Leitsätze
2692
Unzureichende Untersuchung eines Zwischenfalls in der Ägäis, bei dem mehrere Migranten und Migrantinnen nach einem missglückten Abschleppversuch ertrunken waren
Leitsätze
I. Nach einem tödlichen Schiffsunglück, an dem ein Boot der Küstenwache beteiligt war, muss eine angemessene Untersuchung zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit durchgeführt werden. Die Opfer bzw deren Angehörige müssen angemessen in das Verfahren eingebunden werden. Die Untersuchung muss sich auch darauf beziehen, ob der Einsatz angemessen vorbereitet und organisiert wurde. II. Es kann von staatlichen Organen nicht erwartet werden, dass ihnen in einer Gefahrensituation auf Hoher See in jedem Fall die Rettung bzw Bergung jeder Person gelingt. Die Küstenüberwachungsorgane trifft in diesem Kontext eine Verpflichtung, die entsprechenden Mittel bereitzustellen, nicht aber eine Verpflichtung zur Erzielung bestimmter Resultate. III. Bei Einsätzen der Küstenwache muss das übergeordnete Ziel darin bestehen, das Leben der in Seenot geratenen Personen zu retten. Die Planung und Durchführung von Einsätzen muss diesem Ziel gerecht werden. IV. Die Durchführung einer Leibesvisitation, bei der sich die betroffenen Personen in Gegenwart zahlreicher anderer Personen entkleiden müssen, stellt eine erniedrigende Behandlung dar.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 07.07.2022
Aufbereitet am: 10.03.2023
2691
Unterstellte oppositionelle Gesinnung von syrischen Staatsangehörigen
Leitsätze
I. Das syrische Regime ist besonders rasch darin, ausgereisten Staatsangehörigen eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen. Dieses Phänomen tritt gerade bei Wehrdienstverweigerung auf. II. Für die Beurteilung der Asylberechtigung von (behaupteten) syrischen Wehrdienstverweigerern sind folgende Parameter in Rechnung zu stellen: Vorliegen eines konkreten Einberufungsbefehls; wehrfähiges Alter (eine Rekrutierung trotz Überschreitens kommt idR nur bei besonders Qualifizierten vor); bereits abgeschlossene Absolvierung des Militärdiensts; Kontrolle der Heimatregion durch staatliche Organe; Kenntnis des syrischen Regimes vom Aufenthalt in Österreich und dem dortigen Asylverfahren.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 02.10.2022
Aufbereitet am: 09.03.2023
2690
Beginn der operativen Geschäftstätigkeit erst mit Anstellung der Schlüsselkraft
Leitsätze
I. Der Beschäftiger hat zwar nach § 4b Abs 1 letzter Satz AuslBG den Nachweis über die zur Ausübung der Beschäftigung erforderliche Ausbildung oder sonstige besondere Qualifikation der gewünschten Arbeitskraft zu erbringen. Die Behörde ist in diesem Rahmen aber grundsätzlich an das von der antragstellenden Partei formulierte Anforderungsprofil gebunden. II. Es ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der VwGH-Rsp, dass der Arbeitsplatz, der besetzt werden soll, bereits zuvor von einem anderen Arbeitnehmer ausgefüllt gewesen sein muss, also im Betrieb des Arbeitgebers nicht neu geschaffen worden sein darf. III. Eine Anforderung, wonach der Arbeitsplatz zur Aufrechterhaltung eines bereits laufenden Geschäftsbetriebs erforderlich wäre oder in einem laufenden Unternehmen nicht im Hinblick auf eine Änderung des Geschäftsmodells erforderlich geworden sein dürfe, postuliert weder das Gesetz noch die höchstgerichtliche Rsp, soll doch grundsätzlich der Bedarf des Arbeitgebers nach seinem Anforderungsprofil entsprechenden Arbeitskräften befriedigt werden. IV. Nur dann, wenn der im Antrag angeführte Arbeitsplatz im Betrieb des Arbeitgebers tatsächlich nicht besetzt werden soll, die Arbeitskraft also gar nicht oder nicht in der behaupteten Art und Weise beschäftigt werden soll, hätte dies zur Antragsabweisung zu führen. V. Es schadet nicht, wenn die Arbeitgeberin (eine bereits im Firmenbuch eingetragene GesmbH) eine operative Tätigkeit bislang noch nicht entfaltet hat, wenn eine solche entsprechend dem festgestellten Geschäftsplan