Leitsätze
2818
Überwiegen der Interessen am weiteren Verbleib in Österreich bei bestehendem Familienleben mit einem österreichischen Staatsangehörigen
Leitsätze
I. Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. II. Bei der Beurteilung ist eine Gegenüberstellung der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse der Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.
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Entscheidungsdatum: 21.02.2022
Aufbereitet am: 12.09.2023
2817
Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde bei mangelnder Bescheinigung der erfolgten Antragstellung
Leitsätze
I. Unter dem Begriff "Glaubhaftmachung" versteht die Verwaltungsrechtsordnung die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Tatsache. II. Der Zweck der Glaubhaftmachung gemäß § 9 Abs 5 VwGVG besteht darin, dass sich für eine Prüfung a limine die Säumigkeit bereits aus dem Vorbringen in der Beschwerde selbst oder den der Beschwerdeschrift beigefügten Bescheinigungsmitteln ergibt.
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Entscheidungsdatum: 23.12.2022
Aufbereitet am: 11.09.2023
2816
Kein Verfolgungsgrund der Wehrdienstverweigerung bzw Zwangsrekrutierung aufgrund Minderjährigkeit
Leitsätze
I. Die Gefahr einer wegen Wehrdienstverweigerung drohenden Bestrafung kann zur Asylgewährung führen, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. II. Eine Verfolgungshandlung ist nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, soweit diesen Asylrelevanz zukommt.
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Entscheidungsdatum: 19.07.2022
Aufbereitet am: 08.09.2023
2815
Mitteilung über mögliche künftige Zulassung zum Studium unter Bedingungen ist keine Aufnahmebestätigung
Leitsätze
I. Universitäre "Bescheide" mit dem Inhalt, dass der/die Betreffende unter näher genannten Bedingungen - die noch vor der tatsächlichen Zulassung zu erfüllen seien - zu einem späteren Zeitpunkt zum Studium zugelassen werden könne und die dann geltende Rechtslage maßgeblich sei, sind nach stRsp nicht als Aufnahmebestätigung, sondern als (bloße) Information zu erachten und stellen damit keinen Nachweis für die Erfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen iSd § 64 Abs 1 NAG iVm § 8 Z 8 lit a NAG-DV dar. II. Das LVwG hat vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels die Erfüllung sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen, nicht nur jener, die im behördlichen Verfahren als nicht vorliegend erachtet wurden. Dem steht auch das Neuerungsverbot nicht entgegen, stellt doch die Frage, ob in dem hier vorgelegten "Bescheid" der Universität Wien eine aufrechte Bestätigung über die Zulassung zum Studium zu erblicken ist, keine Tatsachenfrage, sondern letztlich eine Frage der rechtlichen Würdigung eines von Anfang an durch eine vorgelegte Urkunde bekannten Sachverhalts dar.
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Entscheidungsdatum: 04.05.2023
Aufbereitet am: 07.09.2023
2814
Freiwillige Zuwendungen sind keine Unterhaltsleistungen
Leitsätze
I. Unterhaltsleistungen sind von freiwilligen Zuwendungen abzugrenzen, wobei Letztere den Tatbestand des § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG nicht erfüllen. II. Ein Familiennachzug iSd § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG setzt voraus, dass der Nachziehende während seines Aufenthalts im Bundesgebiet auf Unterhaltsmittel des Zusammenführenden angewiesen ist und ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Zusammenführenden und dem Nachziehenden besteht. Nach stRsp reicht es zudem nicht aus, wenn irgendwann vor Antragstellung im Herkunftsland Unterhalt bezogen wurde, sondern der Nachziehende muss bis zuletzt auf die Unterhaltsleistungen des Zusammenführenden angewiesen sein.
