. IV. Die GRC verbürgt für den Bereich der Anwendung europäischen Rechts Rechte, wie sie die österreichische Verfassungsordnung in gleicher Weise als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte garantiert. V. Die EMRK ist unmittelbar anwendbar. Von ihr gewährleistete Rechte sind verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte iSd Art 144 bzw Art 144a B-VG. VI. Zahlreiche Rechte der GRC sind sowohl im Wortlaut als auch in der Intention den entsprechenden Rechten der EMRK nachgebildet. Die Schutzbereiche weisen weitestgehende Überschneidungen auf. Es würde dem Konzept der österreichischen Bundesverfassung einer zentralisierten Verfassungsgerichtsbarkeit widersprechen, wenn der VfGH über vielfach inhaltsgleiche Rechte der GRC nicht absprechen könnte. VII. Auf Grund der innerstaatlichen Rechtslage hat der Äquivalenzgrundsatz zur Folge, dass auch die von der GRC garantierten Rechte vor dem VfGH als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art 144 bzw Art 144a B-VG geltend gemacht werden können und sie im Anwendungsbereich der GRC einen Prüfungsmaßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle, insb nach Art 139 und Art 140 B-VG bilden. VIII. Der VfGH zieht - im Fall von Zweifeln an der Auslegung der GRC nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art 267 AEUV - die GRC in ihrem Anwendungsbereich als Maßstab für nationales Recht heran und hebt entgegenstehende generelle Normen gemäß Art 139 bzw Art 140 B-VG auf. Damit kommt der VfGH für diesen Bereich auch der vom EuGH postulierten Bereinigungspflicht nach. IX. Es besteht keine Vorlagepflicht, wenn die Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist, dh keinen Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreites haben kann. Im Bereich der GRC besteht sie dann, wenn ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, insb ein Recht der EMRK, den gleichen Anwendungsbereich hat wie ein Recht der GRC. X. Im Anwendungsbereich von Art 6 EMRK hat Art 47 Abs 2 GRC die gleiche Tragweite und Bedeutung wie jener. Jenseits dessen gelten die Garantien des Art 6 EMRK für den Anwendungsbereich des Art 47 Abs 2 GRC entsprechend. Verfahren, in denen über Asyl und den Aufenthalt von Fremden auf dem Gebiet eines Staates entschieden wird, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK. Aus Art 47 Abs 2 GRC ist jedoch ein Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch in Fällen abzuleiten, in denen ein solches Gebot mangels Anwendbarkeit des Art 6 EMRK nicht unmittelbar aus diesem folgt. XI. Art 47 Abs 2 GRC ist bei der Auslegung auch des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (als Ausfluss des Gebots unionsrechtskonformer Auslegung und zur Verhinderung von Situationen der Inländerdiskriminierung) zu berücksichtigen. Umgekehrt hat die Auslegung des Art 47 Abs 2 GRC die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und damit die mitgliedstaatlichen Ausprägungen des Rechtsstaatsgebots zu berücksichtigen. XII. Der VfGH hegt vor dem Hintergrund der Rsp des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs 7 AsylG 2005, noch kann er finden, dass der AsylGH der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage iVm der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde.
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Entscheidungsdatum: 14.03.2012
Aufbereitet am: 27.07.2012
668
Anhaltung einer Familie mit Kleinkindern in der Schubhaft
Leitsätze
I. Die Anhaltung von Kindern in Schubhaft unter Bedingungen, die nicht den ihrem Alter entsprechenden Bedürfnissen angepasst sind - nämlich in einer Umgebung von Erwachsenen, unter starker Polizeipräsenz und ohne Beschäftigungsmöglichkeiten - verstößt gegen Art 3 EMRK. Dies gilt auch dann, wenn die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern untergebracht sind. II. Die Anhaltung von Kindern in Schubhaft unter ungeeigneten Bedingungen begründet eine Verletzung von Art 5 Abs 1 lit f EMRK. III. Die Inhaftierung einer Familie in einem Anhaltezentrum, in dem sie einem Gefängnisleben unterworfen sind, stellt einen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Familienlebens dar. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs müssen die übergeordneten Interessen der Kinder berücksichtigt werden. IV. Die Behörden müssen alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um wenn nur irgend möglich die Anhaltung von Familien, die von Kindern begleitet werden, zu begrenzen und das Recht auf Familienleben wirksam zu wahren.