tatsächlich beabsichtigt ist und bei Besetzung des Arbeitsplatzes aufgenommen werden würde. Dass diese Tätigkeit erst mit dem auf die zu besetzende Arbeitsstelle aufzunehmenden Arbeitnehmer begonnen werden soll, kann eine Abweisung des Antrags oder das Unterlassen einer Arbeitsmarktprüfung daher nicht begründen. VI. Wenn argumentiert wird, dass eine eigene Rot-Weiß-Rot - Karte für Start-up-Gründer vorgesehen sei, und in diesem Zusammenhang auf § 41 NAG und § 24 AuslBG verwiesen wird, ist dies im Hinblick auf eine beabsichtigte unselbstständige Beschäftigung nicht tragfähig. Bereits der Überschrift zu § 24 AuslBG lässt sich entnehmen, dass sich diese Bestimmung auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit von Ausländern bezieht. VII. Eher spricht der sich aus § 24 AuslBG ergebende Umstand, dass bereits für eine erst beabsichtigte Erwerbstätigkeit eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden kann, und die in diesem Zusammenhang ausdrücklich angeführte Möglichkeit der Schaffung neuer Arbeitsplätze dafür, dass auch bei unselbstständigen Arbeitnehmern die Durchführung eines Verfahrens für erst zu besetzende Stellen nicht von vornherein ausgeschlossen ist. VIII. Der Umstand allein, dass zunächst noch keine Gewinne erwirtschaftet werden, lässt nicht den Schluss zu, dass die Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht eingehalten werden, kann ein Unternehmen - gerade auch zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit - doch auch über weiteres Fremd- oder Eigenkapital, also eine Kreditfinanzierung oder durch Nachschüsse der Gesellschafter ins Gesellschaftsvermögen, finanziert werden.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 01.09.2022
Aufbereitet am: 08.03.2023
2689
Tatsächliche Realisierbarkeit der Abschiebung im Hinblick auf volatile Sicherheitslage in Afghanistan
Leitsätze
Durch die Anhaltung eines afghanischen Staatsangehörigen in Schubhaft wird dieser im Recht auf Freiheit und Sicherheit verletzt, da es an einer Einzelfall- und Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die tatsächliche Realisierbarkeit einer zeitnahen Abschiebung vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Afghanistan mangelte.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 04.10.2022
Aufbereitet am: 07.03.2023
2688
Krankheitsbedingte Schmerzsymptome als Rückkehrhindernis
Leitsätze
I. Hinsichtlich der Auslegungen nationaler Rechtsvorschriften ist der EuGH in Verfahren iSd Art 267 AEUV an die Fragen des vorlegenden Gerichts gebunden, mag diese Auslegung auch umstritten sein. II. Auch Schmerzen können – ungeachtet des konkreten Krankheitsbilds – (insb aufgrund fehlender Therapien) die Erheblichkeitsschwelle des Art 3 EMRK/Art 4 GRC überschreiten. Tatbildlich ist eine rasche, erhebliche und unumkehrbare Zunahme der Schmerzen im Zielstaat. "Rasch" ist aber iS eines zeitlichen Konnexes, nicht iS einer unmittelbaren Verschlechterung nach Rückkehr zu verstehen. III. Den Mitgliedstaaten ist es grundrechtlich untersagt, für die Zunahme von Schmerzen im Lichte des Refoulementverbots eine bestimmte Frist zu bestimmen, innerhalb derer es ab der Rückkehr dazu kommen muss. IV. Die Gewährleistung der medizinischen Versorgung, um eine refoulementverbotswidrige Schmerzzunahme (II.) hintanzuhalten, muss nicht nur während des Abschiebeprozederes, sondern auch nach dessen Abschluss gewährleistet sein. V. Die Wahl und Inanspruchnahme von medizinischen Therapien ist als Teil des "Privatlebens" von Art 7 GRC geschützt. VI. Wenn medizinisch bedingte Schmerzzunahmen schon die Erheblichkeitsschwelle des absolut gewährten Art 4 GRC nicht erreichen, dann steht auch der – Einschränkungen zugängliche – Art 7 GRC der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht entgegen.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 22.11.2022
Aufbereitet am: 06.03.2023
2687
Revisionseinbringung per E-Mail außerhalb der Amtsstunden
Leitsätze
