Leitsätze
1551
Keine asylrelevante Verfolgung bei mangelnder Betroffenheit durch vermeintliche Drohbriefe der Taliban
Leitsätze
I. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden. Beim Untermauern der Fluchtgründe mit vermeintlichen Drohbriefen, welche mit dem tatsächlichen Vorbringen des Betroffenen weder faktisch noch inhaltlich in Einklang zu bringen sind, scheidet eine Glaubhaftmachung aus. II. Aufgrund der Seriosität und Plausibilität von Länderfeststellungen besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
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Entscheidungsdatum: 22.06.2017
Aufbereitet am: 17.11.2017
1550
Asylrelevanz der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Opfer von systematisch organisiertem Frauenhandel"
Leitsätze
I. Unter Menschenhandel ist unter anderem die Anwerbung, Beförderung, Verbringung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht, zum Zwecke der Ausbeutung zu verstehen (vgl Art 2 Abs 1 RL 2011/36/EU). II. Frauen, die Opfer des Menschenhandels geworden sind, ist jedoch nicht generell der Flüchtlingsstatuts zuzuerkennen. Vielmehr ist auf die besonderen Umstände im Einzelfall, etwa das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative, Bedacht zu nehmen.
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Entscheidungsdatum: 19.09.2017
Aufbereitet am: 17.11.2017
1549
Das Handeln eines Vertreters (Rechtsberaters) ist dem Vertretenen zuzurechnen
Leitsätze
I. § 52 Abs 2 BFA-VG 2014 oder andere in diesem Zusammenhang maßgebliche Bestimmungen sehen keine Einschränkung des Umfangs der - an das entsprechende Ersuchen des Fremden gebundenen - Vertretung in Beschwerdeverfahren vor dem VwG vor. Die Vertretungsbefugnis eines Rechtsberaters ist in diesen Fällen also nicht beschränkt, weshalb er zur Setzung sämtlicher Akte im Verfahren vor dem BVwG berechtigt und auch verpflichtet ist. II. Dieses umfassende Tätigwerden für einen Vertretenen ist von einer bloßen Beratung und Unterstützung, die nach Maßgabe des § 48 Abs 2 BFA-VG 2014 "objektiv" zu erfolgen hat, zu unterscheiden.
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Entscheidungsdatum: 30.05.2017
Aufbereitet am: 16.11.2017
1548
Zur erheblichen Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III-Verordnung
Leitsätze
I. Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr iSd Art 3 Dublin III-Verordnung ist unter anderem zu berücksichtigen, ob sich der Fremde einem Verfahren auf internationalen Schutz entzogen hat. II. Die Notwendigkeit der Schubhaft kann sich auch daraus ergeben, dass sich der Fremde in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise falsche Angaben gemacht hat.
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Entscheidungsdatum: 20.06.2017
Aufbereitet am: 16.11.2017
1547
Rückkehr in den Verfolgerstaat zwecks Besuches eines kranken Familienmitgliedes stellt Endigungsgrund für Asylgewährung dar
Leitsätze
I. Die Ausstellung eines Reisepasses muss idR als eine der Formen angesehen werden, mit denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt. Anderes kann nur gelten, wenn Umstände vorliegen, die die Freiwilligkeit des Verhaltens des Antragstellers in Frage stellen. II. Auch die Rückkehr in den Verfolgerstaat erfüllt den Tatbestand der Unterschutzstellung und stellt einen Endigungsgrund der Schutzberechtigung dar.