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Entscheidungsdatum: 04.05.2023
Aufbereitet am: 06.09.2023
2813
Unvertretbare Beweiswürdigung iZm unterstellter Aufenthaltsehe
Leitsätze
I. Nach der Rsp des VwGH sprechen regelmäßige Kontakte über das Internet sowie Besuche des Ehepartners nicht unmaßgeblich für eine "echte" (im Sinne einer tatsächlich gelebten) Ehe. II. Dass bei der kirchlichen Hochzeit etwa 100 Gäste anwesend waren und der Ehemann der Revisionswerberin diese Hochzeit zur Gänze finanziert hat, spricht gegen eine Aufenthaltsehe. III. Indem das LVwG auf das Vorliegen einer "dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung" zwischen der Revisionswerberin und ihrem Ehemann abstellte und dabei verkannte, dass aufgrund der Einhaltung der Regeln über den "Familiennachzug" und die gebotene Auslandsantragstellung samt Abwarten der Entscheidung über den beantragten Aufenthaltstitel in Nigeria notwendigerweise eine bloße "Fernbeziehung" mit den damit verbundenen Einschränkungen bestehen kann, erweist sich die Beweiswürdigung fallbezogen als nicht schlüssig.
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Entscheidungsdatum: 04.05.2023
Aufbereitet am: 05.09.2023
2812
Prüfungsvoraussetzungen hinsichtlich der Geltendmachung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
Leitsätze
I. Die Verpflichtung, gestützt auf Art 4 EMRK von einer Ausweisung abzusehen, besteht nur dann, wenn ein unmittelbares Risiko einer erneuten Rekrutierung oder Vergeltungsmaßnahmen glaubhaft gemacht werden können. II. Zur Geltendmachung des Fluchtgrundes der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann" gemeinsam haben. Zum anderen muss die Gruppe im betreffenden Drittstaat eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie auch von der Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
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Entscheidungsdatum: 19.10.2022
Aufbereitet am: 04.09.2023
2811
Unzureichende Maßnahmen der ungarischen Grenzpolizei zum Schutz des Lebens von Migrant*innen, die versuchten, den Grenzfluss Theiss schwimmend zu überqueren
Leitsätze
I. Selbst in Fällen unabsichtlicher Eingriffe in das Recht auf Leben kann Art 2 EMRK ausnahmsweise eine strafrechtliche Untersuchung verlangen. Wenn den staatlichen Organen oder Einrichtungen eine Nachlässigkeit zuzurechnen ist, die über eine bloße Fehleinschätzung oder Unachtsamkeit hinausgeht, weil sie es in vollem Bewusstsein der wahrscheinlichen Konsequenzen und in Vernachlässigung ihrer Befugnisse verabsäumten, die zur Vermeidung der einer gefährlichen Aktivität innewohnenden Risiken notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, kann es eine Verletzung von Art 2 EMRK begründen, wenn die für eine Lebensgefährdung Verantwortlichen nicht strafrechtlich verfolgt werden. Daher waren die ungarischen Behörden im vorliegenden Fall verpflichtet, die mögliche Verantwortlichkeit der Grenzpolizisten für das Ertrinken eines Migranten in der Theiß in einem strafrechtlichen Verfahren zu klären. II. Nach dem Ertrinken eines Migranten in einem Grenzfluss muss auch untersucht werden, ob die Grenzpolizisten ihre Verpflichtung vernachlässigt haben, die gebotenen Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Dabei geht es nicht nur um die individuelle Verantwortung einzelner Polizisten, sondern auch darum, ob ausreichende organisatorische und technische Vorkehrungen getroffen wurden, um solche Todesfälle zu vermeiden. III. Ist den Behörden ein reales Risiko für Leben und Unversehrtheit von Migrant*innen bekannt, weil es regelmäßig zu Versuchen kommt, einen Grenzfluss schwimmend zu überqueren, verlangen die aus Art 2 EMRK resultierenden positiven Verpflichtungen, Maßnahmen zur Vermeidung von Todesfällen zu ergreifen. Diese Verpflichtungen erstrecken sich auf die Planung und Kontrolle eines Einsatzes, um die Minimierung jeder Lebensgefahr zu gewährleisten. Sie umfasst auch die Verpflichtung, präventive operative Maßnahmen zu ergreifen, um eine reale und unmittelbare Lebensgefahr abzuwenden, von der die Behörden wussten oder wissen hätten müssen. Zugleich ist zu bedenken, dass von staatlichen Organen nicht erwartet werden kann, bei der Rettung jeder einzelnen Person aus einer gefährlichen Situation erfolgreich zu sein. IV. Im vorliegenden Fall wurde von den ungarischen Grenzpolizisten nicht alles getan, was von ihnen vernünftigerweise erwartet werden konnte, um eine reale und unmittelbare Lebensgefahr abzuwenden, die ihrem Wissen nach zu erwarten war.