Aus der Kundmachung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts vom 13.8.2020 ergibt sich, dass die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit von Montag bis Freitag (werktags) - sofern es sich dabei nicht um den Karfreitag oder den 31.12. handelt - mit 7.30 Uhr bis 13.00 Uhr festgelegt sind und dass sämtliche per Telefax oder E-Mail eingebrachten Anbringen nur während der Amtsstunden entgegengenommen werden können, weshalb die außerhalb dieser Amtsstunden an die Empfangsgeräte des Verwaltungsgerichts übermittelten Angaben auch dann, wenn sie bereits in den Verfügungsbereich des Verwaltungsgerichts gelangt sind, erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden als eingebracht (und eingelangt) gelten.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 12.09.2022
Aufbereitet am: 03.03.2023
2686
Eigenschaft als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ungeachtet einer Heirat
Leitsätze
I. In Konstellationen, in denen es sich in Rechtssachen der Familienzusammenführung beim Zusammenführenden um einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling iSd Art 2 lit f RL 2003/86/EG handelt, ist für dessen Eigenschaft als solcher eine von ihm geschlossene Ehe nicht abträglich. Dabei spielt auch die Frage der Rechtsgültigkeit dieser Ehe im Mitgliedstaat des Aufenthalts keine Rolle. II. Die Dublin III-VO (604/2013) ist für die Familienzusammenführung nicht relevant, sodass bei der Auslegung von Begriffen der RL 2003/86/EG (FamilienzusammenführungsRL) nicht in einer Zusammenschau mit der genannten VO zu operieren ist.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 17.11.2022
Aufbereitet am: 02.03.2023
2685
Zur Aberkennung des Status eines Asylberechtigten aufgrund besonders schwerer Verbrechen iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG
Leitsätze
I. Das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen iVm dem Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses stellt jedenfalls ein "besonders schweres Verbrechen" iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG dar, aufgrund dessen der Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AsylG amtswegig abzuerkennen ist. II. Bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG vorliegt, ist eine einzelfallbezogene Prüfung unter Berücksichtigung der Tatumstände vorzunehmen. Eine eindeutige Wertung als besonders schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose ohne eingehende Prüfung ist nur in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen zulässig. III. Stetige Leugnung eines begangenen Verbrechens, mangelnde Reue sowie fehlende Schuldeinsicht und fehlendes Unrechtsbewusstsein deuten im Rahmen der nach § 6 Abs 1 Z 4 AsylG durchzuführenden Gefährdungsprognose auf das Vorliegen einer Gemeingefährlichkeit der fremden Person hin.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 10.10.2022
Aufbereitet am: 01.03.2023
2684
Zweckänderungsantrag zugleich Verlängerungsantrag
Leitsätze
I. Zweckänderungsanträge nach Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels sind als Verlängerungsanträge nach § 24 Abs 4 NAG zu werten, unabhängig davon, ob sie kurz vor Ablauf des innegehabten Aufenthaltstitels oder früher gestellt worden sind. II. Ein Zweckänderungsantrag bezweckt jedenfalls auch die Verlängerung des Aufenthaltsrechts in Österreich. III. Die Deutung des Zweckänderungsantrags nach Ablauf der Gültigkeit der bisherigen Aufenthaltsbewilligung (auch) als Verlängerungsantrag dient der Wahrung der Rechtmäßigkeit des Inlandsaufenthalts der Fremden und ist nicht vor dem Hintergrund allfälliger Erfolgschancen eines solchen Verlängerungsantrags zu sehen.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 15.09.2022
Aufbereitet am: 28.02.2023
2683
Rechtsstaatliche Erfordernisse an die Akteneinsicht im Asylverfahren im digitalen Zeitalter; "schriftliche" Bescheiderlassung
Leitsätze
