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Verhältnis von § 1 Abs 2 Z 1 NAG zum Asylrecht
LEITSATZ DES GERICHTS: I. § 1 Abs 2 Z 1 NAG darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist im systematischen Zusammenhang mit weiteren Bezug habenden Bestimmungen des AsylG und des FPG zu sehen und muss auf deren Basis ausgelegt werden. II. § 52 Abs 2 FPG bezweckt, einem Fremden, der bereits über ein anderes Aufenthaltsrecht (als nach dem AsylG) verfügt, es - bezogen auf das auf anderen Bestimmungen beruhende Aufenthaltsrecht - nicht zum Nachteil gereichen zu lassen, wenn er einen (erfolglosen) Antrag auf internationalen Schutz stellt. Eine solche Sichtweise erscheint auch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten, weil eine sachliche Rechtfertigung dafür, einem Fremden ein anderweitiges Aufenthaltsrecht allein deshalb zu entziehen, weil er erfolglos einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nicht ohne Weiteres erkennbar ist. III. Aus den Bestimmungen des § 12 Abs 1 und des § 13 Abs 1 AsylG sowie des § 52 Abs 2 FPG ergibt sich, dass im Fall der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz ein aufgrund des NAG oder eines anderen Bundesgesetzes bereits bestehendes Aufenthaltsrecht unberührt bleibt. Infolgedessen ist die Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 1 NAG einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein Fremder trotz Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz bei aufrechtem Bestehen eines Aufenthaltsrechts nach dem NAG weiterhin dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegt. IV. Eine Zurückweisung gemäß § 1 Abs 2 Z 1 NAG aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz kommt nur dann in Betracht, wenn - im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG - ein Aufenthaltsrecht aufgrund des NAG nicht besteht (was insb bei Vorliegen bloß eines Erstantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG, nicht aber bei einem rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag der Fall ist).
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Anspruch auf Kinderbeihilfe erst nach Gewährung der rechtmäßigen Niederlassung
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Art 1 1. ZPEMRK gewährt keinen Anspruch auf eine Sozialleistung. Wenn aber ein Mitgliedstaat gesetzlich einen Anspruch auf eine Sozialleistung vorsieht, schafft dieses Gesetz für Personen, die seine Voraussetzungen erfüllen, ein vermögenswertes Interesse, das in den Geltungsbereich von Art 1 1. ZPEMRK fällt, und es muss mit Art 14 EMRK vereinbar sein. Dies gilt auch für einen gesetzlichen Anspruch auf eine Kinderbeihilfe, der für jene Personen, von denen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden, ein in den Geltungsbereich von Art 1 1. ZPEMRK fallendes vermögenswertes Interesse schafft. II. Der Niederlassungs- bzw Einwanderungsstatus ist als "im sonstigen Status" iSv Art 14 EMRK anzusehen. III. Die Mitgliedstaaten der EMRK können nicht nur die Niederlassung, sondern auch eine vorgeschriebene Dauer der Niederlassung verlangen, bevor sie jenen, die ein Recht auf sozialrechtliche Gleichbehandlung haben, beitragsunabhängige Leistungen gewähren. IV. Der Ausschluss von Personen, denen noch nicht die Niederlassung gewährt wurde, vom Bezug einer beitragsunabhängigen Sozialleistung ist eine notwendige Konsequenz des im Wesentlichen nationalen Charakters der Systeme der nationalen Sicherheit. Die Situation von Personen, über deren persönlichen Einwanderungsstatus noch nicht entschieden wurde, kann im Hinblick auf den Bezug von Sozialleistungen nicht mit jener von Personen verglichen werden, die bereits über den Status der rechtmäßigen Niederlassung verfügen. Daher stellt ihr Ausschluss vom Bezug von Kinderbeihilfe keine Diskriminierung iSv Art 14 EMRK dar.