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2023
Aufbereitet am: 01.09.2023
2810
Zum Verhältnis von Dublin III-VO und § 35 AsylG
Leitsätze
I. Die europäischen Rechtsgrundlagen betreffend die Einreise von Drittstaatsangehörigen in den Schengenraum lassen erkennen, dass grds zuvor entsprechende Visa für die legale Einreise zu beantragen sind. Damit soll innerhalb des Schengenraums weitgehende Reisefreiheit gewährleistet werden. Mit wenigen Ausnahmen sind österreichische Vertretungsbehörden in den Mitgliedstaaten nicht mit den technischen Voraussetzungen für die Erteilung von derartigen Visa ausgestattet. II. Reist eine fremde Person schutzsuchend in den Schengenraum (zB Einreise in Griechenland) ein, so können uU fluchtbedingte Hinderungsgründe an einer Beantragung eines Visums außerhalb des Schengenraums vorgelegen haben.
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Entscheidungsdatum: 07.02.2022
Aufbereitet am: 31.08.2023
2809
Abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß Art 20 AEUV und Verschiedenes zu Rechtsschutzdefiziten in Ungarn
Leitsätze
I. Der EuGH hat Vorabentscheidungsersuchen unter der Prämisse zu beantworten, dass die Auslegung nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht (als Teil des Tatvorbringens) zutrifft. II. Art 20 AEUV steht einem faktischen Zwang von Unionsbürgern entgegen, das Unionsgebiet als Ganzes in Begleitung eines Drittstaatsangehörigen zu verlassen, weil zu diesem ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis besteht (auch wenn die Unionsbürger von ihrem Freizügigkeitsrecht nicht Gebrauch gemacht haben). In solchen Konstellationen steht dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht unmittelbar auf der Grundlage des Art 20 AEUV zu. Dies gilt jedoch nicht, wenn eine Möglichkeit des gemeinsamen Familienlebens in einem anderen Mitgliedstaat besteht. III. Das sich aus Art 20 AEUV ergebende abgeleitete Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger gilt nicht absolut, vielmehr darf davon auf Grund des Schutzes der öffentlichen Sicherheit bzw der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit dispensiert werden. Dabei ist aber eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, bei Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses insb auch Gesundheitszustand, familiäre und wirtschaftliche Situation des minderjährigen Kindes mit Unionsbürgerschaft. IV. Ein Einreiseverbot, dem rechtswidrigerweise keine Rückkehrentscheidung vorausgegangen war, fällt iSd Art 11 RL 2008/115/EG dennoch unter diese RL und deren Schutzvorschriften. V. Art 5 RL 2008/115/EG mit seinen grundrechtlich indizierten Schutzvorschriften ist unmittelbar anwendbar und genießt daher Vorrangwirkung. Um ihm zum Durchbruch zu verhelfen, ist ein nationales Gericht jedoch nicht dazu verpflichtet, eine unionsrechtskonforme früher in Geltung stehende nationale Rechtsnorm anstelle der geltenden unionsrechtswidrigen wieder anzuwenden. VI. Effektiver Rechtsschutz bedeutet, dass auch einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden kann (vgl etwa Art 13 Abs 2 RL 2008/115/EG in Zusammenschau mit Art 47 GRC). Damit steht ein Vorgehen von Behörden im Widerspruch, per gerichtlicher Anordnung einstweilig ausgesetzte Einreiseverbote weiterhin mit der Begründung zu vollstrecken, dass das Einreiseverbot bereits Gegenstand einer Ausschreibung im SIS sei.