I. Das Recht auf Akteneinsicht im Asylverfahren durch die rechtsfreundliche Vertretung, wie es in Art 23 Abs 1 RL 2013/32/EU ausgestaltet wird, bezieht sich auf alle (in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht) entscheidungserheblichen Aktenstücke. II. Auch die Metadaten des (elektronischen) Akts (Zugriffe, Änderungen, etc) sowie dessen Struktur und Chronologie können entscheidungserheblich sein und müssen daher gemäß Art 23 Abs 1 RL 2013/32/EU im Zuge der Akteneinsicht offengelegt werden. Ob dies in der mitgliedstaatlichen Behördenpraxis gewährleistet ist, unterliegt als Tatfrage der Prüfung durch das vorlegende Gericht. Allerdings kann der geschilderte Umfang der Akteneinsicht hinsichtlich einzelner Bestandteile aus Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden. III. Das (elektronische) Format der Gewährung von Akteneinsicht wird unionsrechtlich nicht vorgegeben: Es müssen nur die in I. und II. genannten Bestandteile und Umstände offengelegt werden, soweit sie entscheidungserheblich sind. Dass für deren vollständige Ermittelbarkeit allenfalls eine kostenlose Software heruntergeladen werden muss, ist als nicht schwerwiegender Eingriff mit Art 47 GRC vereinbar (iSd Art 52 Abs 1 GRC). IV. Das in Art 11 Abs 1 RL 2013/32/EU statuierte Gebot, Bescheide "schriftlich" auszufertigen, bedeutet (anders als in der Terminologie des deutschen und österreichischen Zivilrechts) nicht, dass sich auf der Ausfertigung die (Original-)Unterschrift des Organwalters befinden muss.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 01.12.2022
Aufbereitet am: 27.02.2023
2682
Keine Belehrung über Zusatzantrag gemäß § 21 Abs 3 NAG
Leitsätze
I. Eine Konstellation, in der ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulässigerweise im Inland gestellt wurde, fällt zwar nicht in den Anwendungsbereich des § 21 Abs 1 und 3 NAG, allerdings ist dann, wenn der Fremde den Antrag noch zulässigerweise im Inland gestellt, dann aber die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts überschritten hat, der Versagungsgrund nach § 11 Abs 1 Z 5 NAG verwirklicht. II. Bei Verwirklichung des Versagungsgrundes des § 11 Abs 1 Z 5 NAG hat (mangels Anwendbarkeit des § 21 Abs 3 NAG) keine Belehrung über einen Zusatzantrag zu ergehen, sondern ist vom Verwaltungsgericht eine Interessenabwägung iSv § 11 Abs 3 NAG vorzunehmen.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 22.09.2022
Aufbereitet am: 24.02.2023
2681
Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit ist kein Freizügigkeitssachverhalt
Leitsätze
I. § 57 NAG stellt auf die Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts iSv Art 7 Abs 1 lit a, b oder c der RL 2004/38/EG ab. Die Unionsbürger-RL regelt allein die Voraussetzungen, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als in den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten darf. Ohne Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhalts iSd Art 3 der Unionsbürger-RL ist diese nicht anzuwenden. II. Mit dem bloßen Erbringen von Dienstleistungen an Kunden in anderen Mitgliedstaaten wird nicht vom Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat iSd § 57 NAG Gebrauch gemacht.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 08.09.2022
Aufbereitet am: 23.02.2023
2680
Befreiungsschein nach § 4c Abs 2 AuslBG verschafft per se keine Niederlassung iSd NAG
Leitsätze
I. Wer die Rechtsstellung gemäß Art 6 Abs 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 innehat, ist als niedergelassen iSd § 2 Abs 2 NAG anzusehen. II. Die Erteilung eines Befreiungsscheins nach § 4c Abs 2 AuslBG verschafft kein Beschäftigungs- oder Aufenthaltsrecht, sondern hat für die Anerkennung der unmittelbar aus dem ARB 1/80 gewährten Rechte nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion. Alleine mit der Ausstellung eines Befreiungsscheins ist keine Niederlassung iSd § 2 Abs 2 NAG verbunden.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 27.09.2022
Aufbereitet am: 22.02.2023
2679
