Leitsätze
2092
Bloße Wiedergabe von Zeugenaussagen ist keine ausreichende Sachverhaltsfeststellung
Leitsätze
Die bloße Referierung von Zeugenaussagen kann die erforderlichen, auf die entscheidungswesentlichen Punkte zu fokussierenden, klar und nachvollziehbar zu treffenden Feststellungen nicht ersetzen.
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Entscheidungsdatum: 12.03.2020
Aufbereitet am: 04.08.2020
2091
Aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht für türkische Staatsangehörige und Niederlassungsrecht (I)
Leitsätze
I. Die Bestimmung des § 45 NAG setzt ua voraus, dass der Drittstaatsangehörige in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen war. Eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gilt gemäß § 2 Abs 3 NAG nicht als Niederlassung; einer solchen Aufenthaltsbewilligung ist wesensimmanent, dass sie an die Dauer des Studiums gebunden ist und (ausgenommen eine einmalige Verlängerung nach erfolgreichem Abschluss des Studiums zum Zwecke der Arbeitssuche oder der Unternehmensgründung gemäß § 64 Abs 4 NAG) nicht über dessen Ende hinaus verlängert werden kann. II. Die Voraussetzung gemäß § 45 NAG, niedergelassen zu sein, ist mit einer Aufenthaltsbewilligung "Student" nicht erfüllt. Daran ändert auch der Umstand, dass der Drittstaatsangehörige seinen Lebensmittelpunkt weiterhin im Bundesgebiet hat, aufgrund des klaren Wortlautes des § 2 Abs 3 NAG nichts. III. Wenn ein türkischer Staatsangehöriger die in Art 6 Abs 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, kann er nach Ablauf des ersten Arbeitsjahres eine Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verlangen (vgl EuGH 24.1.2008, Payir, C-294/06). IV. Nach Ablauf des im Art 6 Abs 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 vorgesehenen Zeitraumes von drei Jahren ist der türkische Arbeitnehmer berechtigt, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben. Ein uneingeschränktes Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung gemäß dem dritten Spiegelstrich besteht erst nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung. V. Das aus Art 6 ARB 1/80 über das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt bzw die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung abgeleitete Aufenthaltsrecht kann nicht weiter reichen als das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt. VI. Stützt der Fremde sein Aufenthaltsrecht nicht auf eine nach nationalem Recht erteilte Aufenthaltsbewilligung, sondern ist dieses Folge seines gemäß Art 6 Abs 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 auf denselben Arbeitgeber eingeschränkten Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt bzw der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung, so ist sein Aufenthaltsrecht von seiner beschäftigungsrechtlichen Situation abhängig. Es ist durch die Bindung an die Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt und an die Beschäftigung beim selben Arbeitgeber weder zeitlich noch inhaltlich unbeschränkt. Es ist von einem förmlich begrenzten Aufenthaltsrecht iSd Art 3 Abs 2 lit e der RL 2003/109/EG auszugehen. Der Fremde ist nicht als niedergelassen iS des die DaueraufenthaltsRL umsetzenden § 45 Abs 1 NAG anzusehen.
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Entscheidungsdatum: 23.01.2020
Aufbereitet am: 03.08.2020
2090
Keine Nachweispflicht sonstiger Einreisevoraussetzungen bei Besitz einer Daueraufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers nach Art 20 RL 2004/38/EG
Leitsätze
I. Die Visumfreiheit nach Art 5 Abs 2 UAbs 1 Satz 2 RL 2004/38/EG gilt nicht nur für jene drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern, die in Besitz einer Aufenthaltskarte iSd Art 10 RL 2004/38/EG sind, sondern auch für jene, die bereits eine Daueraufenthaltskarte iSd Art 20 leg cit besitzen. II. Bei der Anwendung des Art 5 Abs 2 UAbs 1 Satz 2 RL 2004/38/EG iZm Daueraufenthaltskarten-Inhabern ist nicht nach der Schengen-Zugehörigkeit des ausstellenden Mitgliedstaats zu differenzieren. III. Die Daueraufenthaltskarte ist auch ein geeignetes Dokument zum Nachweis der Visumfreiheit.
