Leitsätze
2034
Drohender "BREXIT" verpflichtet nicht zum Selbsteintritt nach Dublin III-Verordnung
Leitsätze
I. Die Vorlagefrage nach Auswirkungen des "BREXIT" auf das gemeinsame europäische Asylsystem ist nicht hypothetisch, sondern entscheidungserheblich iSd Art 267 AEUV und daher zulässig. Es gilt eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der von den Gerichten der Mitgliedstaaten zur Vorabentscheidung vorgelegten Auslegungs- und Gültigkeitsfragen zum Unionsrecht. Eine Zurückweisung von Vorlagefragen ist dem EuGH daher nur dann erlaubt, wenn es an dieser offensichtlich fehlt. II. Die Erklärung des "BREXIT" führt bis zum tatsächlichen Vollzug zu keinen Suspendierungen der unionsrechtlichen Verpflichtungen Großbritanniens. Zu einem Zwang zum Selbsteintritt des um Überstellung nach der Dublin III-VO (604/2013) nach Art 17 Abs 1 leg cit ersuchenden Mitgliedstaats kann der "BREXIT" ohnehin nicht führen, weil diese Vorschrift rein fakultativ ist und ihre Inanspruchnahme im freien Ermessen der Mitgliedstaaten nach deren politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen steht. III. Bereits der Wortlaut vieler Bestimmungen der Dublin III-VO (604/2013), der von "Behörden" im Plural spricht, zeigt, dass eine einheitliche Behördenzuständigkeit zu deren Vollzug nicht geboten ist. IV. Die Kindeswohlklausel des Art 6 Abs 1 Dublin III-VO ändert nichts am Charakter des Art 17 Abs 1 leg cit als rein fakultative Vorschrift und verpflichtet Mitgliedstaaten nicht zu deren Inanspruchnahme. V. Art 27 Abs 1 Dublin III-VO verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, gegen die Nicht-Inanspruchnahme des Selbsteintrittsrechts nach Art 17 Abs 1 leg cit einen selbständigen Rechtsbehelf zu gewähren. Denn die Nicht-Vornahme des Selbsteintritts führt zu einer Überstellungsentscheidung, sodass im Rechtsbehelf gegen diese die Frage des Art 17 Abs 1 Dublin III-VO releviert werden kann. Die Mitteilung, dass vom Recht, in das Verfahren nach Art 17 Abs 1 Dublin III-VO einzutreten, nicht Gebrauch gemacht wird, führt für den Antragsteller auch noch nicht zur Gefahr, eine dem Refoulement-Verbot widerstreitende Behandlung (vgl Art 3 Abs 2 leg cit) zu erleiden, dies ist im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Überstellungsentscheidung ebenfalls zu behandeln, sodass hier kein Rechtsschutzdefizit besteht. VI. Bereits der Wortlaut des Art 20 Abs 3 Dublin III-VO über das Verfahren zur Bestimmung des nach der Dublin III-VO (604/2013) zeigt eindeutig, dass diese Vorschrift die widerlegbare Vermutung begründet, dass dem Wohl des Kindes dann am besten entsprochen ist, wenn man seine Situation als untrennbar mit der seiner Eltern verbunden ansieht.