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Entscheidungsdatum: 27.04.2023
Aufbereitet am: 30.08.2023
2808
Zur Verfolgungsgefahr bei Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der Madhibaan in Somalia
Leitsätze
I. Können Personen, die einem Minderheitenclan (hier: Minderheitenclan der Madhibaan in Mogadischu – Somalia) zugehörig sind, etwa die Schule besuchen, einer Erwerbstätigkeit (mit welcher eine Existenz aufgebaut werden kann) nachgehen udgl, so relativieren sich eventuelle mit der Clanzugehörigkeit verbundene Diskriminierungen erheblich. II. Werden keine hinreichenden Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nachgewiesen, so kann im Hinblick auf ein eventuelles Einreiseverbot davon ausgegangen werden, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedeuten oder den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufen wird. Bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbots sind die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers, wie zB die strafgerichtliche Unbescholtenheit im Bundesgebiet entsprechend zu beachten und mit der möglichen Höchstdauer von fünf Jahren (§ 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG) in Relation zu setzen. III. Das Ziel des Refoulementschutzes ist der Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen, ein Schutz vor unangenehmen Lebenssituationen (wie zB eine Rückkehr nach Somalia, wo die allgemeine Sicherheitslage als instabil erscheint) ist davon nicht erfasst. IV. Hat die fremde Person den Großteil ihres Lebens in ihrem Herkunftsstaat verbracht, spricht sie die Landessprache, ist sie dort sozialisiert und mit den örtlichen sowie kulturellen Gegebenheiten vertraut, so ist im Falle einer Rückkehr davon auszugehen, dass die fremde Person vor Ort wieder mit ihren Angehörigen in Kontakt treten und sich wieder in die dortige Gesellschaft eingliedern wird können.
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Entscheidungsdatum: 06.10.2022
Aufbereitet am: 29.08.2023
2807
Notwendige Verhandlung iZm Feststellung nach § 20 Abs 4 NAG
Leitsätze
Die bloße Einräumung der Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme genügt nicht, wenn die Revisionswerberin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und ihre Einvernahme wiederholt beantragt und den vom LVwG angenommenen Sachverhalt für unzutreffend erachtet hat.
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Entscheidungsdatum: 20.03.2023
Aufbereitet am: 28.08.2023
2806
Zum Fehlen eines Schulerfolgs
Leitsätze
I. Mit dem Wiederholen von Semestern geht zwingend eine Verzögerung der Schulausbildung einher und infolgedessen ist bei Wiederholen von Semestern der Schulerfolgsnachweis als nicht erbracht anzusehen. II. Ungeachtet der jeweiligen "Gesamtstudiendauer" ist der im zuletzt abgeschlossenen Schuljahr erbrachte Erfolg als maßgeblich zu erachten und dieser im Fall des Wiederholens eines Semesters zu verneinen. III. Dass bei Eintritt der Fremden in die gegenständliche Schule eine Anrechnung von Leistungen erfolgt war, die es ihr erlaubt hatte, in ihrem ersten Schuljahr unmittelbar in das dritte Schulsemester einzutreten, ist im Fall, dass der Schulerfolg im darauffolgenden Schuljahr zu beurteilen ist, nicht relevant. Die zu einem früheren Zeitpunkt erfolgte Anrechnung von externen Leistungen für die Schulausbildung befreit die Fremde jedenfalls nicht davon, für das gegenständlich maßgebliche Schuljahr den gemäß § 63 Abs 3 NAG erforderlichen Schulerfolg nachzuweisen.