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Entscheidungsdatum: 18.06.2020
Aufbereitet am: 30.07.2020
2089
Aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht für türkische Staatsangehörige und Niederlassungsrecht (II)
Leitsätze
I. Türkischen Staatsangehörigen stehen die ihnen aus Art 6 Abs 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 zukommenden individuellen Rechte unmittelbar und unabhängig davon zu, ob die Behörden eine Aufenthaltsbewilligung ausstellen. II. Dem Interesse an einer Bescheinigung der aus dem ARB 1/80 abgeleiteten Berechtigung wird durch die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung (vgl § 4c Abs 1 AuslBG), auf deren Ausstellung ein türkischer Arbeitnehmer bei Erfüllen der Voraussetzungen des ersten Spiegelstrichs des Art 6 Abs 1 ARB 1/80 einen Rechtsanspruch hat, Rechnung getragen. Es besteht aber jedenfalls kein Anspruch auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, mit dem ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden ist (vgl § 17 AuslBG), der aus Art 6 Abs 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 nicht abgeleitet werden kann. III. Aus der VO (EG) 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige kann ein Anspruch auf Erteilung eines bestimmten innerstaatlichen Aufenthaltstitels nicht abgeleitet werden. IV. Der VwGH hat bereits klargestellt, dass die im Erkenntnis Ro 2017/22/0015 getroffenen Aussagen zum ersten Spiegelstrich des Art 6 Abs 1 ARB 1/80 auf Fälle nach dem zweiten und dritten Spiegelstrich des Art 6 Abs 1 leg cit gleichermaßen bzw sinngemäß anwendbar sind (vgl VwGH 6.9.2018, Ro 2018/22/0008, und abermals Ro 2019/22/0001).
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Entscheidungsdatum: 18.02.2020
Aufbereitet am: 29.07.2020
2088
Erfordernis der Angabe von konkretem Aufenthaltstitel und -zweck löst Stillhalteklausel des ARB 1/80 nicht aus
Leitsätze
I. Aus § 19 Abs 1 und 2 NAG ergibt sich, dass in einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels der konkret angestrebte Aufenthaltstitel und der konkret verfolgte Aufenthaltszweck genau zu bezeichnen sind. Diese Bestimmungen bewirken keine Schlechterstellung gegenüber einer früheren Rechtslage seit dem EU-Beitritt Österreichs. Die gebotene Festlegung auf (nur) einen konkreten Aufenthaltstitel und Aufenthaltszweck lässt ebenso - selbst im Fall eines dabei unterlaufenen Fehlers - keinen Nachteil erkennen, da es der Fremden unbenommen ist, neben dem "Hauptantrag" auch einen oder mehrere Eventualanträge zu stellen, sodass sie sich gegen die Folgen einer allfälligen unrichtigen Festlegung des Aufenthaltstitels und Aufenthaltszwecks absichern kann. II. Die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 kommt nur dann und nur insoweit zur Anwendung, als durch die sonst grundsätzlich maßgebliche Rechtslage eine Verschärfung - iSe Schlechterstellung des Antragstellers - eingetreten ist, andernfalls ist auf die nach den in der Rsp entwickelten Kriterien maßgebliche Rechtslage abzustellen. III. Ausgehend von der in § 19 Abs 2 NAG festgelegten strengen Antragsbindung kommt eine amtswegige Umdeutung eines Antrages nach den Bestimmungen des NAG nicht in Betracht.
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Entscheidungsdatum: 27.02.2020
Aufbereitet am: 28.07.2020
2087
Zulässigkeit von Identitätskontrollen im Hinterland einer Schengen-Binnengrenze
Leitsätze
I. Um Identitätskontrollen in Grenznähe von (an Schengen-Binnengrenzen grundsätzlich unzulässigen) Grenzübertrittskontrollen zu unterscheiden, sind die Intensität, die Häufigkeit und Selektivität der Kontrollen maßgeblich. II. Die in Art 23 lit a Satz 2 VO (EU) 2016/399 genannten Merkmale sind Indizien für das Vorliegen von Grenzübertrittskontrollen gleichzuhaltenden Kontrollen. Diese Indizien können nur durch das Hinzukommen von Determinanten im mitgliedstaatlichen Recht entkräftet werden, die hinreichend genaue und detaillierte Konkretisierungen und Einschränkungen zur Intensität, Häufigkeit und Selektivität der durchgeführten Kontrollen beinhalten. Je mehr Indizien vorliegen, umso schärfer müssen die genannten Determinanten gefasst sein. Es muss gewährleistet sein, dass die praktische Ausübung dieser Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann. Dies zu prüfen ist Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten.