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Entscheidungsdatum: 23.01.2019
Aufbereitet am: 20.04.2020
2033
Konzept des sicheren Drittstaats im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem und Entscheidungsfrist des Rechtsmittelgerichts
Leitsätze
I. Die in Art 33 RL 2013/32/EU enthaltenen Ermächtigungstatbestände, Anträge auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, sind abschließend gefasst. II. Für das Vorliegen des in Art 33 Abs 2 lit c RL 2013/32/EU verankerten Unzulässigkeitsentscheidungsgrunds des sicheren Drittstaats müssen alle in Art 38 RL 2013/32/EU statuierten Kriterien kumulativ vorliegen. III. Eine mitgliedstaatliche Regelung, die zur Unzulässigerklärung eines Antrags auf internationalen Schutz ermächtigt, weil der Antragsteller über ein Land eingereist ist, in dem er weder Verfolgung noch der Gefahr eines ernsthaften Schadens iSd mitgliedstaatlichen Asylgesetzes ausgesetzt ist, oder weil in dem Land, über das er in den Mitgliedstaat eingereist ist, ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet wird, entspricht Art 38 RL 2013/32/EU nicht: So fehlt insb das Erfordernis der Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung durch diesen Staat. Ebenso mangelt es an der Berücksichtigung des Bestehens einer Verbindung zwischen dem Antragsteller auf internationalen Schutz und dem betreffenden Drittstaat: Eine solche wird nicht bloß durch den Einreiseweg des Schutzsuchenden hergestellt. IV. Eine solche mitgliedstaatliche Regelung kann auch nicht dem Tatbestand des Art 33 Abs 2 lit b RL 2013/32/EU ("erster Asylstaat des Antragstellers gemäß Artikel 35") unterstellt werden, denn dessen klarer Wortlaut setzt eine bereits eingetretene Schutzgewährung durch diesen Staat voraus. V. Die von Art 46 Abs 3 RL 2013/32/EU geforderte Ex-nunc-Prüfung bei Erhebung eines Rechtsmittels umfasst auch Unzulässigkeitsentscheidungen in Asylsachen. VI. Wenn das Rechtsmittelgericht nicht in der Lage ist, innerhalb einer knappen Entscheidungsfrist nach mitgliedstaatlichem Recht (im Anlassfall 8 Tage) die Wirksamkeit der materiell-rechtlichen Vorschriften und der dem Antragsteller vom Unionsrecht gewährten Verfahrensgarantien zu gewährleisten, so verpflichtet der Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts das Rechtsmittelgericht dazu, diese mitgliedstaatliche Bestimmung unangewendet zu lassen. Von der Pflicht zu einer möglichst raschen Entscheidung wird das Rechtsmittelgericht dadurch nicht entbunden, wie ErwGr 18 RL 2013/32/EU zeigt.
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Entscheidungsdatum: 19.03.2020
Aufbereitet am: 15.04.2020
2032
Aufenthaltsrechtliche Folgen der Wirkung ex tunc einer VwGH-Behebung
Leitsätze
I. Der Frage der Rechtmäßigkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels kann aufgrund des Erstantrags des Fremden ungeachtet der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels für den danach liegenden Zeitraum rechtliche Bedeutung zukommen. II. Angesichts der in der REST-Richtlinie 2016/801 festgelegten Verpflichtung zur Prüfung der nötigen Mittel jeweils im Einzelfall ist für den Aufenthaltstitel für Studenten das Erteilungserfordernis des § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die in § 293 ASVG festgelegten Richtsätze als Referenzbetrag iSd Richtlinie zu verstehen sind. Kann der Antragsteller nachweisen, dass er trotz einer (geringfügigen) Unterschreitung dieses Referenzbetrages ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt und für die Rückreise verfügt, ist das Erfordernis des Nachweises der "nötigen Mittel" als erfüllt anzusehen. III. Eine (geringfügige) Unterschreitung des Richtsatzes hat nicht in jedem Fall zur Folge, dass es an der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs 2 Z 4 NAG fehlt. IV. Fremde, die nach einer Antragstellung im Ausland mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist sind, sind nicht berechtigt, die Entscheidung über ihren Antrag über den Ablauf der Gültigkeit des Visums hinaus im Inland abzuwarten. Ein Verbleib im Inland in einer derartigen Konstellation stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtung des § 21 Abs 1 zweiter Satz NAG dar. V. Im Laufe eines anhängigen Verfahrens eintretende Rechtsänderungen oder (vom Fremden nicht beeinflussbare) Änderungen können im Faktischen dazu führen, dass die Zulässigkeit des Abwartens der Entscheidung