Leitsätze
2311
Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Abschiebung bei besonderer Verdichtung der persönlichen Interessen in Österreich
Leitsätze
Soweit eine besondere Verdichtung der persönlichen Interessen in Österreich besteht, sodass bereits von außergewöhnlichen Umständen gesprochen werden kann, ist bei Überwiegen der persönlichen vor öffentlichen Interessen im Falle der Ausweisung von einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben nach Art 8 EMRK auszugehen.
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Entscheidungsdatum: 21.12.2020
Aufbereitet am: 24.06.2021
2310
Verweis auf geänderte Judikatur für Statusaberkennung allein nicht ausreichend
Leitsätze
I. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus verlangt eine substanzielle und nachhaltige Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts. II. Ob man denselben Sachverhalt bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Statusgewährung rechtlich hätte anders beurteilen können, ist ebenso ohne Relevanz wie der Verweis auf eine Änderung (höchst-)gerichtlicher Entscheidungstendenzen.
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Entscheidungsdatum: 21.12.2020
Aufbereitet am: 23.06.2021
2309
Zur maßgeblichen Änderung der Umstände bei Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
Leitsätze
I. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer nicht besonders qualifizierten Form der Suchtgiftdelinquenz ohne weitere darauffolgende Anzeigen rechtfertigt nicht die Annahme, dass die betroffene Person eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. II. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist von Amts wegen abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des gegenständlichen Status nicht mehr vorliegen. Treten neue Umstände hinzu, die den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuwiderlaufen könnten, so ist eine neue Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. War etwa die Minderjährigkeit bei der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschlaggebend, so stellt das Erreichen der Volljährigkeit keine maßgebliche Änderung der Umstände dar.
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Entscheidungsdatum: 09.11.2020
Aufbereitet am: 22.06.2021
2308
Keine Abschiebung bei Aberkennung der aufschiebenden Wirkung vor Entscheidung des BVwG oder Rechtskraft
Leitsätze
I. Bei Drittstaatsangehörigen darf eine Abschiebung aufgrund einer Rückkehrentscheidung nur dann erfolgen, wenn die Rückkehrentscheidung rechtskräftig ist oder das BVwG die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bestätigt hat. II. Auch ohne asylrechtlichen Kontext ist bei Aberkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtsmittelfrist und bei Beschwerde die Entscheidung des BVwG über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung abzuwarten.
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Entscheidungsdatum: 05.03.2021
Aufbereitet am: 21.06.2021
2307
Vorbringen von nach Erhebung des Rechtsbehelfs gegen Dublin III-Überstellungsentscheidungen eingetretenen Tatsachen
Leitsätze
I. Der EuGH hat im System des Art 267 AEUV (Vorabentscheidungsverfahren) von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen, ebenso von der Rechtsauslegung relevanten nationalen Rechts durch dieses Gericht. Somit kann die Prüfung der Vorlagefrage nicht anhand der Rechtsauslegung der Regierung des betreffenden Mitgliedstaats erfolgen. II. Die Einreise des Bruders eines Antragstellers in denselben Mitgliedstaat nach Ergehen einer asylbehördlichen Zurückweisungsentscheidung nach der Dublin III-VO (604/2013) (Überstellungsentscheidung) gegen den Antragsteller kann die nunmehrige Anwendung des Art 10 Dublin III-VO "nicht rechtfertigen". III. Um die rechtsrichtige Anwendung der Dublin III-VO (604/2013) zu gewährleisten, müssen auch entscheidungserhebliche Tatsachen geltend gemacht werden können, die erst nach einer asylbehördlichen Überstellungsentscheidung eintreten. IV. Punkt III kann etwa im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens iSd Art 27 Dublin III-VO erfüllt werden. V. Punkt III kann aber auch im Rahmen eines speziellen Rechtsbehelfs, unabhängig von jenem des Art 27 Dublin III-VO, erfüllt werden (Art 27 Dublin III-VO unterscheidet sich insoweit von Rechtsbehelfen iSd Art 46 Abs 3 RL 2013/32/EU, die dezidiert eine Entscheidung ex nunc bewirken müssen): Die Ausgestaltung eines solchen speziellen Rechtsbehelfs fällt zwar in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, wird aber durch Art 47 GRC, den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz determiniert. Seine Erhebung darf daher nicht von der Tatsache abhängig gemacht werden, dass dem betreffenden Antragsteller die Freiheit entzogen wurde oder die Durchführung der betreffenden Überstellungsentscheidung unmittelbar bevorsteht.