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Entscheidungsdatum: 04.06.2020
Aufbereitet am: 27.07.2020
2086
Fehlende Glaubwürdigkeit infolge Unfähigkeit zur konkreten Schilderung einschneidender Erlebnisse
Leitsätze
I. Gegen die Glaubhaftigkeit des späteren Vorbringens spricht, wenn der Beschwerdeführer eine ihm drohende Verfolgung durch die Polizei nicht erwähnt, sondern lediglich davon spricht, dass er mit dem Dorfvorsteher seit längerem in einem Konflikt stehe. II. Es spricht gegen die Glaubhaftigkeit der Behauptung, wegen der Zugehörigkeit zu einer politisch aktiven Gruppierung einer polizeilichen Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, wenn der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist anzugeben, um welche Gruppierung es sich dabei gehandelt hätte, sondern nur allgemein angibt, dass Khalistan eine Gruppierung von Sikhs sei, die um einen eigenständigen Staat kämpfe. III. Es spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens, wenn der Beschwerdeführer erst in der Beschwerdeverhandlung in der Lage ist, jene Splittergruppe genau zu bezeichnen, der er angehört hätte. IV. Es spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens, wenn der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist, übereinstimmende Angaben darüber zu machen, wie oft er von der Polizei festgenommen wurde, zumal es sich um einschneidende Erlebnisse handelt, wenn dies tatsächlich selbst erlebt wurde. V. Es spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens, wenn der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist, in der Erstbefragung und den folgenden Einvernahmen übereinstimmende Angaben zu den behaupteten Misshandlungen und Folterungen durch die Polizei im Herkunftsstaat zu machen. VI. Gegen das Bestehen einer Verfolgungsgefahr spricht auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seiner Ausreise im Februar 2019 einige Monate später wieder nach Indien zurückgekehrt ist. Wäre er tatsächlich einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt, wäre davon auszugehen, dass er nicht mehr in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt wäre. VII. Dass es dem Beschwerdeführer möglich war, trotz der im internationalen Flugverkehr durchgeführten strengen Personen- und Sicherheitskontrollen, die der Beschwerdeführer bei seiner Ausreise, seiner Rückkehr und der neuerlichen Ausreise wiederholt durchlief, ein- und auszureisen, spricht gegen das Bestehen einer konkreten Verfolgungsgefahr seitens der Behörden.
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Entscheidungsdatum: 28.02.2020
Aufbereitet am: 23.07.2020
2085
"Aufenthaltsberechtigung plus" bei nachweislicher Beziehungsintensität zu Familienmitgliedern im Inland
Leitsätze
I. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern auch vorausgesetzt, dass eine gewisse Beziehungsintensität zwischen Geschwistern und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern vorliegt. II. Eine gewisse Beziehungsintensität unter Familienmitgliedern liegt vor, wenn die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind. Die bloße Verwandtschaft erfüllt den Begriff "Familienleben" noch nicht.
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Entscheidungsdatum: 31.01.2020
Aufbereitet am: 22.07.2020
2084
Reales Risiko einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und einer finanziellen Notlage nach 20 Jahren Abwesenheit
Leitsätze
Versetzt eine Rückführung die rückgeführte Person auf Grund ihrer gesundheitlichen Lage und der langen Abwesenheit von dem Staat, in den sie rückgeführt werden soll, in eine aussichtslose Lage, verstößt die Rückführung gegen Art 3 EMRK.
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Entscheidungsdatum: 27.02.2020
Aufbereitet am: 21.07.2020
2083
Derzeit keine Zwangsrekrutierung in NW-Syrien
Leitsätze
Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Beschwerdeführer Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität drohen, liegt nicht vor, wenn im Entscheidungszeitpunkt keine konkreten, überzeugenden Hinweise dafür bestehen.
