Leitsätze
2392
Neuerlich zur Unterhaltsberechnung
Leitsätze
I. Für die Unterhaltsberechnung ist der zum Entscheidungszeitpunkt geltende ASVG-Richtsatz heranzuziehen. II. Nach stRsp ist die Familienbeihilfe bei der Prüfung des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel nicht zu berücksichtigen. III. Das einmalige Erreichen der Richtsätze in der Vergangenheit ist kein geeigneter Nachweis dafür, dass der Aufenthalt des Fremden während der Dauer des beantragten Aufenthaltstitels zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, sofern nicht im Rahmen einer individuellen Prüfung Umstände festgestellt werden, aufgrund derer künftig von einer Änderung der Einkommensverhältnisse auszugehen ist. IV. Ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreiten der gesetzlich normierten Richtsätze gesichert ist, ist nur nach Durchführung einer individuellen Prüfung zu beantworten.
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Entscheidungsdatum: 27.01.2021
Aufbereitet am: 24.11.2021
2391
Änderung der Unterbringung von Adressaten von Dublin-Überstellungsentscheidungen auch während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens?
Leitsätze
I. Aus Art 27 Abs 3 lit c Dublin III-VO ist abzuleiten, dass die Mitgliedstaaten einem Rechtsbehelf gegen Dublin-Überstellungsentscheidungen nicht ex lege die aufschiebende Wirkung zuerkennen müssen, sondern für diese auch ein Antragserfordernis statuieren dürfen. II. Die in Art 27 Dublin III-VO verankerte Garantie eines effektiven Rechtsbehelfs gegen Dublin-Überstellungsentscheidungen iSd Art 26 Abs 1 Dublin III-VO verbietet es den Mitgliedstaaten nicht, während dessen Anhängigkeit vorbereitende Maßnahmen für die Überstellung zu treffen. So kann der Adressat einer solchen Entscheidung bereits vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf in eine geeignete Unterbringungseinrichtung verlegt werden. III. Auch Art 18 Abs 6 RL 2013/33/EU steht derartigen Änderungen der Unterbringung nicht entgegen.
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Entscheidungsdatum: 26.03.2021
Aufbereitet am: 23.11.2021
2390
Zur Reichweite der Manuduktionspflicht iZm Studienerfolgsnachweisen
Leitsätze
I. Die Manuduktionspflicht nach § 13a AVG verlangt keine Beratung der Verfahrensparteien in materiellrechtlicher Hinsicht durch das LVwG. Auch unvertretenen Personen sind nur die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben, sie sind aber nicht in materieller Hinsicht zu beraten und nicht anzuleiten, welche für ihren Standpunkt günstigen Behauptungen sie aufzustellen bzw mit welchen Anträgen sie vorzugehen haben. Vorliegend wäre eine Manuduktion der Revisionswerberin dahingehend, dass sie den Erfolgsnachweis nicht nur durch rezente Prüfungserfolge im maßgeblichen Studienjahr, sondern auch durch die mögliche Anerkennung von Prüfungen aus früher absolvierten Studien erbringen könne, als eine solche materiellrechtliche Beratung und Anleitung zu erachten, zu der die Behörde bzw das LVwG nicht verhalten ist. II. Die Anleitungs- und Belehrungspflicht gemäß § 13a AVG bezieht sich nur auf anhängige Verfahren und umfasst von vornherein keine Rechtshandlungen außerhalb des betreffenden Verfahrens. Eine vorauseilende Erörterung allfälliger künftiger in einem weiteren Verfahren auftretender Rechtsfragen (wie hier der möglichen Erbringung des Erfolgsnachweises durch Anerkennung von Prüfungen aus früher abgelegten Studien in einem künftigen Verlängerungsverfahren) ist davon jedenfalls nicht umfasst. III. Für die zeitliche Zuordnung einer anerkannten Prüfung ist auf das Datum der Anerkennung abzustellen, zumal diese als Prüfungsantritt und positive Beurteilung in dem Studium gilt, für das die Anerkennung erfolgte.
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Entscheidungsdatum: 08.02.2021
Aufbereitet am: 22.11.2021
2389
Zur Verfahrensanhängigkeit iSd § 19 Abs 2 NAG
Leitsätze
Der zweite Antrag des Mitbeteiligten langte am 19.11.2018 bei der Behörde ein. Mit Beschluss vom 21.11.2018 wies das LVwG seine Beschwerde gegen die Abweisung seines ersten Antrages wegen verspäteter Einbringung zurück. Auch wenn kein Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs 3 AVG erteilt wurde, lag damit das Prozesshindernis einer Antragstellung während eines anhängigen Verfahrens jedenfalls nicht mehr vor. Die Behörde durfte ihre Entscheidung vom 23.5.2019 über den zweiten Antrag des Mitbeteiligten daher nicht mehr auf das Prozesshindernis des § 19 Abs 2 zweiter Satz dritter Fall NAG stützen.