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Entscheidungsdatum: 15.04.2021
Aufbereitet am: 18.06.2021
2306
Keine Art 3 EMRK-Widrigkeit von Dublinüberstellungen nach Rumänien
Leitsätze
I. In Griechenland bestehen nach wie vor systematische Mängel im Asylwesen iSd Art 3 Abs 2 Dublin III-VO, sodass dieser Mitgliedstaat bei der Zuständigkeitsbestimmung nach dem Kapitel III leg cit nicht zu berücksichtigen ist. II. In Rumänien bestehen keine derartigen systematischen, mit Blick auf Art 3 EMRK relevanten Mängel, die einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat gemäß Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-VO entgegenstehen. Dies gilt insb hinsichtlich der medizinischen Versorgung von Asylsuchenden. Auch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ändern nichts an dieser rechtlichen Beurteilung. III. Der Umstand, dass die Europäische Kommission noch kein Vertragsverletzungsverfahren (Art 258 AEUV) gegen einen Mitgliedstaat angestrengt hat, ist ein wichtiger Indikator dafür, dass in diesem Mitgliedstaat die Standards der Flüchtlingsversorgung nicht massiv (und im Lichte von Art 3 EMRK relevant) unterschritten werden. IV. Eine zu befürchtende Art 3 EMRK-Verletzung durch eine Überstellung in einen Mitgliedstaat resultiert nicht daraus, dass der Asylwerber durch Organe dieses Mitgliedstaats zur Abgabe von Fingerabdrücken (für EURODAC) gezwungen worden war: Denn dabei handelt es sich um eine gesetzlich vorgesehene Maßnahme, die insb zur Wahrung der Sicherheit der Mitgliedstaaten notwendig ist und somit einen zumutbaren Eingriff darstellt, wie er auch in Österreich erfolgen würde.
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Entscheidungsdatum: 01.12.2020
Aufbereitet am: 17.06.2021
2305
Erhalt der Selbstständigeneigenschaft für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht auch bei schwangerschaftsbedingter kurzfristiger Unterbrechung der Tätigkeit
Leitsätze
I. Eine in einem anderen Mitgliedstaat aufhältige und dort selbstständig erwerbstätige Unionsbürgerin behält diese Eigenschaft iSd Art 7 Abs 3 RL 2004/38/EG auch dann, wenn sie in der Spätphase der Schwangerschaft diese Tätigkeit unterbricht und nach einer angemessenen Zeitspanne nach der Geburt die Tätigkeit wieder aufnimmt. II. Die zu Art 45 AEUV ergangene Rsp zu Arbeitnehmerinnen in einer vergleichbaren Situation (vor allem EuGH 19.6.2014, C-507/12 [Saint Prix] ECLI:EU:C:2014:2007) ist auf Selbstständige iSd Art 49 AEUV vollumfänglich übertragbar.
Entscheidungsdatum: 19.09.2019
Aufbereitet am: 16.06.2021
2304
Unzulässigkeit der Schubhaft wegen Aussichtslosigkeit der Erlangung von Heimreisezertifikaten in Bezug auf Somalia
Leitsätze
I. Eine auf § 76 Abs 2 Z 1 FPG gestützte Schubhaft darf nur dann verhängt werden, wenn das in dieser Bestimmung genannte Sicherungsverfahren auch in eine Abschiebung münden kann, der Sicherungszweck also erreichbar ist. II. Sind dem BFA unüberwindbare Hindernisse bei der Erreichung einer Abschiebung in Bezug auf den Herkunftsstaat bekannt, so darf eine Schubhaft nach § 76 Abs 2 Z 1 FPG von vornherein nicht verhängt werden. III. Hindernisse iSd Punktes II bestehen aktuell in Bezug auf Somalia, dessen Vertretungsbehörden für die Jahre 2019 und 2020 überhaupt keine Heimreisezertifikate ausgestellt haben. IV. In Fällen der a priori bestehenden Unerreichbarkeit des Sicherungszwecks hat das BVwG gemäß § 22a Abs 3 BFA-VG bei der Absprache über Beschwerden nach Abs 1 leg cit auch die Feststellung auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen.