im Inland wegfällt und der Fremde ausreisen muss, um der Verpflichtung zum Abwarten der Entscheidung im Ausland nachzukommen. Umgekehrt lassen weder der Wortlaut des § 21 Abs 1 NAG noch die Erläuterungen dazu zwingende Rückschlüsse darauf zu, dass die darin normierte Verpflichtung nur bis zur erstmaligen Entscheidung über einen Antrag gilt und in einem - nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den VwGH notwendig gewordenen - fortgesetzten Verfahren nicht mehr maßgeblich sein soll. Zwar kann einem Fremden - ungeachtet der Ex tunc-Wirkung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH - nicht vorgehalten werden, dass er sich bis zur Aufhebung der den Aufenthaltstitel erteilenden Entscheidung im Inland aufgehalten hat, weil er bis zu diesem Zeitpunkt auf den Bestand des rechtskräftig erteilten Aufenthaltstitels vertrauen durfte. Nach Erlassung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH wird infolge des dann wiederum unerledigten Antrags die Verpflichtung zum Abwarten der Entscheidung im Ausland - so die Inlandsantragstellung nicht ausnahmsweise zulässig bzw der Inlandsaufenthalt aus anderen Gründen rechtmäßig ist - wieder schlagend. VI. Eine Interessenabwägung iSd § 11 Abs 3 NAG muss auch in einer Konstellation vorgenommen werden, in der ein Antrag auf Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs 3 NAG vor Bescheiderlassung nicht erfolgen konnte, weil der Antragsteller die Entscheidung zunächst ohnehin im Ausland abgewartet hat und sich die Frage eines allfälligen Verstoßes gegen § 21 Abs 1 NAG 2005 erst dadurch stellt, dass der VwGH die Entscheidung des VwG über die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels aufgehoben hat. VII. Dem Verbleib im Bundesgebiet im Anschluss an ein aufhebendes Erkenntnis des VwGH kann - eine zeitnahe Entscheidung im fortgesetzten Verfahren vorausgesetzt - keine das öffentliche Interesse in vergleichbarer Weise beeinträchtigende Wirkung beigemessen werden wie einem Vorgehen, bei dem letztlich (etwa im Wege eines von Anfang an rechtswidrigen Inlandsaufenthaltes) versucht wird, in Bezug auf den Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2019
Aufbereitet am: 14.04.2020
2031
Bestrebungen zur Aufenthaltsverfestigung als Indizien für mangelnde Ausreisewilligkeit nach § 57 FPG
Leitsätze
I. Die Wohnsitzauflage soll als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. II. Neben den in § 57 Abs 2 AsylG demonstrativ aufgezählten Tatbeständen kommen auch weitere Umstände in Betracht, die die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.
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Entscheidungsdatum: 22.10.2019
Aufbereitet am: 13.04.2020
2030
Verfolgungsgefahr in Somalia bei nachträglich in Österreich geborener, nicht beschnittener Tochter
Leitsätze
Soweit im Familienverfahren auch nur einer der Antragsteller einer hinreichend intensiven Verfolgung im Heimatland ausgesetzt wäre, so ist dies auch bei der Erteilung des internationalen Schutzstatus der weiteren Familienmitglieder zu berücksichtigen.
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Entscheidungsdatum: 24.10.2019
Aufbereitet am: 08.04.2020
2029
Ablauf der dreijährigen Frist als zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung bei Familiennachzug einer subsidiär schutzberechtigten Bezugsperson
Leitsätze
Im Falle eines subsidiär Schutzberechtigten als Bezugsperson handelt es sich bei der gesetzlich festgelegten dreijährigen Frist um eine zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung für die Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels.
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Entscheidungsdatum: 19.11.2019
Aufbereitet am: 07.04.2020
2028
Verbrechen als Voraussetzung für einen Asylausschluss
Leitsätze
Für die Anwendung des § 6 Abs 1 Z 4 AsylG müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Insb muss dabei ein besonders schweres Verbrechen iSd § 17 Abs 1 StGB verwirklicht worden sein. Mangelt es bereits am Vorliegen eines Verbrechens, so liegen die Voraussetzungen eines Ausschlusses nicht vor.
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Entscheidungsdatum: 22.11.2019
Aufbereitet am: 06.04.2020
2027
Grundlagen für die Beurteilung einer behaupteten Konversion
Leitsätze
I. Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an. II. Diese ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln.