Zum aufrechten Einreiseverbot als absoluten Versagungsgrund für einen Aufenthaltstitel
Leitsätze
I. § 11 Abs 1 Z 1 NAG stellt auf das Bestehen eines aufrechten Einreiseverbots ab. Für das Vorliegen dieses Erteilungshindernisses ist es nicht von Belang, aus welchen Gründen das Einreiseverbot erlassen wurde bzw ob das Einreiseverbot nach Ansicht des Revisionswerbers zu Unrecht verhängt wurde. II. Beim Erteilungshindernis nach § 11 Abs 1 Z 1 NAG handelt es sich um einen absoluten Versagungsgrund, bei dessen Vorliegen § 11 Abs 3 NAG nicht anwendbar und demnach keine Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK vorzunehmen ist. III. Das automatische, keine Abwägung im Hinblick auf Art 8 EMRK ermöglichende Anknüpfen von § 11 Abs 1 Z 1 NAG an das Bestehen eines aufrechten Einreiseverbots (bzw Aufenthaltsverbots) begegnet keinen verfassungs- oder unionsrechtlichen Bedenken. Für eine Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens sprechende Gründe sind bei Erlassung des Einreiseverbots zu berücksichtigen. Maßgebliche nachträgliche Änderungen können - sofern nicht ohnehin eine Aufhebung des Einreiseverbots in Betracht kommt - im Zuge eines Antrags nach § 55 AsylG ins Treffen geführt werden. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG führt nach § 60 Abs 3 Z 2 FPG wiederum zur Gegenstandslosigkeit der Rückkehrentscheidung und damit auch des Einreiseverbots. IV. Ob im Falle der Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels für den Revisionswerber dessen österreichische Ehefrau und das gemeinsame Kind im Kernbestand ihrer Unionsbürgerrechte beeinträchtigt und gezwungen wären, das Unionsgebiet zu verlassen, ist im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu beurteilen, deren Ergebnis nur dann der VwGH-Kontrolle unterliegt, wenn die Beweiswürdigung in die Rechtssicherheit beeinträchtigender, unvertretbarer Weise vorgenommen worden ist.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 08.09.2022
Aufbereitet am: 21.02.2023
2678
Irrtümliche Einbringung der Revision beim VwGH oder "Die ansonsten stets zuverlässige Kanzleikraft zur Vorweihnachtszeit"
Leitsätze
Die irrtümliche Einbringung der Revision beim VwGH stellt kein bloßes Versehen bei der Abwicklung technischer Vorgänge bzw manipulativer Tätigkeiten dar, sondern betrifft die Rechtsfrage, bei welcher Stelle eine Revision einzubringen ist; dazu sind eindeutige Anordnungen zu treffen und deren Einhaltung zu überwachen. Der Umstand, der Vertreter habe seiner Kanzleikraft im Diktat aufgetragen, die Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen, entbindet nicht vom Erfordernis einer entsprechenden Überwachung.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 25.07.2022
Aufbereitet am: 20.02.2023
2677
Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung unter Berücksichtigung des Kindeswohls
Leitsätze
I. Obwohl die fremde Person die Integrationsvereinbarung "Modul 1" im Entscheidungszeitpunkt nicht erfüllt hat, kann zumindest ein Bemühen um eine Integration erblickt werden, wenn diese Person während des etwa siebenjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet in der Lage war, sich und ihre Familie (wenn auch teilweise aus Beschäftigungen auf geringfügiger Basis) aus eigenem Einkommen zu erhalten. II. Unter Berücksichtigung des Kindeswohls besteht ein Anspruch auf verlässliche Kontakte zu beiden Elternteilen. Im Falle einer Rückkehr der fremden Person in deren Herkunftsstaat ist eine Aufrechterhaltung des Kontakts mittels elektronischer Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind kaum möglich, weshalb der Kontakt nicht über moderne Kommunikationswege ersetzt werden kann. III. Die strafrechtliche Unbescholtenheit der fremden Person vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 26.07.2022
Aufbereitet am: 17.02.2023
2676
Zur "schlichten" und "offensichtlichen" Unglaubwürdigkeit im Rahmen eines Flughafenverfahrens
Leitsätze