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Entscheidungsdatum: 02.12.2020
Aufbereitet am: 15.06.2021
2303
Ausweisung eines in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Spaniers nach Verurteilung wegen Sexualdelikten
Leitsätze
I. In Fällen einer Ausweisung eines kinderlosen Erwachsenen, der sich in erster Linie auf seine Integration im Gaststaat beruft, sind folgende Kriterien zu berücksichtigen: der Charakter und die Schwere der von ihm begangenen Straftat; die Aufenthaltsdauer; die Zeit, die seit der Straftat vergangen ist und sein Verhalten während dieses Zeitraums sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gast- und zum Zielstaat. II. Wenn ein Fremder sein gesamtes Leben im Gaststaat verbracht hat, müssen zur Rechtfertigung seiner Ausweisung schwerwiegende Gründe vorgebracht werden. Dies gilt insb, wenn die Straftaten als Jugendlicher begangen wurden. III. Eine Bestimmung, wonach in "Härtefällen" von einer Ausweisung abzusehen ist, entspricht den Vorgaben der Konvention, wenn sie iSd Gebots einer Interessenabwägung ausgelegt werden kann. IV. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die innerstaatlichen Gerichte nach Durchführung einer Interessenabwägung die Ausweisung eines von Geburt an im Gaststaat aufgewachsenen Fremden für verhältnismäßig halten, der sich des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht hat und bei dem von einem hohen Rückfallsrisiko ausgegangen werden kann.
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Entscheidungsdatum: 08.12.2020
Aufbereitet am: 14.06.2021
2302
Ausweisung eines in der Schweiz geborenen Spaniers nach Verurteilung zu 30 Monaten Freiheitsstrafe wegen sexuellem Missbrauch einer Minderjährigen
Leitsätze
I. Es steht den Mitgliedstaaten der EMRK frei, Fremde auszuweisen, die eine Straftat begangen haben. Solche Ausweisungen müssen jedoch den Anforderungen des Art 8 Abs 2 EMRK entsprechen. II. Bei der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung sind insb die folgenden Faktoren zu berücksichtigen: die Art und Schwere der begangenen Straftaten; die Dauer des Aufenthalts des Fremden im Gaststaat; die seit der Tatbegehung vergangene Zeit und das Verhalten des Fremden in dieser Zeit; die Nationalität der betroffenen Personen; die familiäre Situation des ausgewiesenen Fremden; gegebenenfalls das Wohl der Kinder und die Schwierigkeiten, mit denen sie im Herkunftsland des ausgewiesenen Elternteils konfrontiert wären; sowie das Bestehen der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Herkunftsstaat. III. Die Ausweisung eines niedergelassenen Migranten, der den größten Teil seines Lebens im Gaststaat verbracht hat, kann nur durch sehr schwerwiegende Gründe gerechtfertigt werden. Die innerstaatlichen Gerichte müssen ihre Entscheidung detailliert begründen, damit der EGMR die ihm zustehende Überprüfung vornehmen kann. IV. Der EGMR akzeptiert idR die Entscheidung der innerstaatlichen Instanzen, wenn diese die persönliche Situation des Beschwerdeführers gründlich untersucht und die widerstreitenden Interessen anhand der vom EGMR entwickelten Kriterien sorgfältig gegeneinander abgewogen haben. Im Gegensatz dazu ist eine unzureichende Begründung durch die innerstaatlichen Gerichte nicht mit Art 8 EMRK vereinbar. V. Der mehrere Monate lang andauernde sexuelle Missbrauch einer Minderjährigen kann als sehr schwerwiegender Faktor berücksichtigt werden, der für eine Ausweisung spricht. Dies gilt umso mehr, wenn konkrete Hinweise auf eine Rückfallgefahr bestehen. Dieser Umstand kann die Ausweisung eines im Gaststaat geborenen und aufgewachsenen Spaniers, der über gewisse Bindungen zu Spanien verfügt und Spanisch spricht, rechtfertigen.
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Entscheidungsdatum: 22.12.2020
Aufbereitet am: 11.06.2021
2301
Besonders strenger Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 Satz 5 FPG auch bei mehrfach bestrafter Gewalt gegen Frauen nicht erfüllt
Leitsätze
I. Eine Beschwerde gegen die auf § 18 BFA-VG gestützte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist, weil dies gemäß Abs 5 leg cit ohnehin amtswegig zu überprüfen ist, als unzulässig zurückzuweisen. II. Auf EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige, die bereits zehn Jahre im Bundesgebiet aufhältig sind, kommt bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 Satz 5 FPG zur Anwendung: Damit die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib des Betroffenen im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde, müssen zur Gefährdungsprognose in solchen Fällen "besonders schwerwiegende Merkmale" hinzutreten. III. Auch fünf strafgerichtliche Verurteilungen wegen Gewalt gegen Frauen inklusive teils schweren Körperverletzungen sowie mehrere Verwaltungsübertretungen (Lenken eines Kraftfahrzeugs trotz entzogener Lenkerberechtigung) vermögen den strengen Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 Satz 5 FPG nicht zu erfüllen. Daran ändert auch ein Hinzukommen eines festgestellten, aber noch nicht abgeurteilten Suchtmittelkonsums nichts, wenn sich daraus kein "bandenmäßiges" Handeln mit solchen Substanzen schließen lässt. IV. Abwägungsentscheidungen sind Einzelfallentscheidungen (dazu zählt sinngemäß auch die Gefährdungsprognose) und damit im Allgemein nicht revisibel iSd Art 133 Abs 4 B-VG, sodass die Revision an den VwGH vom BVwG nicht zuzulassen ist (§ 25a Abs 1 VwGG).