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Entscheidungsdatum: 21.01.2020
Aufbereitet am: 01.04.2020
2026
Bindung der Verwaltungsbehörde an Nichtigkeitsentscheidungen des Rechtsmittelgerichts
Leitsätze
I. Art 52 Abs 1 RL 2013/32/EU (VerfahrensRL) sieht die Umsetzung der RL bis zum 20.7.2015 vor. Es steht den Mitgliedstaaten aber frei, diese auch schon auf Verfahren anzuwenden, bei denen der zugrunde liegende Antrag auf internationalen Schutz schon vor diesem Zeitpunkt eingebracht wurde. II. Die Rechtsmittelgarantie des Art 46 RL 2013/32/EU (VerfahrensRL) verlangt eine umfassende Rechts- und Tatsachenkognitionsbefugnis des Rechtsmittelgerichts. Daraus folgt aber nicht zwingend eine Reformationsentscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts, vielmehr steht es den Mitgliedstaaten frei, im Falle der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts eine Nichtigerklärung desselben durch das Rechtsmittelgericht iVm einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde zuzugestehen. Nehmen die Mitgliedstaaten diesen Gestaltungsspielraum in Anspruch, so müssen sie aber im Lichte des Art 47 GRC eine umfassende Bindung der Verwaltungsbehörde an die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts vorsehen. Könnte - wie bei den gegenständlichen ungarischen Regelungen - die Verwaltungsbehörde ihre neuerliche Sachentscheidung nach jeder Zurückverweisung ohne Rücksicht auf die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts treffen, käme es zu einer ständigen Kassationskaskade und wäre der Rechtsbehelf im Ergebnis wirkungslos. III. Kennt die mitgliedstaatliche Rechtslage bloß eine Nichtigerklärung des Verwaltungsakts und Zurückverweisung ohne Bindung der Verwaltungsbehörde an die Rechtsanschauung des Rechtsmittelgerichts, so hat dieses auf Grund des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs reformatorisch zu entscheiden. Das entgegenstehende nationale Recht hat unangewendet zu bleiben.
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Entscheidungsdatum: 29.07.2019
Aufbereitet am: 31.03.2020
2025
Unionsrechtskonformität der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus auch bei nie gegebenen Voraussetzungen für die Zuerkennung
Leitsätze
I. Nationale Regelungen wie § 9 Abs 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 (Aberkennung subsidiären Schutzes wegen von vornherein nicht vorliegender Voraussetzungen) stehen mit dem Unionsrecht im Einklang. Zwar deutet der Wortlaut des Art 19 Abs 3 lit b RL 2011/95/EU (Aberkennung subsidiären Schutzes wegen erschlichener Erlangung) und des Abs 1 leg cit (kein längerer Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß Art 16 leg cit) nicht darauf hin, dass Statusaberkennungen auch dann erfolgen können, wenn der Status nur auf Grund von Ermittlungsfehlern der erkennenden Verwaltungsbehörde zuerkannt worden war. Doch ergibt sich das Gebot an die Mitgliedstaaten, auch in Fällen von Fehlern der Behörden oder Gerichte den Status abzuerkennen, aus dem nicht mehr gegebenen Fortbestand einer begründeten Furcht vor einem ernsthaften Schaden iSd Art 15 RL 2011/95/EU, wie sie in Art 16 leg cit verlangt ist. Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch eine Interpretation der RL 2011/95/EU im Lichte der GFK; wenngleich diese auf subsidiär Schutzberechtigte keine Anwendung findet, wurde das Regelwerk des subsidiären Schutzes doch jenem des Flüchtlingsstatus nachgebaut. II. Mit der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus als solcher ist noch keine Aussage über den Verlust jeglichen Anspruchs auf Aufenthalt im betreffenden Mitgliedstaat und die Zulässigkeit einer Ausweisung in den Herkunftsstaat verbunden.