Entscheidungsdatum: 21.08.2017
Aufbereitet am: 15.11.2017
1546
"Von klein auf im Inland aufgewachsen" gilt auch für EWR-Bürger/innen
Leitsätze
I. Dem Wortlaut nach findet § 9 Abs 4 BFA-VG nur für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen rechtmäßig niedergelassene Drittstaatsangehörige Anwendung. Da dies zu einem Wertungswiderspruch und einer Schlechterstellung von EWR-Bürgern führen würde, ist diese Bestimmung auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG zu berücksichtigen. II. Die Wendung "von klein auf" in § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG erfasst Personen, die vor Vollendung des vierten Lebensjahres nach Österreich eingereist oder hier geboren sind und sich danach nicht wieder für längere Zeit ins Ausland begeben haben, sondern schon im Kleinkindalter sozial in Österreich integriert wurden. III. Der kroatische Beschwerdeführer ist von klein auf in Österreich aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen iSd § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG. Kurze Aufenthalte in Kroatien oder in Bosnien und Herzegowina zu Besuchs- und Urlaubszwecken ändern daran nichts. IV. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist trotz schwerwiegender Delinquenz und daraus folgender Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe aufgrund der Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers unzulässig, da § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG diesbezüglich keine Einschränkung enthält. V. Da § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG dem § 64 Abs 1 Z 2 FPG idF BGBl I 38/2011 nachgebildet ist, ist die dazu ergangene Rsp übertragbar, eine Revision somit nicht zuzulassen.
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Entscheidungsdatum: 01.08.2017
Aufbereitet am: 14.11.2017
1545
Karenz führt zum Verlust der Arbeitnehmer-Eigenschaft gemäß § 51 Abs 1 Z 1 NAG
Leitsätze
I. Aus § 51 Abs 2 NAG ergibt sich, dass die Beendigung der Ausübung der Erwerbstätigkeit grundsätzlich zum Verlust der Erwerbstätigen-Eigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger führt, sofern die Erwerbstätigen-Eigenschaft nicht aus besonderen Gründen erhalten bleibt. II. Als Konsequenz der weiten Auslegung des Arbeitnehmer-Begriffs des Art 45 AEUV - über den Wortlaut des Art 7 Abs 3 der UnionsbürgerRL hinaus - sind weitere Fälle denkbar, in denen die Erwerbstätigen- bzw Arbeitnehmer-Eigenschaft trotz Nichtausübung der Erwerbstätigkeit erhalten bleibt.
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Entscheidungsdatum: 11.08.2017
Aufbereitet am: 13.11.2017
1544
Zurückweisung afrikanischer Migranten nach ihrem Eindringen in die spanische Enklave Melilla ohne Verfahren verstößt gegen das Verbot der Kollektivausweisung
Leitsätze
I. Die Hoheitsgewalt Spaniens erstreckt sich auch auf die Grenzzäune, von denen die spanische Enklave Melilla umgeben ist. Es spielt dabei keine Rolle, ob sich die Zäune auf spanischem oder marokkanischem Territorium befinden, da die spanischen Behörden jedenfalls wirksame Kontrolle über jene Personen ausüben, die sich auf bzw zwischen den Zäunen befinden. II. Wenn es einem Fremden gelingt, nach einer ersten Ab- bzw Zurückschiebung erneut in den Mitgliedstaat einzureisen, ändert dies nichts an seiner Opfereigenschaft hinsichtlich der durch die erste Abschiebung verursachten Konventionsverletzungen, solange diese nicht Gegenstand des zweiten Verfahrens waren. III. Unter einer Kollektivausweisung iSv Art 4 4. ZPEMRK ist jede Maßnahme zu verstehen, die Ausländer als Gruppe zum Verlassen des Landes zwingt, ohne dass zuvor eine angemessene und objektive Prüfung der spezifischen Situation jedes Einzelnen vorgenommen wurde. Unter Ausweisung ist dabei jedes dem Staat zurechenbare Verhalten zu verstehen, durch das ein Ausländer gezwungen wird, das Territorium dieses Staates zu verlassen. Allerdings stehen weder der Wortlaut der Bestimmung noch die travaux préparatoires einer extraterritorialen Anwendung dieser Bestimmung entgegen. IV. Die Zurückweisung von Flüchtlingen nach ihrer Festnahme beim Versuch, die Zäune an der Grenze zwischen Marokko und Melilla zu überklettern, stellt eine Ausweisung iSv Art 4 4. ZPEMRK dar. Da sich diese Maßnahme gegen eine Gruppe von 75 bis 80 Personen richtete und ergriffen wurde, ohne dass zuvor irgendein Verfahren durchgeführt und eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen worden wäre und ohne dass die Betroffenen identifiziert wurden, liegt eine Kollektivausweisung vor. Diese verstößt gegen Art 4 4. ZPEMRK. V. Da die Betroffenen in dieser Situation jeder Aussicht auf Erhebung eines Rechtsmittels gegen ihre Ausweisung beraubt wurden, liegt auch eine Verletzung von Art 13 EMRK vor.