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Entscheidungsdatum: 31.01.2020
Aufbereitet am: 20.07.2020
2082
Kein Aufenthaltsverbot wegen schwerer Straftat gegen Vermögen nach zehnjährigem Wohlverhalten mehr zulässig
Leitsätze
Wenngleich ein Verbrechen gegen Vermögen eine Gefährdung öffentlicher Interessen begründet, ist nach zehnjährigem Wohlverhalten und geordneten Lebensumständen das Verhängen eines befristeten Aufenthaltsverbots (§ 67 Abs 1 und 2 FPG) gegen EWR-Bürger nicht mehr zulässig.
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Entscheidungsdatum: 01.04.2020
Aufbereitet am: 16.07.2020
2081
Verhältnismäßige Bemessung eines Einreiseverbots nach jahrelangem rechtswidrigen Aufenthalt bei fehlenden Unterhaltsmitteln
Leitsätze
I. Bei einem nach Ablauf einer visumfreien Aufenthaltsdauer von 90 Tagen illegalen Aufenthalt von mehreren Jahren und fehlendem Nachweis von Unterhaltsmitteln erweist sich die Verhängung eines befristeten Einreiseverbots gemäß § 53 Abs 1 und Abs 2 Z 6 FPG durch das BFA dem Grunde nach als rechtmäßig. II. Bei der Bemessung des Einreiseverbots kann aber in solchen Fallgestaltungen iSd durch Art 8 Abs 2 EMRK gebotenen Verhältnismäßigkeit mit einem Ausmaß von einem Jahr das Auslangen gefunden werden, zumal der betroffene Drittstaatsangehörige ausgereist ist. Daran ändern auch zwei schon mehrere Jahre zurückliegende strafgerichtliche Verurteilungen geringfügiger Natur nichts, ebenso nicht ein nach § 197 StPO abgebrochenes neuerliches Strafverfahren. III. Das BVwG bleibt der bisherigen Rsp treu, wonach erforderliche Unterhaltsmittel iSd § 53 Abs 2 Z 6 FPG vom betroffenen Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und nicht von BFA und BVwG amtswegig zu ermitteln sind.
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Entscheidungsdatum: 01.04.2020
Aufbereitet am: 15.07.2020
2080
Erforderlicher Nachweis einer tatsächlichen Unterhaltsgewährung für den Anspruch auf Sonderbehandlung als begünstigte Drittstaatsangehörige
Leitsätze
I. Ein Anspruch auf Erteilung eines Visums iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG bzw der RL 2004/38/EG besteht bei Vorliegen einer begünstigten Drittstaatsangehörigeneigenschaft eines EWR-Bürgers. II. Bei Kindern, die das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben, ist für die begünstigte Drittstaatsangehörigeneigenschaft eines EWR-Bürgers eine tatsächliche Unterhaltsgewährung unzweifelhaft nachzuweisen.
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Entscheidungsdatum: 10.02.2020
Aufbereitet am: 14.07.2020
2079
Beförderungsverweigerung durch Luftfahrtunternehmen wegen (angeblicher) Einreiseverweigerung durch einen Mitgliedstaat
Leitsätze
I. Zwar sieht Art 8 Beschluss 565/2014/EU bloß Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Zypern als Normadressaten vor, indem er ihnen freistellt, die einzelstaatlichen Visa untereinander als gleichwertig anzuerkennen. Machen die genannten Mitgliedstaaten aber von dieser Möglichkeit Gebrauch, so verpflichten sie sich im anerkannten Umfang zur Befolgung des Beschlusses und können sich die Einzelnen gegenüber einem Mitgliedstaat, an den der Beschluss 565/2014/EU gerichtet ist und der beschlossen hat, die genannte Möglichkeit auszuüben, auf die damit verbundene Verpflichtung berufen. II. Luftfahrtunternehmen sind nicht als den Mitgliedstaaten zuzurechnende Einrichtungen anzusehen, weil sie nicht mit einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut oder hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgingen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten. Va