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Entscheidungsdatum: 03.03.2023
Aufbereitet am: 25.08.2023
2805
Besuch einzelner Lehrveranstaltungen als Vorbereitung auf Studienberechtigungsprüfung ist kein Universitätslehrgang
Leitsätze
I. Die Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Student" aufgrund eines früheren Antrags betreffend ein anderes Studienjahr entfaltet – auch wenn die Aufenthaltsbewilligung iZm derselben Ausbildung erteilt wurde – keine Bindungswirkung hinsichtlich der Vorfrage, ob vom Bewilligungswerber ein in § 64 Abs 1 Z 2 bis 7 NAG angeführtes Studium absolviert wird oder eine dort genannte Bildungseinrichtung vorliegt. II. Die Aufnahmebestätigung iSd § 8 Z 8 lit a NAG-DV hat sich – da es um die Erbringung des Nachweises der besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 64 Abs 1 NAG geht – auf eines der in dieser Bestimmung genannten ordentlichen bzw außerordentlichen Studien zu beziehen. III. Der Gesetzgeber hat in § 64 Abs 1 Z 3 und 4 NAG ausdrücklich und bewusst eine Einschränkung auf außerordentliche Studien im Rahmen von Universitätslehrgängen iSv § 56 UniversitätsG vorgenommen. Der Besuch einzelner Lehrveranstaltungen an einer Universität, die zur Vorbereitung auf die Studienberechtigungsprüfung bzw eine Ergänzungsprüfung dienen, sind einem Universitätslehrgang iSv § 56 UniversitätsG nicht gleichzuhalten. Die Bestimmungen des NAG weisen insoweit auch keine unbeabsichtigte Lücke auf. Einzelne Lehrveranstaltungen sollen offenkundig weder in der Z 3 noch in der Z 4 des § 64 Abs 1 NAG erfasst werden. IV. Das NAG ermöglicht für einen Aufenthalt zwecks Erlangung eines Reifeprüfungszeugnisses bei einer der in § 63 Abs 1 NAG genannten Schuleinrichtungen und somit zwecks Erlangen der allgemeinen Universitätsreife (vgl § 64 Abs 1 UniversitätsG) die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Schüler". V. Es ist evident, dass die Z 3 und die Z 4 des § 64 Abs 1 NAG (auch wenn hinsichtlich beider Ziffern die Absolvierung einer der dort genannten Studienformen – im vorliegenden Zusammenhang eines Universitätslehrgangs iSv § 56 UniversitätsG – erforderlich ist) unterschiedliche Konstellationen regeln. VI. § 64 Abs 1 Z 6 NAG setzt voraus, dass ein in § 64 Abs 1 Z 4 NAG genanntes außerordentliches Studium absolviert wurde.
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Entscheidungsdatum: 16.03.2023
Aufbereitet am: 24.08.2023
2804
Durch Behördenfehler verursachte Lücke der Aufenthaltsberechtigungen im Verfahren nach § 45 Abs 12 NAG dem Betroffenen nicht zurechenbar
Leitsätze
I. Die Ausstellung eines Konventionsreisepasses gemäß § 94 FPG hat keine konstitutive Wirkung. II. Anders als im Fall der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, dessen Einreise- und Aufenthaltsrecht unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt wird, ist im Fall des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs 4 AsylG zusätzlich die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung vorgesehen. Damit ist gemäß § 31 Abs 1 Z 4 FPG ein rechtmäßiger Aufenthalt verbunden. Nur im Fall eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags besteht die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 dritter Satz AsylG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts weiter. III. Von der gemäß § 8 Abs 4 AsylG zu erteilenden Berechtigung ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu unterscheiden. Bei der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs 4 AsylG handelt es sich nicht um die Verlängerung des Status als subsidiär Schutzberechtigter. IV. Die Titelerteilung nach § 45 Abs 12 NAG erfordert, soweit Aufenthaltszeiten als subsidiär Schutzberechtigter zu beurteilen sind, dass der subsidiär Schutzberechtigte in den letzten fünf Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig war. V. Wenngleich es nach dem Wortlaut des § 45 Abs 12 NAG auf die fallspezifischen Ursachen für das Nichtvorliegen der gesetzlich normierten Voraussetzungen für die Erteilung eines Titels "Daueraufenthalt – EU" nicht ankommt, ist bei Vollziehung des Gesetzes iSd VfGH-Rsp zu berücksichtigen, dass die Behörde ein von ihr selbst zu vertretendes Versäumnis dann nicht zum Nachteil des Antragstellers verwenden darf, wenn sie selbst die verpönte Lage herbeigeführt hat, und dass rechtswidriges behördliches Verhalten nicht schon erworbene Rechtspositionen vernichten darf. Unter diesem Gesichtspunkt liegt eine planwidrige Lücke der Regelungen des § 45 Abs 12 NAG vor. VI. Was Verfahren nach § 45 Abs 12 NAG anbelangt, zieht eine Fristversäumnis bei Beantragung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG, für die keinerlei Sanierungsmöglichkeit besteht, oftmals erhebliche Konsequenzen für den Fremden nach sich. Mit Blick auf die übrigen nach § 45 NAG anspruchsberechtigten Personengruppen betrifft im Rahmen des § 45 NAG das Fehlen von Vorschriften über die "Quasi-Wiedereinsetzung" in vorangegangenen Verfahren vorwiegend subsidiär Schutzberechtigte nachteilig. Dabei wurde aber das Auftreten eines Behördenfehlers vom Gesetzgeber offenkundig nicht mit ins Kalkül gezogen. Vor diesem Hintergrund kann dem Gesetz nicht unterstellt werden, dass ein Behördenfehler, der die nicht fristgerechte Einbringung eines Verlängerungsantrags nach § 8 Abs 4 dritter Satz AsylG verursachte, in Bezug auf ein Verfahren nach § 45 Abs 12 NAG die "Vernichtung" von bereits rechtmäßig zurückgelegten langjährigen Aufenthaltszeiten mit entsprechend nachteiligen Auswirkungen für den Betroffenen nach sich zöge.
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Entscheidungsdatum: 16.03.2023
Aufbereitet am: 23.08.2023
2803
Auch im Ausland geschlossene Stellvertreterehen sind in der Regel anzuerkennen
Leitsätze
I. Die österreichische Vollziehung hat vom ordre public-Vorbehalt des § 6 IPRG nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. In Bezug auf im Ausland geschlossene Ehen begründet ein Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften nicht bereits einen "ordre public"-Verstoß. Insb Zwangsehen und Kinderehen ist die Anerkennung zu verweigern. II. Eine nach syrischem Recht wirksame Eheschließung, die im Wege der Stellvertretung (entgegen dem österreichischen Recht, konkret § 17 EheG) erfolgte, ist von der Vollziehung und sohin auch von den Fremdenbehörden anzuerkennen, wenn ihr ein Ehewillen zugrunde liegt. III. Bevor es Stellvertreterehen nach den strengen Kriterien des § 6 IPRG die Anerkennung verweigert, hat das BFA im Botschaftsverfahren (§ 35 AsylG) Feststellungen zur ausländischen Eherechtslage als Tatfrage, zu den Modalitäten der Eheschließung sowie zur Beziehung der Eheleute zueinander zu treffen, widrigenfalls der Behörde krasse Ermittlungslücken iSd § 28 Abs 3 VwGVG anzulasten sind.
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Entscheidungsdatum: 01.02.2023
Aufbereitet am: 22.08.2023
2802
"Daueraufenthalt - EU" erfordert Rechtmäßigkeit der fünfjährigen ununterbrochenen Niederlassung
Leitsätze
I. Für die Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" gemäß § 45 NAG ist eine in den letzten fünf Jahren ununterbrochene rechtmäßige Niederlassung erforderlich; eine bloß tatsächliche fünfjährige Niederlassung genügt nicht. II. Unabhängig davon, ob der aufgrund einer Legitimationskarte gemäß dem hier noch maßgeblichen § 95 FPG rechtmäßige Aufenthalt als Niederlassung iSd § 2 Abs 2 NAG gilt, begründet die über Antrag des Fremden erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner Legitimationskarte gemäß § 95 FPG ausgestellte Verlängerung weder ein rückwirkendes Aufenthaltsrecht, noch wird dadurch ein unrechtmäßiger Aufenthalt legalisiert.