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Entscheidungsdatum: 03.10.2017
Aufbereitet am: 10.11.2017
1543
Beinahe drei Jahre dauernde Anhaltung einer psychisch kranken Person in Schubhaft
Leitsätze
I. Wenn sich ein Beschwerdeführer in einem Rechtsmittel gegen seine Schubhaft auf innerstaatliche Standards berufen hat, die jenen des Art 5 EMRK entsprechen, ist von einer Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs auszugehen. Es ist nicht erforderlich, dass im nationalen Haftprüfungsverfahren jedes einzelne Element des Art 5 EMRK ausdrücklich geltend gemacht wurde. II. Die Anforderung der "Rechtmäßigkeit" iSv Art 5 Abs 1 EMRK verlangt auch, dass jede Freiheitsentziehung mit dem Ziel des Schutzes des Einzelnen vor willkürlicher Haft vereinbar ist. III. Wenn eine Person nach Art 5 Abs 1 lit f EMRK angehalten wird, während ein Ausweisungsverfahren anhängig ist, muss die Anhaltung nicht notwendig sein, um eine Flucht zu verhindern. Irrelevant für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Haft ist auch, ob die Ausweisung als solche mit der EMRK vereinbar ist. IV. Ein innerstaatliches Schubhaftsystem kann auch dann mit Art 5 Abs 1 lit f EMRK vereinbar sein, wenn es keine fixe Höchstdauer und keine automatische Überprüfung der Rechtmäßigkeit vorsieht, aber stattdessen der angehaltenen Person gestattet, jederzeit die Rechtmäßigkeit der Haft anzufechten. V. Eine Anhaltung nach Art 5 Abs 1 lit f EMRK ist nur solange rechtmäßig, als das Ausweisungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt vorangetrieben wird. Eine psychisch kranke Person, die in Schubhaft angehalten wird, ist besonders vulnerabel. Daraus folgt eine erhöhte Sorgfaltspflicht der Behörden, sicherzustellen, dass die Anhaltung so kurz wie möglich dauert. Diese Verpflichtung bezieht sich auch auf die Durchführung des Asylverfahrens und die Entscheidung über darin eingelegte Rechtsmittel. Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt betrieben, weshalb die Anhaltung des psychisch kranken Beschwerdeführers in Schubhaft gegen Art 5 Abs 1 EMRK verstieß.
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Entscheidungsdatum: 22.06.2017
Aufbereitet am: 09.11.2017
1542
Mutwillensstrafe wegen offensichtlich unberechtigter Folgeanträge
Leitsätze
Vor allem der chronologische Hergang der einzelnen Folgeanträge zeigt zweifelsfrei, dass die Beschwerdeführer im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit bzw der Nutz- und Zwecklosigkeit ihre neuerlichen Anträge stellten. Aufgrund der erfolgten Rechtsberatung liegt auch offen auf der Hand, dass die drittmalige Inanspruchnahme des BFA wider besseren Wissens geschah und dies für jedermann erkennbar war bzw ist.
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Entscheidungsdatum: 04.08.2017
Aufbereitet am: 08.11.2017
1541
Ausschluss der Glaubhaftigkeit von Fluchtgründen bei Fehlen näherer Angaben zum Vorwurf einer Straftat
Leitsätze
Einem Asylwerber obliegt es, seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern.