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Entscheidungsdatum: 23.05.2019
Aufbereitet am: 30.03.2020
2024
Asylberechtigung für Zeugen Jehovas aus der Russischen Föderation
Leitsätze
I. Die aktuellen Länderberichte zeigen, dass die Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation als extremistisch angesehen werden, die Ausübung ihrer Religion zieht Freiheitsstrafen von zwei bis zehn Jahren nach sich. Eine öffentliche Religionsausübung wäre dort für Zeugen Jehovas daher nicht möglich, ohne sich der Gefahr asylrelevanter Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK auszusetzen. Nach der klaren Vorgabe des Art 10 Abs 1 lit b RL 2011/95/EU (Status-RL) ist es den Betroffenen auch nicht zuzumuten, ihre Religionsausübung auf ein "Forum Internum" (also kein außenwirksames Praktizieren) zu beschränken. II. Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 besteht ob der russlandweiten Verfolgung von Zeugen Jehovas in diesem Ausmaß nicht. III. In Fällen wie jenen der beiden gegenständlichen Beschwerdeführer, wo kein Asylausschlussgrund hervorkommt, ist daher gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
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Entscheidungsdatum: 02.12.2019
Aufbereitet am: 25.03.2020
2023
Kriterien der unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Verlust der Unionsbürgerschaft
Leitsätze
I. Zwar sind die Regelungen über den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, fällt eine Situation (wie der mit Staatsangehörigkeitsverlust verbundene Verlust der Unionsbürgerschaft) aber unter das Unionsrecht, so haben die Mitgliedstaaten dieses zu beachten. IZm der Unionsbürgerschaft verlangt das Unionsrecht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. II. Es ist ein legitimes Ziel, wenn ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Zuständigkeit auf die Intensität der Bindung zwischen ihm und den Staatsangehörigen abstellt und die Einheitlichkeit der Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie schützen möchte. Diese Bindung wird etwa durch Bemühungen um Dokumentenerlangung innerhalb eines Zeitraums dokumentiert. III. Die nationalen Vorschriften müssen eine Einzelfallprüfung zulassen, in der die Folgen des Unionsbürgerschaftsverlusts berücksichtigt werden können, etwa daraus folgende Beschränkungen des Rechts, sich im Unionsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten, weiterhin dort einzureisen und Bindungen mit dortigen Familienmitgliedern aufrechtzuerhalten bzw eine berufliche Tätigkeit auszuüben. Auch der Umstand, ob ein Verzicht des Betroffenen auf die Staatsangehörigkeit des Drittstaats möglich gewesen wäre und dieser seine Unionsbürgerschaft zu verlieren droht, weil ein solcher Verzicht nicht möglich war, ist zu würdigen. Auch eine Verschlechterung der Sicherheitslage des Betroffenen im Drittstaat infolge des Verlusts konsularischen Schutzes (Art 20 Abs 2 lit c, Art 23 AEUV) durch einen Mitgliedstaat ist zu würdigen. Auch das in Art 24 GRC anerkannte Kindeswohl ist für betroffene Minderjährige zu berücksichtigen, die Gefahr laufen, dem Staatsbürgerschaftsverlust der Eltern zu folgen.
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Entscheidungsdatum: 12.03.2019
Aufbereitet am: 24.03.2020
2022
Möglichkeit und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan
Leitsätze
Trotz unterschiedlicher Einschätzung der Lage insb zur afghanischen Hauptstadt Kabul betonen sowohl UNHCR als auch EASO übereinstimmend die Notwendigkeit, das Vorhandensein einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative stets nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
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Entscheidungsdatum: 07.02.2020
Aufbereitet am: 23.03.2020
2021
Verlust des abgeleiteten Aufenthaltsrechts
Leitsätze
I. Für den Aufenthaltsrechts-Verlusttatbestand des Art 16 Abs 2 lit a RL 2003/86/EG ist es ohne Belang, wer (Zusammenführender oder Familienangehöriger) eine kausale Täuschungshandlung gesetzt hatte, die zur Erlangung des Aufenthaltsrechts geführt hat. Dies zeigt der Wortlaut, der nicht nach der Person des Täuschenden differenziert, ebenso wie die Gesamtsystematik der RL 2003/86/EG (FamilienzusammenführungsRL). Wenn der Mitgliedstaat von seiner in Art 16 Abs 2 lit a RL 2003/86/EG statuierten Entziehungsermächtigung Gebrauch macht, muss er aber die in Art 17 leg cit vorgeschriebene Interessenabwägung durchführen (Kriterien: Art und die Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie, insbesondere bei einer den Aufenthaltstitel entziehenden Maßnahme, das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen des Betreffenden zu seinem Herkunftsland) und im Lichte von Art 7 GRC vorgehen. II. Art 9 Abs 1 lit a RL 2003/109/EG ist dahin auszulegen, dass er dem Entzug der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nicht entgegensteht, wenn diese durch betrügerische Angaben erlangt wurde, der langfristig Aufenthaltsberechtigte aber nicht wusste, dass diese Angaben betrügerisch waren. Zwar hat die Richtlinie eine Integration der daueraufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zum Ziel, die Mitgliedstaaten müssen aber wirksam gegen Betrug vorgehen können (Verbot von Betrug als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts). Wie Art 9 Abs 7 RL 2003/109/EG zeigt, führt der Verlust eines Daueraufenthaltsrechts aber nicht automatisch zum Verlust des mit der RL 2003/86/EG (FamilienzusammenführungsRL) erlangten Aufenthaltsrechts, dessen Erhalt nach Art 17 leg cit zu prüfen ist (vgl Ausführungen oben I.).