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Entscheidungsdatum: 02.12.2020
Aufbereitet am: 10.06.2021
2300
Berücksichtigung des Kindeswohls auch bei Entscheidungen, die nicht direkt an das Kind adressiert sind
Leitsätze
I. Den Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens (Art 267 AEUV) können nur die nationalen Gerichte konstituieren, sodass es einzig auf deren Vorlagefragen, nicht aber auf das Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens ankommt. II. Den Mitgliedstaaten erwächst in fremdenrechtlicher Hinsicht aus Art 20 AEUV bei Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen einem Unionsbürger und einem Drittstaatsangehörigen die Pflicht, Letzterem einen Aufenthaltstitel zu gewähren, wenn der Unionsbürger ansonsten gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen. III. Für das Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses iSd Punktes II kommt es auf alle Umstände des Einzelfalls an, bei Kindern insb auf deren Alter, die körperliche und emotionale Entwicklung, den Grad der affektiven Bindung an beide Elternteile und auf das Risiko, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre. IV. Der EuGH hält an seiner Judikatur fest, wonach die Kindeswohlklausel des Art 5 lit a RL 2008/115/EG auch dann zum Tragen kommt, wenn sich eine Rückkehrentscheidung gegen die Eltern richtet. Dies ergibt sich neben dem Normzweck und der Gesamtsystematik der RL auch aus der primärrechtlichen Determinante des Art 24 Abs 2 GRC und deren Auslegung in Übereinstimmung mit Art 3 Abs 1 UN-Kinderrechtsübereinkommen.
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Entscheidungsdatum: 11.03.2021
Aufbereitet am: 09.06.2021
2299
Rechtswidrige Anhaltung in Schubhaft aufgrund eines Nichtbescheides
Leitsätze
I. Eine Anhaltung in Schubhaft ist für rechtswidrig zu erklären, wenn sich diese auf einen Nichtbescheid stützt. Entspricht ein Schubhaftbescheid nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 18 Abs 4 AVG, so ist dieser absolut nichtig. Folglich mangelt es einer Anhaltung in Schubhaft an ihrer Rechtsgrundlage. II. Handelt es sich bei einem Schubhaftbescheid aufgrund fehlender Formalerfordernisse (bspw aufgrund eines Widerspruchs zu den Vorgaben des § 18 Abs 4 AVG) um einen Nichtbescheid, so ist eine dagegen erhobene Beschwerde mangels wirksamer Erlassung des Bescheids zurückzuweisen, einer Beschwerde gegen den Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (in Form einer Anhaltung in Schubhaft) ist aber folglich mangels Rechtsgrundlage für den Zwangsakt stattzugeben.
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Entscheidungsdatum: 10.09.2020
Aufbereitet am: 08.06.2021
2298
Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufgrund von Mittellosigkeit und Unmöglichkeit der Aufnahme einer legalen Beschäftigung
Leitsätze
I. Die gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten Interessen einer fremden Person hat einzelfallbezogen zu erfolgen, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit zwar zu berücksichtigen, jedoch als neutral zu werten ist. II. Aus der Beschäftigungslosigkeit, der Mittellosigkeit und der fehlenden Möglichkeit, dass eine legale Beschäftigung ausgeübt wird, resultiert die Gefahr der Beschaffung von Unterhaltsmitteln aus illegalen Quellen bzw der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, weswegen durch den weiteren Aufenthalt der fremden Person eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegen kann. Aus diesen Gründen kann für die betroffene Person keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden.
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Entscheidungsdatum: 07.12.2020
Aufbereitet am: 07.06.2021
2297
Herkunftsstaat nicht feststellbar
Leitsätze
Gemäß § 8 Abs 6 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ohne jegliche Refoulement-Prüfung abzuweisen, sofern der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann.