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Entscheidungsdatum: 27.07.2017
Aufbereitet am: 07.11.2017
1540
IS Sympathisanten in der Bewährungszeit
Leitsätze
In Zeiten des internationalen Terrors durch den Islamischen Staat (IS) erscheint es geradezu fatal, von einem einschlägig verurteilten Straftäter während der Bewährungsfrist nach vorzeitiger Entlassung aus der Strafhaft bereits davon auszugehen, dass dieser der Ideologie des IS dauerhaft abgeschworen hat.
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Entscheidungsdatum: 29.06.2017
Aufbereitet am: 06.11.2017
1539
Zulässigkeit der Auslieferung in die USA aufgrund einer diplomatischen Zusicherung, die betroffene Person nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Entlassung zu verurteilen
Leitsätze
I. Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe über einen erwachsenen Straftäter verstößt als solche nicht gegen Art 3 EMRK oder eine andere Bestimmung der Konvention. Die lebenslange Freiheitsstrafe kann jedoch in Konflikt mit Art 3 EMRK geraten, wenn sie de facto oder de jure nicht herabsetzbar ist. Der Verurteilte muss also eine Hoffnung auf Entlassung haben. II. Die lebenslange Freiheitsstrafe muss einer Überprüfung dahingehend zugänglich sein, ob sie nach wie vor zur Erreichung der Strafzwecke geboten ist. Der Gefangene muss von Anfang an wissen, wann eine solche Überprüfung stattfindet oder beantragt werden kann, unter welchen Voraussetzungen eine Entlassung möglich ist und wie er sich zu verhalten hat, um eine solche zu erreichen. III. Eine Auslieferung verstößt gegen Art 3 EMRK, wenn der auszuliefernden Person im ersuchenden Staat eine nicht herabsetzbare lebenslange Freiheitsstrafe droht. IV. Eine Auslieferung ist zulässig, wenn die Verhängung lebenslanger Haft für das der betroffenen Person vorgeworfene Delikt zwar möglich, in ihrem konkreten Fall aber angesichts der geltenden Richtlinien und der gerichtlichen Praxis sehr unwahrscheinlich ist.
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Entscheidungsdatum: 12.12.2017
Aufbereitet am: 04.11.2017
1538
Verkürzung der Beschwerdefrist - Aufhebung von Bestimmungen des BFA-VerfahrensG
Leitsätze
Mangels Erforderlichkeit einer vom VwGVG abweichenden Regelung werden Bestimmungen des BFA-VG über die verkürzte Frist für Beschwerden gegen negative Entscheidungen über die Zuerkennung und Aberkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten im Falle einer damit verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme als verfassungswidrig aufgehoben.
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Entscheidungsdatum: 26.09.2017
Aufbereitet am: 03.11.2017
1537
Bindung an den Obsorgebeschluss auch bei gegenteiliger Altersangabe durch den Antragsteller
Leitsätze
I. Der Gerichtsbeschluss über die Betrauung der Kinder- und Jugendhilfe mit der Obsorge eines Minderjährigen ist bindend, solange er dem Rechtsbestand angehört. II. Das BFA ist verpflichtet, den gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Asylwerbers zur Einvernahme zu laden und diesen nur in Beisein seines gesetzlichen Vertreters zu befragen.