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Entscheidungsdatum: 14.03.2017
Aufbereitet am: 18.03.2020
2020
Erfordernis einer engeren Bindung zum EU-Mitgliedstaat als zur Türkei als Verletzung der Standstill-Klausel
Leitsätze
I. Nach Inkrafttreten des ARB (Beschluss 1/80 Assoziationsrat EWG - Türkei) von EU-Mitgliedstaaten erlassene Einschränkungen der Familienzusammenführung türkischer Arbeitnehmer sind entsprechend der beibehaltenen stRsp des EuGH "neue Beschränkungen" iSd Art 13 ARB 1/80. II. Neue Beschränkungen, die auf die Bindung von Ehepaaren, denen ein türkischer Arbeitnehmer angehört, an den jeweiligen Mitgliedstaat abstellen, können nicht gemäß Art 13 ARB 1/80 gerechtfertigt werden (zwingender Grund des Allgemeininteresses, Eignung der neuen Beschränkung zur Zielerreichung und kein "Hinausgehen über das zur Zielerreichung Erforderliche"). Zwar ist die Integration Drittstaatsangehöriger ein legitimes Ziel, es fehlt aber an der Eignung zur Zielerreichung: Die Bindung der Antragstellerin zum Herkunftsstaat im Zeitpunkt der Antragstellung sagt nichts darüber aus, ob eine Integration im Mitgliedstaat gelingen könne. Dies wird dadurch untermauert, wenn eine solche mitgliedstaatliche Bestimmung keine konkrete Integrationsmaßnahme vorsieht. III. Eine solche neue Beschränkung fällt auch nicht unter den Rechtfertigungsgrund des Art 14 ARB 1/80 ("Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind").
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Entscheidungsdatum: 10.07.2019
Aufbereitet am: 17.03.2020
2019
Keine neue Beurteilung eines rechtskräftig entschiedenen Sachverhalts
Leitsätze
Es ist unzulässig, einen rechtskräftig entschiedenen Sachverhalt neu zu beurteilen.
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Entscheidungsdatum: 24.09.2019
Aufbereitet am: 16.03.2020
2018
Zur sicheren Erreichbarkeit des als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebietes
Leitsätze
Durch die fehlende Auseinandersetzung mit der Sicherheit der Verbindungen von Kabul nach Herat und Mazar-e Sharif sowie der mangelnden Berücksichtigung eines aktuellen Berichts des EASO handelt das BVwG willkürlich.
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Entscheidungsdatum: 12.12.2019
Aufbereitet am: 11.03.2020
2017
Schengen-Binnengrenze wird durch vorübergehende Grenzkontrollen nicht zu Schengen-Außengrenze
Leitsätze
I. Die Verfahrensgarantien der RL 2008/115/EG (RückführungsRL) sind nach der beibehaltenen, am Wortlaut haftenden Rsp des EuGH auf illegal einreisende bzw aufhältige Drittstaatsangehörige, die über eine Schengen-Binnengrenze einreisen und gegen die kein Einreiseverbot vorliegt, vollumfänglich anwendbar (kein Fall des Art 2 Abs 2 lit a RL 2008/115/EG). II. Die Ermächtigung an die Mitgliedstaaten zur Schmälerung des Anwendungsbereichs der RL 2008/115/EG (RückführungsRL) gemäß deren Art 2 Abs 2 lit a greift auch nicht, wenn an der betreffenden Schengen-Binnengrenze vorübergehend wieder Grenzkontrollen gemäß Art 25 VO (EU) 2016/399 durchgeführt werden (die Binnengrenze wird dadurch nicht zur "Außengrenze" iSd Art 2 Abs 2 lit a RL 2008/115/EG). Neben dem klaren Wortlaut ("Außengrenze") zeigt sich dies auch darin, dass Art 32 VO (EU) 2016/399 im Falle temporärer Grenzkontrollen an den Binnengrenzen bloß die einschlägigen Bestimmungen des Kodex über die Außengrenzen vorsieht, die RL 2008/115/EG (RückführungsRL) aber unberührt lässt. Dieses Ergebnis wird durch die Bestimmung des Art 13 Abs 1 VO (EU) 2016/399 bestätigt.