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Entscheidungsdatum: 19.01.2012
Aufbereitet am: 26.07.2012
667
Effektivität der französischen Rechtsbehelfe gegen eine Ausweisung bei drohender Misshandlung
Leitsätze
I. Die rasche Erledigung von Asylanträgen in Schnellverfahren darf nicht zu Lasten der Effektivität wesentlicher Verfahrensgarantien gehen, die darauf abzielen, einen Antragsteller vor einer willkürlichen Abschiebung in ein Land zu schützen, in dem ihm eine Art 3 EMRK widersprechende Behandlung droht. II. Art 13 EMRK wird verletzt, wenn Rechtsbehelfe gegen eine Abschiebung zwar theoretisch zur Verfügung stehen, der Betroffene aber durch praktische Hindernisse (insbesondere durch extrem kurze Fristen und eingeschränkten Zugang zu rechtlicher Beratung in der Schubhaft) daran gehindert wird, diese wirksam zu nutzen.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2012
Aufbereitet am: 25.07.2012
666
Drohende Verwendung von durch Folter erlangten Aussagen in Strafverfahren in Jordanien macht Auslieferung unzulässig
Leitsätze
I. Die Zulassung von durch Folter erlangten Beweisen in einem Strafverfahren bedeutet eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens. Besteht die reale Gefahr der Verwendung solcher Beweise in einem wiederaufgenommenen Prozess gegen die ausgelieferte Person, würde ihre Auslieferung eine Verletzung von Art 6 EMRK begründen. Für die Annahme einer realen Gefahr gelten die gleichen Beweismaßstäbe wie bei der Prüfung von Auslieferungen unter Art 3 EMRK. II. Ein Vertragsstaat würde Art 5 EMRK verletzen, wenn er eine Person in einen Staat abschiebt, wo ihr die reale Gefahr einer offenkundigen Verletzung dieser Bestimmung droht. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn der Empfangsstaat die Person willkürlich für viele Jahre ohne irgendeine Absicht inhaftiert, sie vor Gericht zu stellen oder sie Gefahr läuft, eine erhebliche Zeit inhaftiert zu werden, nachdem sie in einem offenkundig unfairen Verfahren verurteilt wurde.
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Entscheidungsdatum: 17.01.2012
Aufbereitet am: 24.07.2012
665
Auslieferung in die USA, wo die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung droht
Leitsätze
I. Freiheitsstrafe auf Lebenszeit ohne Aussicht auf Begnadigung ist nicht per se unvereinbar mit der EMRK. Die lebenslange Freiheitsstrafe kann jedoch ein Problem unter Art 3 EMRK aufwerfen, wenn ihre Verhängung grob unverhältnismäßig zur begangenen Straftat ist oder wenn die andauernde Inhaftierung nicht länger aus legitimen strafpolitischen Gründen (etwa Abschreckung und Schutz der Öffentlichkeit) gerechtfertigt ist und die Strafe dennoch de iure und de facto nicht herabgesetzt werden kann. II. Eine Tötung im Zuge eines bewaffneten Raubüberfalls ist ein besonders schweres Delikt, für das die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht grob unverhältnismäßig ist. III. Die Auslieferung von Beschuldigten, denen in den USA wegen der Tötung eines Menschen im Zuge eines Raubüberfalls die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung droht, verstößt nicht gegen Art 3 EMRK.