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Entscheidungsdatum: 19.10.2017
Aufbereitet am: 03.11.2017
1536
Zum notwendigen Krankenversicherungsschutz iSd § 11 Abs 2 Z 3 NAG
Leitsätze
I. Ein alle Risiken abdeckender Krankenversicherungsschutz einer Privatversicherung iSd § 11 Abs 2 Z 3 NAG-2005 liegt nur dann vor, wenn der Leistungsumfang der Privatversicherung im Wesentlichem jenem der gesetzlichen Pflichtversicherung entspricht. II. Unerheblich ist im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Privatversicherung gemäß § 11 Abs 2 Z 3 NAG-2005, ob bzw unter welchen Konditionen eine entsprechende Privatversicherung am Markt angeboten wird, kann doch die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestands nicht von einem solchen Umstand abhängen. III. Es kommt auch nicht darauf an, wie die diesbezügliche Regelung im FrPolG-2005 im Hinblick auf den Visakodex auszulegen ist, geht es doch dabei nicht um die Erteilung eines Visums nach dem FrPolG-2005, sondern um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem NAG-2005. IV. Zwar ist auch der Leistungsumfang der gesetzlichen Pflichtversicherung nicht unbeschränkt, setzt doch der Versicherungsfall der Krankheit neben dem Vorliegen einer Krankheit als regelwidrigem Körper- und Geisteszustand die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung, bei Anstaltspflege zudem das Erfordernis einer stationären Behandlung, voraus. Demnach besteht eine Leistungspflicht der gesetzlichen Pflichtversicherung für "Behandlungsfälle", nicht jedoch für bloße "Asylierungsfälle" oder "Pflegefälle". Krankenhausaufenthalte, die nur die fehlende häusliche Pflege ersetzen, ohne der erfolgversprechenden Behandlung der Krankheit zu dienen oder eine Unterbringung, die eine im öffentlichen Interesse liegende Gefahrenabwehr bezweckt (zB Ausnüchterung nach missbräuchlichem Alkoholkonsum), sind von der Leistungspflicht der gesetzlichen Pflichtversicherung nicht umfasst. V. Sieht die Privatversicherung Leistungsausschlüsse nicht nur in Bezug auf "Asylierungs- oder Pflegefälle", sondern ebenso für "Behandlungsfälle" vor, so bleibt der Leistungsumfang der Privatversicherung hinter jenem der gesetzlichen Pflichtversicherung zurück. Eine derart gestaltete Privatversicherung stellt keinen Nachweis eines "alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutzes" iSd § 11 Abs 2 Z 3 NAG-2005 dar.
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Entscheidungsdatum: 07.12.2016
Aufbereitet am: 02.11.2017
1535
Zweieinhalb Jahre dauernde Schubhaft während Gültigkeit einer vorläufigen Maßnahme des EGMR, die der Abschiebung entgegenstand
Leitsätze
I. Die Anhaltung einer Person, gegen die iSv Art 5 Abs 1 lit f EMRK "ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist" setzt voraus, dass eine realistische Aussicht auf eine Abschiebung besteht. Eine Empfehlung des EGMR nach Art 39 VerfO, von einer Abschiebung abzusehen, kann nicht als Rechtfertigung dafür herangezogen werden, eine Person unbefristet anzuhalten, ohne ihren rechtlichen Status zu klären. II. Die Tatsache, dass ein Ausweisungsverfahren wegen einer Empfehlung des EGMR nach Art 39 VerfO vorübergehend ausgesetzt wird, macht für sich alleine die Schubhaft nicht unrechtmäßig, solange die Behörden nach wie vor die Ausweisung anstreben und damit ein Ausweisungsverfahren "im Gange ist". III. Die Schubhaft wird nicht unverhältnismäßig verlängert, wenn die Behörden ein Leiturteil des EGMR in einem ähnlichen Fall (hier: Zulässigkeit von Abschiebungen nach Mogadischu) und die damit verbundene Aufhebung einer vorläufigen Maßnahme abwarten. IV. Einen in Schubhaft angehaltenen Beschwerdeführer in Entscheidungen über die Fortsetzung der Schubhaft in sachlichen und neutralen Formulierungen auf die Möglichkeit einer Verkürzung der Haft durch die Zurückziehung der Beschwerde an den EGMR und die freiwillige Ausreise hinzuweisen, bedeutet keine gegen Art 34 EMRK verstoßende Ausübung unzulässigen Drucks, um ihn von der Weiterverfolgung seiner Beschwerde abzubringen.