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Ausweisung wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Geheimdienst seines Heimatlands, ohne ihm im Verfahren Zugang zu klassifizierten Dokumenten zu gewähren
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die Beschwerde über die Verwehrung ausreichender prozessualer Garantien im Verfahren über eine Ausweisung wird vom EGMR ausschließlich unter Art 1 7. ZPEMRK geprüft, auch wenn sich der Beschwerdeführer auf Art 6 und Art 13 EMRK stützt. II. Ein von einer Ausweisung betroffener Fremder muss gemäß Art 1 7. ZPEMRK über die Gründe informiert werden, auf die sich die Einschätzung der Behörden stützt, er würde die nationale Sicherheit gefährden. Er muss auch Zugang zu den Dokumenten erhalten, auf die sich die Behörden dabei stützen. III. Der eingeschränkte Zugang zu solchen Dokumenten und Informationen kann unter den besonderen Umständen des Falls gerechtfertigt sein. Mit Art 1 7. ZPEMRK sind jedoch nur Einschränkungen der Verfahrensrechte vereinbar, die angemessen gerechtfertigt sind und durch ausreichende ausgleichende Faktoren kompensiert werden. Je stärker der Zugang zu den Informationen eingeschränkt wird, desto wichtiger sind die ausgleichenden Faktoren. Was genau zum Ausgleich geboten ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Der EGMR beurteilt, ob das Verfahren insgesamt betrachtet so gestaltet war, dass der Wesenskern der durch Art 1 7. ZPEMRK garantierten Rechte gewahrt wurde. Der betroffene Fremde muss jedenfalls in der Lage sein, Gründe gegen seine Ausweisung vorzubringen, und diese darf nicht willkürlich sein. IV. Eine Ausweisung unter Verweis auf Gründe der nationalen Sicherheit, ohne der betroffenen Person nähere Informationen über die ihr vorgeworfenen Handlungen zu geben oder ihr Zugang zu den relevanten Dokumenten zu gewähren, stellt eine massive Beschränkung ihrer Verfahrensrechte dar, die durch entsprechend starke Faktoren ausgeglichen werden muss. V. Eine anwaltliche Vertretung kann die mit der Verweigerung des Zugangs zu relevanten Aktenbestandteilen verbundene Einschränkung der Verteidigungsrechte nicht ausgleichen, wenn der Anwalt selbst mangels der erforderlichen Sicherheitsfreigabe ebenfalls keinen Zugang zu den Dokumenten erhält und die betroffene Person auch nicht darüber aufgeklärt wird, wen sie beauftragen oder wie sie sonst einen Zugang zu den Akten erhalten könnte.
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Asylverfahren in Ungarn auf Grund eines pandemischen Notstands erst nach Gang zur Botschaft in Belgrad oder Kiew
LEITSATZ DES GERICHTS: I. In Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH (Art 258 ff AEUV) ist die Kognition des Gerichtshofs auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Abgabe einer Stellungnahme des belangten Mitgliedstaats beschränkt. II. Aus Art 6 RL 2013/32/EU ergibt sich, dass jeder Drittstaatsangehörige sowohl innerhalb eines Mitgliedstaates (auch nach illegaler Einreise) als auch an der Grenze einen Asylantrag stellen können muss, ohne dass dies von einer Verwaltungsformalität abhängig gemacht werden darf. III. Ein Abweichen von Art 6 RL 2013/32/EU kann nicht mit dem Schutz der Gesundheit zum Zeitpunkt einer Pandemie gerechtfertigt werden, weil die Eignung des Vereitelns des Zugangs zum Asylverfahren für den Gesundheitsschutz nicht ersichtlich ist und es gelindere Mittel gibt. IV. Für einen Mitgliedstaat, der eine unionsrechtliche Verpflichtung in seinem nationalen Recht zu suspendieren sucht, genügt es auf Rechtfertigungsebene nicht, sich unsubstantiiert auf Art 72 AEUV zu berufen.
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Fall analog Ruiz Zambrano, obwohl sich der minderjährige Unionsbürger schon außerhalb der EU befindet?
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art 20 AEUV dazu verpflichtet, drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zu erteilen, wenn anderenfalls ein faktischer Zwang auf den Unionsbürger ausgeübt würde, das Unionsgebiet zu verlassen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Unionsbürger von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat (stRsp seit EuGH 8.3.2011, C-34/09 [Ruiz Zambrano] ECLI:EU:C:2011:124). II. Hingegen kommen Drittstaatsangehörigen aus dem Institut der Unionsbürgerschaft keine originären Rechte zu. III. Kein faktischer Zwang entgegen der stRsp seit "Ruiz Zambrano" wird auf einen Unionsbürger durch Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen ausgeübt, wenn sich Ersterer schon außerhalb des Unionsgebiets befindet. Diese Judikatur kann allenfalls wieder relevant werden, wenn der Unionsbürger in Begleitung seiner drittstaatsangehörigen Bezugsperson in das Unionsgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten gedenkt. IV. Die Mitgliedstaaten dürfen einen Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht iSd Art 20 AEUV nicht mit der Begründung ablehnen, dass der Umzug in diesen Mitgliedstaat, der mit der Ausübung der Rechte des Kindes als Unionsbürger einhergeht, nicht im tatsächlichen oder glaubhaft erscheinenden Interesse des Kindes liege. Widrigenfalls würde das allgemeine Freizügigkeitsrecht, dem ein absolutes Einreiserecht des Unionsbürgers innewohnt, unzulässigerweise unter einen Vorbehalt gestellt. V. Für die Frage eines aus Art 20 AEUV zwingend abgeleiteten Aufenthaltsrechts kommt es einzig auf das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses des Unionsbürgers zum Drittstaatsangehörigen an. Dieses kann sich in rechtlicher, finanzieller und/oder affektiver Sorge äußern, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. VI. Da bei der Prüfung eines Abhängigkeitsverhältnisses alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind, ist ein solches nicht stets schon dann ausgeschlossen, wenn der drittstaatsangehörige Elternteil nicht immer die tägliche Sorge für den minderjährigen Unionsbürger wahrgenommen hat.
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