sind ihre Organe und Beauftragten keine Grenzschutzbeamten, die Kontrollen iSd Art 7 ff VO (EU) 2016/399 durchführen. Daher kann sich ein Einzelner gegenüber einem Luftfahrtunternehmen nicht auf den Beschluss 565/2014/EU berufen und scheidet das Unternehmen nicht aus dem Anwendungsbereich der VO (EG) 261/2004 (Fluggäste-AusgleichsleistungsVO) und den aus dieser folgenden Rechten und Pflichten aus. III. Das Unionsrecht, insb Art 14 VO (EU) 2016/399, verlangt für Einreiseverweigerungen begründete Entscheidungen der Mitgliedstaaten mittels Standardformulars, das dem betroffenen Drittstaatsangehörigen auszuhändigen ist. Daraus folgt für das Rechtsverhältnis des einreisewilligen Drittstaatsangehörigen zum Luftfahrtunternehmen, dass ihm dieses die Beförderung nicht unter Berufung auf eine Einreiseverweigerung versagen darf, ohne dass ihm zuvor eine schriftliche, begründete Entscheidung über die Einreiseverweigerung mitgeteilt wurde. IV. Auf Einreisebestimmungen gestützte Beförderungsverweigerungen durch Luftfahrtunternehmen fallen in den Anwendungsbereich der VO (EG) 261/2004 (Fluggäste-AusgleichsleistungsVO) und entlassen die Unternehmen nicht aus den aus der VO entspringenden Rechten und Pflichten. V. Die VO (EG) 261/2004 (Fluggäste-AusgleichsleistungsVO) bzw insb deren Art 15 ist dahin auszulegen, dass sie einem Ausschluss bzw einer Beschränkung der iSd VO (EG) 261/2004 (Fluggäste-AusgleichsleistungsVO) bestehenden Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Beförderungsverweigerung gemäß deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen entgegensteht. Daher kann ein Fluggast durch derartige Klauseln nicht um etwaige Schadenersatzansprüche nach der VO gebracht werden.
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Entscheidungsdatum: 30.04.2020
Aufbereitet am: 13.07.2020
2078
Anordnung zur Außerlandesbringung nach Zuständigkeitswechsel nach der Dublin III-VO
Leitsätze
Fälle, in denen in Österreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt wurden, unterliegen einerseits § 5 AsylG und andererseits § 61 Abs 1 Z 1 FPG.
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Entscheidungsdatum: 04.03.2020
Aufbereitet am: 09.07.2020
2077
Zurückweisung bei fehlender relevanter Änderung im Privat- und Familienleben
Leitsätze
Die Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK erfolgt zu Recht, wenn seit einem früheren rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG in einem neuerlichen Verfahren kein Sachverhalt hervorgekommen ist, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht.
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Entscheidungsdatum: 31.01.2020
Aufbereitet am: 08.07.2020
2076
Zur Ausweisung einer schwangeren Frau im Lichte des Kindeswohles
Leitsätze
I. Selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts kann der Beschwerdeführerin angesichts ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft - unter Einbeziehung der nach dem MSchG notwendigen Schonung für 8 Wochen vor und nach der Entbindung zum Schutze von (werdenden) Müttern - im Lichte des Art 8 EMRK nicht zugemutet werden, auf sich alleingestellt - mit allen damit einhergehenden Konsequenzen und Strapazen - ihren Lebensmittelpunkt in ihren Herkunftsstaat zu verlegen. II. Fallbezogen bedarf es bei einer Entscheidung iZm der Ausweisung einer werdenden Mutter vor allem auch einer Bewertung aus der Perspektive des noch ungeborenen Kindes. Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl ist notwendig.