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Entscheidungsdatum: 19.03.2019
Aufbereitet am: 10.03.2020
2016
Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen
Leitsätze
Die mangelhafte Beweiswürdigung und die unzureichende Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in der Herkunftsregion verletzen den irakischen Beschwerdeführer im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.
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Entscheidungsdatum: 24.02.2020
Aufbereitet am: 09.03.2020
2015
Zurückweisung von Migranten nach Überwindung des Grenzzauns zu Melilla ohne Durchführung eines Ausweisungsverfahrens
Leitsätze
I. Die Ausübung von Hoheitsgewalt iSv Art 1 EMRK ist Voraussetzung dafür, einen Mitgliedstaat für ihm zuzurechnende Handlungen oder Unterlassungen zur Rechenschaft ziehen zu können. Die Hoheitsgewalt ist primär territorial begrenzt und bezieht sich grundsätzlich auf das gesamte Staatsgebiet. Diese Vermutung kann nur ausnahmsweise widerlegt werden, wenn durch außergewöhnliche Umstände der Staat daran gehindert ist, die effektive Autorität über einen Teil seines Staatsgebiets auszuüben. Die Grenzzäune zwischen der spanischen Enklave Melilla und Marokko wurden auf spanischem Hoheitsgebiet errichtet. Da auch keine besonderen Umstände vorliegen, durch die die spanischen Behörden an der Ausübung ihrer Autorität über dieses Gebiet gehindert werden, fallen die Ereignisse an den Grenzzäunen in die Hoheitsgewalt Spaniens. II. Der Begriff der "Ausweisung" meint auch im Kontext des Art 4 4. ZPEMRK jedes gewaltsame Entfernen eines Fremden aus dem Hoheitsgebiet eines Staates, unabhängig von der Rechtmäßigkeit oder Dauer des Aufenthalts, dem Ort, an dem er festgenommen wurde, seinem Status als Migrant oder Asylwerber und seinem Verhalten beim Überqueren der Grenze. Folglich ist Art 4 4. ZPEMRK auch auf Situationen anwendbar, in denen die Behörden einen Fremden unmittelbar nach dessen unrechtmäßigem Überqueren einer Landgrenze festnehmen und an die Behörden des anderen Staates übergeben. III. Eine Ausweisung ist als "kollektiv" iSv Art 4 4. ZPEMRK anzusehen, wenn sie Fremde als eine Gruppe zum Verlassen eines Landes zwingt, ohne dass dies auf einer vernünftigen und sachlichen Prüfung des spezifischen Falls jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe beruht. Die Zahl der von einer bestimmten Maßnahme betroffenen Personen ist für das Vorliegen einer verbotenen Kollektivausweisung irrelevant. IV. Es liegt keine Verletzung von Art 4 4. ZPEMRK vor, wenn das Fehlen einer individuellen Ausweisungsentscheidung auf das eigene Verhalten der betroffenen Personen zurückgeführt werden kann. V. Wenn für Migranten und Schutzsuchende Möglichkeiten zur Verfügung standen, um rechtmäßig einzureisen und diese wirklich und wirksam zugänglich waren, ist es gerechtfertigt, wenn die Behörden Migranten nach deren illegalem Grenzübertritt ohne individuelle Prüfung zurückschieben, sofern keine zwingenden, in die Verantwortung dieses Staates fallenden Gründe vorlagen, welche die betroffenen Personen daran hinderten, Gebrauch von den zur Verfügung stehenden rechtmäßigen Verfahren zur Einreise zu machen. VI. Da für Migranten und Schutzsuchende die wirkliche und wirksame Möglichkeit besteht, an Grenzübergängen zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla oder bei einer spanischen Botschaft oder einem Konsulat ein Visum zu beantragen und gegen eine Ausweisung sprechende Gründe vorzubringen, begründet die Zurückschiebung von Migranten nach einer illegalen Überquerung der Grenze ohne individuelle Entscheidungen keine Verletzung von Art 4 4. ZPEMRK.
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Entscheidungsdatum: 13.02.2020
Aufbereitet am: 04.03.2020