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271
Ist unmündigen Minderjährigen mit einem überwiegend schützenswerten Privat- oder Familienleben stets eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen?
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die Verweisung auf § 9 IntG in § 55 Abs 1 Z 2 AsylG ist umfassend zu verstehen und inkludiert auch § 9 Abs 5 Z 1 IntG, wonach unmündige Minderjährige von der Verpflichtung zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung ausgenommen sind. Ein solch weites Verständnis hat zur Folge, dass unmündigen Minderjährigen, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG beantragen und ein gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens überwiegendes Privat- oder Familienleben haben, stets eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen ist (wegen Erfüllung auch des § 55 Abs 1 Z 2 AsylG trotz Nichterfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung). II. Die Entscheidungspraxis des BVwG hinsichtlich der Reichweite der Verweisung auf § 9 IntG in § 55 Abs 1 Z 2 AsylG (I.) ist heterogen, zudem fehlt es an höchstgerichtlicher Judikatur. Daher liegt eine iSd Art 133 Abs 4 B-VG revisible Rechtsfrage vor.
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272
Beginn der operativen Geschäftstätigkeit erst mit Anstellung der Schlüsselkraft
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Der Beschäftiger hat zwar nach § 4b Abs 1 letzter Satz AuslBG den Nachweis über die zur Ausübung der Beschäftigung erforderliche Ausbildung oder sonstige besondere Qualifikation der gewünschten Arbeitskraft zu erbringen. Die Behörde ist in diesem Rahmen aber grundsätzlich an das von der antragstellenden Partei formulierte Anforderungsprofil gebunden. II. Es ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der VwGH-Rsp, dass der Arbeitsplatz, der besetzt werden soll, bereits zuvor von einem anderen Arbeitnehmer ausgefüllt gewesen sein muss, also im Betrieb des Arbeitgebers nicht neu geschaffen worden sein darf. III. Eine Anforderung, wonach der Arbeitsplatz zur Aufrechterhaltung eines bereits laufenden Geschäftsbetriebs erforderlich wäre oder in einem laufenden Unternehmen nicht im Hinblick auf eine Änderung des Geschäftsmodells erforderlich geworden sein dürfe, postuliert weder das Gesetz noch die höchstgerichtliche Rsp, soll doch grundsätzlich der Bedarf des Arbeitgebers nach seinem Anforderungsprofil entsprechenden Arbeitskräften befriedigt werden. IV. Nur dann, wenn der im Antrag angeführte Arbeitsplatz im Betrieb des Arbeitgebers tatsächlich nicht besetzt werden soll, die Arbeitskraft also gar nicht oder nicht in der behaupteten Art und Weise beschäftigt werden soll, hätte dies zur Antragsabweisung zu führen. V. Es schadet nicht, wenn die Arbeitgeberin (eine bereits im Firmenbuch eingetragene GesmbH) eine operative Tätigkeit bislang noch nicht entfaltet hat, wenn eine solche entsprechend dem festgestellten Geschäftsplan tatsächlich beabsichtigt ist und bei Besetzung des Arbeitsplatzes aufgenommen werden würde. Dass diese Tätigkeit erst mit dem auf die zu besetzende Arbeitsstelle aufzunehmenden Arbeitnehmer begonnen werden soll, kann eine Abweisung des Antrags oder das Unterlassen einer Arbeitsmarktprüfung daher nicht begründen. VI. Wenn argumentiert wird, dass eine eigene Rot-Weiß-Rot - Karte für Start-up-Gründer vorgesehen sei, und in diesem Zusammenhang auf § 41 NAG und § 24 AuslBG verwiesen wird, ist dies im Hinblick auf eine beabsichtigte unselbstständige Beschäftigung nicht tragfähig. Bereits der Überschrift zu § 24 AuslBG lässt sich entnehmen, dass sich diese Bestimmung auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit von Ausländern bezieht. VII. Eher spricht der sich aus § 24 AuslBG ergebende Umstand, dass bereits für eine erst beabsichtigte Erwerbstätigkeit eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden kann, und die in diesem Zusammenhang ausdrücklich angeführte Möglichkeit der Schaffung neuer Arbeitsplätze dafür, dass auch bei unselbstständigen Arbeitnehmern die Durchführung eines Verfahrens für erst zu besetzende Stellen nicht von vornherein ausgeschlossen ist. VIII. Der Umstand allein, dass zunächst noch keine Gewinne erwirtschaftet werden, lässt nicht den Schluss zu, dass die Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht eingehalten werden, kann ein Unternehmen - gerade auch zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit - doch auch über weiteres Fremd- oder Eigenkapital, also eine Kreditfinanzierung oder durch Nachschüsse der Gesellschafter ins Gesellschaftsvermögen, finanziert werden.
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Abschiebung vor dem Ergehen der gerichtlichen Entscheidung betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im Asylverfahren unzulässig
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Wurde gegen eine erlassene Rückkehrentscheidung Beschwerde eingebracht, so ist die Beschwerdevorlage an das BVwG als fristauslösender Zeitpunkt (vgl § 16 Abs 4 BFA-VG) anzusehen. Ist bei Ablauf der Frist gemäß § 16 Abs 4 BFA-VG noch keine Entscheidung über die aufschiebende Wirkung ergangen, so verlängert sich die gesetzlich angeordnete Wartepflicht bis zur tatsächlichen Entscheidung des BVwG über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und sind die Wirkungen der Rückkehrentscheidung jedenfalls bis dahin ausgesetzt. II. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist davon auszugehen, dass sich die gesetzlich angeordnete Wartepflicht (Art 46 Abs 5, 6 und 8 RL 2013/32/EU) bis zur tatsächlichen gerichtlichen Entscheidung des BVwG über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung verlängert. Die österreichische Rechtslage betreffend § 16 Abs 4 BFA-VG erweist sich in diesem Zusammenhang als unionsrechtswidrig und ist daher nicht anzuwenden.
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274
Zu asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen aufgrund öffentlicher Glaubensbetätigung
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Besteht durch die öffentliche Religionsausübung im Heimatstaat die Gefahr, sich dadurch Übergriffen von Privaten oder staatlicher Willkürmaßnahmen, vor allem im Zusammenhang mit der Vollziehung von Blasphemiegesetzen, auszusetzen, so deutet dies auf eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Religion hin. II. Sind in einem Land Blasphemiegesetze in Geltung, die die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund der Religion mit sich bringen und erstreckt sich die diese Gesetze vollziehende Staatsgewalt über das gesamte Staatsgebiet, so steht jedenfalls keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
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275
Art 8 EMRK und die Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Abschiebung eines schulpflichtigen Minderjährigen
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betreffend Minderjährige ist das Kindeswohl besonders zu berücksichtigen. So würde etwa die Trennung von einem unbescholtenen Vater und dessen minderjährigem (und damit besonders vulnerablen) Kind eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben nach Art 8 EMRK darstellen. II. Bei einem minderjährigen Kind ist dessen biopsychosoziales Überleben und dessen Entwicklung sicherzustellen. Dabei ist insb auf die Kontinuität sozialer Beziehungen und der Umgebung Rücksicht zu nehmen oder der Zugang zu adäquaten Bildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist hier auch insb zu beachten, dass jede Trennung (zB von Familienangehörigen oder anderen Bezugspersonen) für Minderjährige sehr belastend sein kann.
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