I. Für die Annahme eines offensichtlich tatsachenwidrigen Vorbringens hat das Fluchtvorbringen zB gravierende Widersprüche aufzuweisen. Eine offensichtliche Unbegründetheit des Vorbringens kann etwa auch aufgrund einer unverkennbar mangelnden Asylrelevanz, der augenscheinlichen Unrichtigkeit der Angaben oder einer eindeutig vorliegenden innerstaatlichen Fluchtalternative angenommen werden. Die Annahme einer "offensichtlichen Unglaubwürdigkeit" hat über jene der allfällig "schlichten Unglaubwürdigkeit" hinauszugehen. II. Um vom Vorliegen einer "offensichtlichen Unglaubwürdigkeit" ausgehen zu können, dürfen zur Feststellung, dass das Vorbringen einer asylwerbenden Person nicht den Tatsachen entspricht, weder weitreichende Überlegungen noch eine lange Argumentationskette erforderlich sein. Einzelne Umstände vermögen die Annahme einer "offensichtlichen Unglaubwürdigkeit" regelmäßig nicht zu rechtfertigen, gegebenenfalls können diese jedoch eine "schlichte Unglaubwürdigkeit" indizieren. III. Liegt keine der in § 33 Abs 1 Z 1 bis 4 AsylG aufgelisteten Voraussetzungen vor, so ist die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz im Flughafenverfahren unzulässig. Der fremden Person ist iSd § 31 Abs 2 AsylG die Einreise in das Bundesgebiet zu gestatten.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 26.07.2022
Aufbereitet am: 15.02.2023
2675
Zuerkennung subsidiärer Schutzberechtigung wegen außergewöhnlicher Umstände, die einer Außerlandesbringung entgegenstehen
Leitsätze
I. Außergewöhnliche Umstände, welche einer Außerlandesbringung gemäß den Vorgaben des § 8 Abs 1 AsylG widersprechen würden, liegen etwa unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation im betreffenden Staat (hier: Äthiopien) vor, wenn die fremde Person als alleinstehende Frau ohne soziale Anknüpfungspunkte individuell deutlich schlechter gestellt, vulnerabler und schutzbedürftiger als die übrige Bevölkerung ihrer Heimatstadt ist und im Falle der Rückkehr auch keine staatliche Unterstützung erhält. II. Obwohl es Frauen im betreffenden Staat (hier: Äthiopien) nicht möglich ist, ein diskriminierungsfreies Leben zu führen und Frauen beispielsweise von Benachteiligung und Gewalt betroffen sind, kann aus dem bloßen Umstand, dass es sich bei der betroffenen Person um eine alleinstehende Frau handelt, keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden. Da die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in einer ausweglosen Situation wäre und Gefahr liefe, ihre existenziellen Grundbedürfnisse nicht decken zu können, liegen außergewöhnliche Umstände vor, welche den Status der subsidiär Schutzberechtigten nach sich ziehen.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 09.06.2022
Aufbereitet am: 14.02.2023
2674
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
Leitsätze
Für das Vorliegen einer "sozialen Gruppe" müssen kumulativ zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Und zum anderen muss diese Gruppe eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 01.07.2022
Aufbereitet am: 13.02.2023
2673
Tatsachenkognition von Rechtsmittelgerichten in Haftsachen
Leitsätze
I. Zwar spricht eine Vermutung für die erforderliche Entscheidungserheblichkeit von Fragen nationaler Gerichte im Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn eine Vorlagefrage rein hypothetischer Natur ohne Relevanz für die Entscheidung im Ausgangsverfahren ist. II. Mit der Haftprüfung betraute Justizbehörden müssen zum einen die tatsächlichen Umstände und Beweise berücksichtigen können, die von der die Haft anordnenden Verwaltungsbehörde angeführt worden sind, ferner müssen sie die Tatsachen, Beweise und Stellungnahmen berücksichtigen können, die ihnen gegebenenfalls vom Betroffenen vorgelegt worden sind und überdies auch in der Lage sein, jeden anderen entscheidungsrelevanten Umstand zu ermitteln, falls sie dies für erforderlich halten.
Lesen Sie mehr (vorher anmelden)
Entscheidungsdatum: 08.11.2022
Aufbereitet am: 10.02.2023