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Entscheidungsdatum: 16.03.2023
Aufbereitet am: 21.08.2023
2801
Verhängung eines Aufenthaltsverbots gegen einen vermindert schuldfähigen psychisch kranken Rechtsbrecher, der im Herkunftsstaat nicht behandelt würde
Leitsätze
I. Die Mitgliedstaaten sind befugt, auch seit vielen Jahren niedergelassene Fremde auszuweisen, doch müssen gewichtige Gründe für die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Diese können sich unter anderen aus einer Straffälligkeit ergeben. Vor einer solchen Entscheidung müssen sie jedoch eine Abwägung der Interessen des Fremden an der Fortsetzung seines Privat- bzw Familienlebens im Aufenthaltsstaat und dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts vornehmen. Der EGMR wird diese Abwägung akzeptieren, wenn sie auf seinen in stRsp entwickelten Kriterien (insb Üner gegen die Niederlande, Maslov gegen Österreich, Savran gegen Dänemark) beruht und keine gewichtigen Gründe dafür vorliegen, diese Abwägung durch eine vom EGMR selbst vorgenommene zu ersetzen. II. Bei der von Art 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung vor der Ausweisung eines niedergelassenen Fremden sind auch medizinische Aspekte zu berücksichtigen, wie insb die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der notwendigen Behandlung im Herkunftsstaat. III. Im Fall der Ausweisung eines straffällig gewordenen Fremden, dessen Schuldfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung herabgesetzt ist, müssen sowohl die Schwere der begangenen Straftaten als auch die verminderte Schuldfähigkeit berücksichtigt werden. Diese kann das Gewicht der Straftaten bei der Interessenabwägung mindern. IV. Wiederholte Verurteilungen wegen Vermögens- und Gewaltdelikten und eine Verurteilung wegen Vergewaltigung stellen sehr schwerwiegende Gründe dar, die eine Ausweisung eines seit Kindheit rechtmäßig aufhältigen Fremden rechtfertigen können. V. Die Ausweisung ist in einem solchen Fall jedoch nicht mit Art 8 EMRK vereinbar, wenn die innerstaatlichen Gerichte bzw Behörden den psychischen Zustand des Betroffenen nicht ausreichend berücksichtigt haben, aufgrund dessen die Schuldfähigkeit vermindert war und eine fortgesetzte Behandlung geboten ist.
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Entscheidungsdatum: 30.05.2023
Aufbereitet am: 18.08.2023
2800
Aufenthaltstitel: konkreter Gültigkeitsbeginn anzugeben
Leitsätze
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels durch ein Verwaltungsgericht mit der Maßgabe "für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum" bzw "ab Ausstellung des Dokuments" entspricht nicht dem Gesetz.
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Entscheidungsdatum: 08.03.2023
Aufbereitet am: 17.08.2023
2799
Feststellungsantrag zu Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 unzulässig
Leitsätze
I. Ein rechtliches Interesse des Betroffenen an einer Bescheinigung bzw an einer deklarativen Feststellung des ihm nach dem ARB 1/80 zustehenden Aufenthaltsrechts ist zwar anzuerkennen. Allerdings wird dem Interesse an der Dokumentation einer aus dem ARB 1/80 erfließenden Berechtigung dadurch Rechnung getragen, dass gemäß § 4c AuslBG eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen ist, wenn türkische Staatsangehörige die Voraussetzungen nach Art 6 Abs 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllen. Die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 wird somit in einem Verfahren nach § 4c AuslBG geklärt; diese Aussagen sind auch auf Fälle nach Art 6 Abs 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 übertragbar. II. Ein Antrag auf Feststellung eines Aufenthaltsrechts nach dem ARB 1/80 ist unzulässig. In diesem Zusammenhang erhobene Bedenken in Bezug auf die Möglichkeit zur Aus- und Wiedereinreise sind nicht stichhaltig. III. Türkische Staatsangehörige genießen nach dem ARB 1/80 keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft.
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Entscheidungsdatum: 08.03.2023
Aufbereitet am: 16.08.2023