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Entscheidungsdatum: 10.02.2021
Aufbereitet am: 18.11.2021
2388
Zum Aufenthaltsverbot gegen daueraufenthaltsberechtigte Unionsbürger bei Vorliegen einer positiven Zukunftsprognose
Leitsätze
I. Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen ein Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Für die Begründung einer derartigen Gefahr reichen eine strafgerichtliche Verurteilung und vom Einzelfall losgelöste oder generalpräventive Argumente nicht aus. II. Wird ein Bescheid angefochten, mit welchem noch vor dem Zeitpunkt des Austritts Großbritanniens aus der EU ein Aufenthaltsverbot gegen einen Staatsbürger Großbritanniens erlassen wurde, so sind in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren auch weiterhin die auf Unionsbürger anwendbaren Bestimmungen heranzuziehen.
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Entscheidungsdatum: 07.06.2021
Aufbereitet am: 17.11.2021
2387
Formlose Eskortierung illegal eingereister Schutzsuchender an die Grenze zu Serbien durch ungarische Polizisten
Leitsätze
I. Der Begriff der "Ausweisung" in Art 4 4. ZPEMRK ist in der allgemeinen Bedeutung seines aktuellen Gebrauchs zu verstehen ("von einem Ort vertreiben"). Er bezieht sich auf jede zwangsweise Entfernung eines Fremden aus dem Territorium eines Staates, unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Person, der Dauer dieses Aufenthalts, dem Ort an dem sie aufgegriffen wurde, ihrem Status als Migrant oder Asylsuchender oder ihrem Verhalten beim Überqueren der Grenze. II. Art 4 4. ZPEMRK ist auch auf jene anzuwenden, die beim Versuch, eine Landgrenze zu überqueren, festgenommen und von Grenzbeamten sofort aus dem Staatsgebiet entfernt wurden. III. Art 4 4. ZPEMRK kann selbst dann anwendbar sein, wenn die umstrittene Maßnahme vom innerstaatlichen Recht nicht als "Ausweisung" eingestuft wird. IV. Für die Einschätzung, ob eine Ausweisung als "kollektiv" iSv Art 4 4. ZPEMRK anzusehen ist, ist das Fehlen einer "vernünftigen und sachlichen Prüfung des spezifischen Falls jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe" ausschlaggebend. V. Die Eskortierung eines nach unrechtmäßigem Grenzübertritt aufgegriffenen Fremden zur Grenze und die Aufforderung, diese zu überschreiten, ohne dass seine Identität festgestellt und seine individuelle Situation geprüft worden wäre, stellt eine Kollektivausweisung iSv Art 4 4. ZPEMRK dar. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass der Landstreifen jenseits des Grenzzauns formal Teil des Hoheitsgebiet des ausweisenden Staats ist. VI. Eine solche Ausweisung ist nur dann mit Art 4 4. ZPEMRK vereinbar, wenn ihr kollektiver Charakter auf das eigene Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen ist. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn der Grenzübertritt eine destabilisierende, schwer unter Kontrolle zu bringende Situation geschaffen oder zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit geführt hat oder wenn ein effektiver Zugang zu legalen Wegen der Einreise bestanden hätte, der vom Beschwerdeführer nicht genutzt wurde, obwohl dem keine zwingenden Gründe entgegen gestanden wären. VII. An der Grenze zwischen Serbien und Ungarn bestand für den Beschwerdeführer 2016 keine realistische Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, weil dies nur in einer der beiden Transitzonen zulässig war und er keinen Zutritt zu diesen erhielt.
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Entscheidungsdatum: 08.07.2021
Aufbereitet am: 16.11.2021
2386
Recht der Mitgliedstaaten auf Bestimmung der Zahl drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer und Selbstständiger in ihrem Hoheitsgebiet versus Niederlassungsfreiheit
Leitsätze
I. Der Sachverhalt, dass die Gesellschaft eines Mitgliedstaats eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gründet und dort Schiffe zur Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit registriert, unterfällt der Niederlassungsfreiheit. II. Das vom Flaggen-Mitgliedstaat aufgestellte rechtliche Erfordernis, dass drittstaatsangehörige Besatzungsmitglieder auf einem solchen Schiff grundsätzlich eine Arbeitserlaubnis benötigen, es sei denn, das Schiff läuft die Häfen des Flaggen-Mitgliedstaates nicht öfter als 25 Mal pro Jahr an, stellt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit iSd Art 49 Abs 1 AEUV dar. Denn eine solche Regelung ist durch Art 79 Abs 5 AEUV als Zugangshürde für Arbeit und Aufenthalt Drittstaatsangehöriger primärrechtlich gedeckt. III. Art 79 Abs 5 AEUV rechtfertigt auch den Umstand, dass eine mitgliedstaatliche Regelung wie die unter II. genannte Schiffsbetreiber besser stellt, welche im betreffenden Mitgliedstaat unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fahren.