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Entscheidungsdatum: 28.02.2020
Aufbereitet am: 08.07.2020
2075
Einkünfte iSd § 11 Abs 5 NAG, Nachweis von Deutschkenntnissen, Einheit von Verlängerungs- und Zweckänderungsantrag
Leitsätze
I. Bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, ist eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen. Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung verbietet sich dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist. Es genügt für den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, dass im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels eine konkretisierte Erwerbstätigkeit aufgenommen und damit das notwendige Ausmaß an Einkommen erwirtschaftet werden könnte. II. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (wie Arbeitslosenbezüge und Notstandshilfe) sind Einkünfte iSd § 11 Abs 5 NAG, die bei der Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel im Verlängerungsverfahren - nicht hingegen bei Erstanträgen, zu welchen der Zweckänderungsantrag gemäß § 2 Abs 1 Z 13 NAG aber nicht zählt - zu berücksichtigen sind. III. Verfügt der Fremde über einen Schulabschluss iSd § 9 Abs 4 Z 3 IntG, der der allgemeinen Universitätsreife iSd § 64 Abs 1 UniversitätsG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht, so ist der Nachweis von Deutschkenntnissen gemäß § 21 Abs 3 Z 1 NAG als erbracht anzusehen. IV. Bei der im Rahmen des Vorstudienlehrganges abzulegenden Ergänzungsprüfung Deutsch handelt es sich um eine studienrechtliche Zulassungsvoraussetzung und nicht um den Nachweis von Deutschkenntnissen iSd § 21a NAG. V. Die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe iSd § 30 Abs 1 NAG setzt nicht voraus, dass der Ehepartner gemäß § 117 FPG bestraft oder eine Anzeige gemäß § 117 FPG erstattet worden ist. Es steht einer derartigen Annahme auch nicht entgegen, dass ein Strafverfahren nach § 117 FPG nicht mit einer Verurteilung endete. VI. Bei einem mit einem Zweckänderungsantrag verbundenen Verlängerungsantrag handelt es sich um einen einheitlichen Antrag, der mit der Erteilung des Aufenthaltstitels für den geänderten Aufenthaltszweck erledigt ist und über den lediglich dann gesondert mit einem Bescheid abzusprechen ist, wenn die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt sind.
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Entscheidungsdatum: 27.02.2020
Aufbereitet am: 07.07.2020
2074
Zur Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln
Leitsätze
I. Nach § 20 Abs 1a NAG wird der Behörde - und damit auch dem LVwG - bei der Verleihung von Aufenthaltstiteln gemäß § 8 Abs 1 Z 2 NAG kein Ermessen eingeräumt ("sind ... auszustellen"). Wie den Erläuterungen zu entnehmen ist, soll dadurch zum einen für die Drittstaatsangehörigen ein Anreiz zur rechtzeitigen Erfüllung der Integrationsvereinbarung geschaffen werden, zum anderen soll die Regelung aber auch zu einer Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der Behörden führen. II. Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs 1a NAG müssen die Voraussetzungen dieser Bestimmung kumulativ vorliegen, damit der beantragte Aufenthaltstitel für die Dauer von drei Jahren (bzw kürzer in den Fällen des § 20 Abs 1a letzter Halbsatz NAG) ausgestellt werden kann. Fehlt es aber an einer der in § 20 Abs 1a NAG genannten Voraussetzungen, kommt die Festsetzung der Gültigkeitsdauer nach § 20 Abs 1a NAG nicht in Betracht. III. Die Gesetzesmaterialien bezeichnen die Niederlassung (vgl § 2 Abs 2 NAG) als eine qualifizierte Form des rechtmäßigen Aufenthalts, wobei wesentlich beim Aufenthaltszweck die Dauerperspektive des Aufenthalts des Betreffenden ist. Gemäß der - die Definition des Begriffs "Niederlassung" nach § 2 Abs 2 NAG einschränkenden - Regelung des § 2 Abs 3 leg cit gilt ein rechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs 1 Z 12 NAG) nicht als Niederlassung. IV. Das NAG unterscheidet zwischen Aufenthaltstiteln zur Niederlassung und Aufenthaltsbewilligungen zum bloß vorübergehenden Aufenthalt ohne Niederlassungsabsicht. Die Niederlassungsabsicht dient somit der Abgrenzung von zur Niederlassung berechtigenden Aufenthaltstiteln wie der "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" und