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Entscheidungsdatum: 18.12.2020
Aufbereitet am: 04.06.2021
2296
Kein Familienverfahren - Beschwerde gemäß § 16 Abs 3 BFA-VG gilt nicht für nachgeborenes Kind
Leitsätze
I. § 34 Abs 4 AsylG ist dahingehend auszulegen, dass eine gemeinsame Führung der Verfahren nur dann zu erfolgen hat, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim BVwG anhängig sind. II. Liegt kein unter einem zu führendes Familienverfahren iSd § 34 AsylG vor, ist aber auch die das Familienverfahren ergänzende Regelung des § 16 Abs 3 BFA-VG nicht anwendbar, wonach eine von einem Familienangehörigen erhobene Beschwerde auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt.
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Entscheidungsdatum: 09.12.2020
Aufbereitet am: 03.06.2021
2295
Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung
Leitsätze
I. Schubhaft kann zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. II. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen.
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Entscheidungsdatum: 12.01.2021
Aufbereitet am: 02.06.2021
2294
Schützenswertes Familienleben (Art 8 EMRK) abseits der "Kernfamilie" im Bundesgebiet; überwiegendes Interesse am Verbleib bereits nach fünf Jahren
Leitsätze
I. Pflegt ein von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme Betroffener intensivsten Kontakt mit seinen miteingereisten und in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, während er sonst keine Angehörigen im Bundesgebiet hat, so besteht hier (trotz Nicht-Vorliegens einer "Kernfamilie") auch bei einem Aufenthalt von erst fünf Jahren ein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK. Diese Schutzwürdigkeit wird durch den Umstand verstärkt, dass keine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat mehr bestehen. II. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in Fällen wie dem genannten (I.) wäre ein schwerwiegender Eingriff in das von Art 8 EMRK geschützte Familienleben und nur dann zulässig, wenn überwiegende öffentliche Interessen (insb Straffälligkeit des Betroffenen) dafür sprechen. III. Hinsichtlich des in § 9 Abs 2 Z 4 BFA-VG normierten Abwägungskriteriums sind fehlende Deutschprüfungen während des fünfjährigen Aufenthaltszeitraums dadurch relativierbar, dass dem Betroffenen deren Ablegung infolge fehlender formaler Vorbildung (kein Schulbesuch im gesamten Leben) erschwert ist. IV. In Fällen wie dem genannten (I. bis III.) ist festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist (§ 9 Abs 3 BFA-VG). Dies führt dazu, dass zumindest eine Aufenthaltsberechtigung iSd §§ 54 Abs 1 Z 2, 55 Abs 2 AsylG zu verleihen ist.
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Entscheidungsdatum: 01.12.2020
Aufbereitet am: 01.06.2021
2293
Entscheidung in der Sache selbst durch das BVwG gemäß § 7 Abs 2 BFA-VG
Leitsätze
Wenn der VwGH einer Revision oder der VfGH einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des BVwG gemäß § 7 Abs 1 BFA-VG stattgegeben hat, so hat gemäß § 7 Abs 2 BFA-VG das BVwG nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, über die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.
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Entscheidungsdatum: 04.02.2021
Aufbereitet am: 31.05.2021
2292
Rechtsschutz bei Verweigerung eines nationalen Visums für den längerfristigen Aufenthalt zu Studienzwecken
Leitsätze
I. Art 21 Abs 2a SDÜ ist nicht auf Sachverhalte anwendbar, in denen ein nationales Visum iSd Art 18 SDÜ zum Zweck eines längerfristigen Aufenthalts verweigert wird. II. Daher liegt in solchen Fällen (oben I.) keine "Durchführung" von Unionsrecht vor, sodass die GRC gemäß deren Art 51 nicht zur Anwendung kommt. Folglich besteht in solchen Fällen auch kein Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art 47 Abs 1 GRC. III. Fällt der Sachverhalt jedoch in den Anwendungsbereich der RL 2016/801/EU (Forscher-/Studenten- RL), so ist deren Art 34 Abs 5 zu beachten, der einen Rechtsbehelf "gemäß dem nationalen Recht" gewährt. IV. Bei der Ausgestaltung des Rechtsbehelfs iSv Art 34 Abs 5 RL 2016/801/EU sind die Mitgliedstaaten an den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz gebunden. V. Bei der Ausgestaltung des Rechtsbehelfs iSv Art 34 Abs 5 RL 2016/801/EU liegt trotz der Wendung "gemäß dem nationalen Recht" eine "Durchführung" von Unionsrecht iSd Art 51 GRC vor, sodass nach Art 47 Abs 1 GRC in irgendeinem Verfahrensstadium ein gerichtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss.
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Entscheidungsdatum: 10.03.2021
Aufbereitet am: 28.05.2021