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Entscheidungsdatum: 17.01.2012
Aufbereitet am: 18.07.2012
664
Drohende Verfolgung der gesamten tschetschenischen Familie
Leitsätze
I. Wie sich aus den Länderberichten ergibt, sind Personen, die für Rebellen oder deren Sympathisanten gehalten werden, einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, festgenommen, gefoltert und ermordet zu werden; überdies werden Familienmitglieder der Rebellen als Kollaborateure angesehen. II. Eingedenk der getroffenen Feststellungen über Restriktionen beim Zuzug tschetschenischer bzw kaukasischer Personen innerhalb des russischen Gebietes außerhalb des Nordkaukasus kann im vorliegenden Fall auch nicht angenommen werden, dass sich die Beschwerdeführerin außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation in zumutbarer Weise niederlassen und eine Existenzgrundlage schaffen kann.
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Entscheidungsdatum: 01.02.2012
Aufbereitet am: 17.07.2012
663
Stellungnahme des Asylwerbers ungelesen zum Akt?
Leitsätze
I. Der Umfang der Einvernahmeprotokolle sagt nicht zwingend etwas darüber aus, ob das Ermittlungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. II. Wenn im Verwaltungsakt keine Übersetzung der in somalischer Sprache verfassten Stellungnahme des Asylwerbers aufscheint und die Behörde im Bescheid keinerlei Bezug auf allenfalls in diesem Schriftsatz geäußerte Argumente nimmt, ist davon auszugehen, dass sich die Behörde nicht einmal ansatzweise mit der Stellungnahme auseinandergesetzt hat. III. Das BAA trifft eine sehr selektive Auswahl der Ergebnisse der Sprachanalyse, wenn es die Ausführungen, wonach der Asylwerber über gute Kenntnisse der regionalen Gegebenheiten in der von ihm angegebenen Herkunftsregion aufweist, gänzlich unberücksichtigt lässt.
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Entscheidungsdatum: 19.09.2011
Aufbereitet am: 16.07.2012
662
Nach elf Jahren zurück an den Start wegen Zustellmangel
Leitsätze
Wenn sowohl BAA als auch UBAS in ihren Bescheiden jeweils das vom Asylwerber angegebene Geburtsdatum anführen, das ihn als Minderjährigen ausweist, hätte bereits der Bescheid des BAA trotz abweichender Bescheidbegründung an den gesetzlichen Vertreter des Asylwerbers zugestellt werden müssen.
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Entscheidungsdatum: 19.09.2011
Aufbereitet am: 12.07.2012
661
Verfolgungsgefahr in Eritrea und Qualität der Einvernahmen im Asylverfahren
Leitsätze
I. Im Rahmen der allseitigen staatlichen Repressionen in Eritrea gegen Personen, die wegen ihrer wirklichen oder unterstellten politischen Handlungen und Auffassungen oder ihrer religiösen Überzeugung als Gegner des Staates angesehen werden, sind ua folgende Personengruppen besonders gefährdet: Oppositionelle und Regimekritiker; Militärdienstverweigerer und Deserteure sowie deren Familienangehörige; Frauen. II. Alle Eritreer, die ihr Land verlassen haben und zwangsrückgeführt wurden, werden von den Behörden als politisch Oppositionelle betrachtet. III. Eine Beschuldigteneinvernahme (hier wegen illegaler Einreise) erfüllt nicht die Erfordernisse einer Einvernahme im Asylverfahren und kann nicht als Grundlage für die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens herangezogen werden. IV. Eine Einvernahme, bei der der elfjährige Sohn der Asylwerberin, der selbst nur gebrochen Englisch spricht, zur Übersetzung der Aussagen der Mutter ins Englische herangezogen wird, kann nicht als Grundlage für die Unglaubwürdigkeit der Asylwerberin dienen. V. Bei der erstinstanzlichen Einvernahme hat eine detaillierte Befragung zu den Fluchtgründen zu erfolgen.
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Entscheidungsdatum: 19.09.2011
Aufbereitet am: 11.07.2012
660
Verfolgungsgefahr im Kosovo für der Kollaboration mit dem serbischen Regime Verdächtige
Leitsätze
Die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann und der gemeinsame Sohn waren im Kosovo schwerwiegenden Übergriffen durch Dritte aufgrund einer unterstellten Kollaboration der Familie des Ehemannes mit dem serbischen Regime ausgesetzt, staatliche Hilfe war ihnen verwehrt worden; bei einer Rückkehr droht ihnen neuerlich asylrelevante Verfolgung.