Aufenthaltsbewilligungen. V. Nach dem klaren Wortlaut des § 2 Abs 3 NAG gilt der rechtmäßige Aufenthalt der Fremden aufgrund der bisher erteilten Aufenthaltsbewilligungen "Studierende" nicht als Niederlassung iSd § 2 Abs 2 NAG, zumal einer solchen Aufenthaltsbewilligung wesensimmanent ist, dass sie an die Dauer des Studiums gebunden ist und (mit Ausnahme des § 64 Abs 4 NAG) nicht über dessen Ende hinaus verlängert werden kann. Die Zeiten des Aufenthaltes aufgrund der Aufenthaltsbewilligung dürfen somit in einem Zweckänderungsverfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nicht im Rahmen des § 20 Abs 1a Z 2 NAG berücksichtigt werden. VI. Mit der Bestimmung des § 45 Abs 2 NAG, wonach die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung zur Hälfte auf die Fünfjahresfrist gemäß § 45 Abs 1 NAG anzurechnen ist, wurde Art 4 Abs 2 zweiter Unterabs der RL 2003/109/EG umgesetzt. Eine entsprechende sekundärrechtliche Grundlage für die Regelung des § 20 Abs 1a NAG besteht nicht. Anhaltspunkte dafür, dass das Fehlen einer vergleichbaren Anrechnungsbestimmung in § 20 Abs 1a NAG gemessen an der Zielsetzung der Regelung als planwidrig anzusehen ist oder eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung nach sich ziehen würde, sind für den VwGH nicht ersichtlich. Es ist somit nicht erkennbar, dass die Bestimmung des § 20 Abs 1a NAG unvollständig bzw ergänzungsbedürftig wäre. Die analoge Anwendung der Sonderregelung des § 45 Abs 2 NAG würde sich vielmehr über das ausdrücklich erfolgte Abstellen auf eine Niederlassung hinwegsetzen.
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Entscheidungsdatum: 27.02.2020
Aufbereitet am: 06.07.2020
2073
Beantragung humanitärer Visa in einer Botschaft zur Ermöglichung eines Antrags auf internationalen Schutz begründet keine Hoheitsgewalt iSd EMRK
Leitsätze
I. Die EMRK ist gemäß ihrem Art 1 nur auf Personen anwendbar, die sich unter der "Hoheitsgewalt" eines Mitgliedstaats befinden. Diese Hoheitsgewalt wird in erster Linie territorial bestimmt und bezieht sich idR auf das gesamte Staatsgebiet. II. Ausnahmsweise können auch Handlungen staatlicher Organe, die im Ausland gesetzt werden oder sich dort auswirken, Hoheitsgewalt begründen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Staat effektive Kontrolle über ein Gebiet außerhalb seines Territoriums oder wenn er durch im Ausland operierende Organe Macht und Kontrolle über bestimmte Personen ausübt. Insb die Ausübung von Gewalt durch staatliche Organe kann unter bestimmten Umständen Hoheitsgewalt begründen. Dasselbe gilt für die Handlungen des diplomatischen und konsularischen Personals. III. Die Entscheidung über einen bei einer Botschaft eingebrachten Visumantrag ist nicht ausreichend, um die Hoheitsgewalt des betroffenen Staates über die Antragsteller und damit die Anwendbarkeit der EMRK zu begründen. Auch die Tatsache, dass sich solche Entscheidungen auf die Lage der im Ausland befindlichen Personen auswirkt, vermag daran nichts zu ändern. IV. Die Einbringung von Visumanträgen bei einer Botschaft durch Personen, die sich freiwillig in die Botschaft begeben haben und diese jederzeit verlassen können, führt nicht dazu, dass das Botschaftspersonal de facto die Kontrolle über diese Personen ausübt und damit Hoheitsgewalt begründet wird. Auch die Kontrolle des Staates über das Botschaftsgelände ändert daran nichts. V. Die Anstrengung nationaler Verfahren über Visumanträge ist nicht ausreichend, um die Hoheitsgewalt des betroffenen Staates zu begründen. VI. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der EMRK auf alle Personen, die in einer Botschaft eines Mitgliedstaates ein Visum beantragen, würde darauf hinauslaufen, das völkerrechtliche Prinzip in Frage zu stellen, wonach jeder Staat das Recht hat, über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Fremden zu entscheiden. VII. Art 6 EMRK ist auf Verfahren über die Erteilung von Visa nicht anwendbar. Dasselbe gilt für ein Verfahren vor einem Zivilgericht, mit dem die Exekution eines Urteils angestrengt wird, das den Staat unter Androhung eines Zwangsgelds zur Ausstellung von Visa verpflichtet hat.
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Entscheidungsdatum: 05.03.2020
Aufbereitet am: 02.07.2020