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Entscheidungsdatum: 02.03.2017
Aufbereitet am: 31.10.2017
1534
Ausweisung eines als Kleinkind eingewanderten Nigerianers wegen fortgesetzter schwerer Straffälligkeit
Leitsätze
I. Die Ausweisung eines langjährig niedergelassenen Fremden, der ein Kind mit einer Angehörigen des Aufenthaltsstaats hat, begründet einen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Bei der Beurteilung, ob ein solcher Eingriff notwendig ist, kommt den Mitgliedstaaten ein gewisser Ermessensspielraum zu. Dieser geht allerdings mit einer "europäischen Kontrolle" einher, weshalb dem EGMR die Letztentscheidung darüber zusteht, ob eine Ausweisung mit Art 8 EMRK vereinbar ist. II. Die Notwendigkeit einer "europäischen Kontrolle" bedeutet nicht, dass der EGMR bei der Entscheidung darüber, ob die angefochtene Maßnahme einen fairen Ausgleich zwischen den berührten Interessen getroffen hat, eine neue Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 8 EMRK durchführen muss. Es ist bei Fällen, die eine behauptete Verletzung von Art 8 EMRK betreffen, vielmehr nicht Sache des EGMR, seine eigene Einschätzung an die Stelle jener der unabhängigen und unparteiischen nationalen Gerichte zu stellen, wenn diese die Tatsachen sorgfältig erhoben, die Menschenrechtsstandards entsprechend der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR angewandt und die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers angemessen gegen das allgemeine öffentliche Interesse abgewogen haben. Etwas anderes gilt nur, wenn starke Gründe für ein Abweichen von diesem Ansatz sprechen. III. Im vorliegenden Fall kamen die innerstaatlichen Behörden und Gerichte nach einer sorgfältigen und gründlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 8 EMRK unter Heranziehung der relevanten, in der Judikatur des EGMR entwickelten Kriterien, zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers keinen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens begründen würde. Angesichts seiner langen und eskalierenden Straffälligkeit, die er nach einer Verwarnung und nach Erreichen der Volljährigkeit fortgesetzt hat, sieht der EGMR keinen Grund, die Entscheidung der innerstaatlichen Behörden in Zweifel zu ziehen. Des Weiteren liegen auch keine wesentlichen Änderungen der Umstände des Beschwerdeführers seit der letzten innerstaatlichen Entscheidung vor. IV. In Ausweisungsfällen können Fremde im Hinblick auf Art 14 EMRK nicht mit den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaats verglichen werden, die ein Aufenthaltsrecht haben und nicht ausgewiesen werden können.
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Entscheidungsdatum: 14.09.2017
Aufbereitet am: 30.10.2017
1533
Keine Parteistellung einer Gemeinde im Verfahren nach dem BVG über die Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden
Leitsätze
Mangels Parteistellung einer Gemeinde nach dem BVG-Unterbringung kommt es durch die Zurückweisung der Beschwerde der Stadt Wels gegen einen Bescheid des Innenministers in Ausübung des Durchgriffsrechts für die Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden zu keiner Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte.
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Entscheidungsdatum: 28.09.2017
Aufbereitet am: 27.10.2017
1532
Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie
Leitsätze
I. Wenn die Beschwerdeführerin nicht wegen einer von ihr selbst vertretenen politischen Überzeugung verfolgt wird, ihr als Verwandter der politisch Verfolgten jedoch Übergriffe im Sinne einer sogenannten "Sippenhaftung" drohen, stellt dies eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nämlich der Familie, dar. II. Selbst wenn diese Verfolgung nicht von staatlichen Stellen ausgehen sollte, aber nicht damit gerechnet werden kann, dass der staatliche Sicherheitsapparat vor Übergriffen schützen werde, ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihren Heimatstaat einer Verfolgung ausgesetzt wäre.
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Entscheidungsdatum: 24.11.2014
Aufbereitet am: 25.10.2017