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Entscheidungsdatum: 25.08.2011
Aufbereitet am: 10.07.2012
659
Blutrache im Kosovo betrifft idR nur männliche Familienmitglieder
Leitsätze
Opfer der Blutrache im Kosovo sind ganz vorrangig die (volljährigen) männlichen Personen mit dem höchsten Rang in der Familie, weil die gegnerische Seite den größtmöglichen Schaden anrichten will. Frauen sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - generell von der Blutrache ausgeschlossen.
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Entscheidungsdatum: 12.08.2011
Aufbereitet am: 09.07.2012
658
Amtswegige Wiederaufnahme des Asylverfahrens wegen Bescheiderschleichung
Leitsätze
I. "Erschleichung eines Bescheides" iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG liegt nach stRsp des VwGH nur bei kumulativer Erfüllung folgender Voraussetzungen vor: objektiv unrichtige Angaben der Partei von wesentlicher Bedeutung, Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde sowie Irreführungsabsicht der Partei. II. Beim Beschwerdeführer, einem in Serbien zum Strafvollzug international gesuchten, verurteilten Doppelmörder, der die Begehung der Tat, die Verurteilung und die Flucht aus der Strafhaft bei seinem Asylantrag in Österreich verschwiegen hat und dessen behauptete Fluchtgründe in den Zeitraum seines Gefängnisaufenthaltes in Serbien fallen, dem aber in Österreich Asyl gewährt wurde, sind die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 AVG erfüllt. III. Die Bedeutung einer Gefahr für die Gemeinschaft ist nicht Tatbestandsvoraussetzung von § 6 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 bzw § 13 Abs 1 AsylG 1997. IV. Mit der Verfügung der Wiederaufnahme tritt der im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangene rechtskräftige Bescheid mit Wirkung "ex tunc" außer Kraft. Das Asylverfahren wurde dadurch beim BAA zur Entscheidung anhängig, sodass entgegen der Ansicht des BAA im wiederaufgenommenen Verfahren die maßgebliche Rechtslage grs das AsylG 1997 war. V. Mit der Anwendung von § 69 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 AVG und der "ex tunc"-Wirkung der Wiederaufnahmeverfügung wird in der vorliegenden Verfahrenskonstellation auch den seitens des UNHCR statuierten Vorgaben vom 22.11.2004 für "Rücknahmeentscheidungen" Rechnung getragen.
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Entscheidungsdatum: 28.07.2011
Aufbereitet am: 05.07.2012
657
Wegen "Mittellosigkeit" erlassenes Aufenthaltsverbot bei der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK nicht zu berücksichtigen
Leitsätze
Das gegen den Beschwerdeführer - trotz bestehender vorläufiger Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylrecht und bestehendem Anspruch auf Grundversorgung - für die Dauer von sieben Jahren erlassene Aufenthaltsverbot wegen Mittellosigkeit ist iSd VwGH-Rsp bei der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK unbeachtlich.
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Entscheidungsdatum: 14.06.2011
Aufbereitet am: 03.07.2012
656
Zur Anwendbarkeit von § 7 Abs 3 AsylG 2005 idF FrÄG 2009
Leitsätze
I. § 7 Abs 3 AsylG 2005 idF des FrÄG 2009 wurde vom Gesetzgeber ohne Rückwirkung beschlossen. Strafgerichtliche Verurteilungen vor dem Inkrafttreten des FrÄG 2009 am 1.1.2010 sind iSd § 7 Abs 3 leg cit nicht zu berücksichtigen. II. Wenn der Beschwerdeführer aufgrund einer gerichtlichen Anordnung nicht nach Österreich zurückkehren kann, kann nicht angenommen werden, dass sein Wohnsitz in Österreich die Eigenschaft als Hauptwohnsitz verloren hätte.
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Entscheidungsdatum: 17.06.2011
Aufbereitet am: 26.06.2012