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Entscheidungsdatum: 08.07.2021
Aufbereitet am: 15.11.2021
2385
Zur Asylrelevanz der Angehörigeneigenschaft zu syrischen Wehrdienstverweigerern
Leitsätze
I. Bereits die Angehörigeneigenschaft zu Wehrdienstverweigern bringt syrische Antragsteller auf internationalen Schutz in eine Situation, in der sie aufgrund dieser Eigenschaft mit Repressalien des syrischen Regimes zu rechnen haben (in Sippenhaft als vermeintliche Oppositionelle). Dies können schwerste Repressalien in Gestalt des Verschwindenlassens der Betroffenen bis hin zu deren Folter/Tötung, aber auch Entzug/Vereitelung einer Existenzgrundlage sein. II. Die in I. genannte, zu befürchtende Verfolgung ist dem konventionsrelevanten Verfolgungsgrund "Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe" zuzuordnen. III. Das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative iSd § 11 AsylG kommt nur dann in Betracht, wenn sowohl eine asylrelevante Verfolgung als auch Gründe im betreffenden Gebiet kumulativ nicht vorliegen, die im Lichte des § 8 AsylG für die Zuerkennung subsidiären Schutzes relevant sind.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2021
Aufbereitet am: 11.11.2021
2384
Zur Frage der außergewöhnlichen Integration in gesellschaftlicher und sprachlicher Hinsicht
Leitsätze
I. Damit ein ehrenamtliches Engagement bei der Interessenabwägung für eine besonders qualifizierte Integration in gesellschaftlicher Hinsicht spricht, muss ein entsprechendes Ausmaß erreicht werden. Eine insgesamt viertägige ehrenamtliche Betätigung bei der Stadtgemeinde und in einem Seniorenhaus sowie die Wagenpflege und Lagerreinigung beim Roten Kreuz über einen längeren Zeitraum sind dafür jedenfalls nicht ausreichend. II. Aus dem Vorliegen alltagstauglicher Kenntnisse der deutschen Sprache nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet lässt sich keine außergewöhnliche Integration in sprachlicher Hinsicht ableiten.
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Entscheidungsdatum: 07.04.2021
Aufbereitet am: 10.11.2021
2383
Fluchtgefahr und konkretes Sicherungsbedürfnis bei Arbeits- und Mittellosigkeit, wiederholter Straffälligkeit und fehlendem Wohnsitz
Leitsätze
I. Von einer Fluchtgefahr kann etwa ausgegangen werden, wenn die betroffene Person über keine aufrechte Meldeadresse verfügt, nicht erwerbstätig und auch nicht selbsterhaltungsfähig ist. Liegt zudem aufgrund mehrmaliger Straffälligkeit keine Vertrauenswürdigkeit vor, kann angenommen werden, dass gelindere Mittel nur dazu genutzt werden, um unterzutauchen. II. Familiäre Auseinandersetzungen in der Vergangenheit stehen insb dann, wenn bereits eine rechtskräftige Verurteilung wegen gefährlicher Drohung gegen die eigene Mutter erfolgte, einem geordneten Zusammenleben innerhalb der Familie entgegen. Insofern ist ein (erneutes) Zusammenleben aufgrund einer konfliktbeladenen Familiensituation nicht zielführend. III. Arbeitet die betroffene Person, die zwischenzeitlich auch mehrmals auf Arbeitslosengeld angewiesen ist, wiederholt kurzzeitig, so ist von keiner Verfestigung am Arbeitsmarkt auszugehen.
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Entscheidungsdatum: 09.03.2021
Aufbereitet am: 09.11.2021
2382
Verurteilung wegen Verbrechens allein nicht ausreichend für Aberkennung des subsidiären Schutzstatus
Leitsätze
I. Im Aberkennungsverfahren nach § 9 Abs 2 Z 3 AsylG ist zusätzlich zum Kriterium der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens eine vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen. II. Im Rahmen dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe der Strafzumessung zu berücksichtigen.
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Entscheidungsdatum: 23.03.2021
Aufbereitet am: 08.11.2021
2381
Maßgeblichkeit besonderer Prüfkriterien für außerhalb Afghanistans geborene Rückkehrer
Leitsätze
I. Hinsichtlich eines Folgeantrages ist die Behörde bzw das Gericht verpflichtet, Sachverhaltsänderungen sowohl in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen. II. Maßgebliche Sachverhaltsänderungen müssen dabei nicht zwingend in der Geltendmachung eines neuen Fluchtgrundes gelegen sein, sondern können auch Umstände betreffen, die bei der Prüfung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu berücksichtigen sind. III. Im Rahmen der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative bedarf es einer Auseinandersetzung mit den allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und den persönlichen Umständen des Asylwerbers.
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Entscheidungsdatum: 22.03.2021
Aufbereitet am: 05.11.2021
2380
Strafbarkeit mutwilligen Verhaltens als Ausnahmefall
Leitsätze
I. Mutwillig handelt, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit bzw der Nutz- und Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet. Zusätzlich verlangt das Gesetz, dass der Mutwille offenbar ist, was dann anzunehmen ist, wenn die erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit für jedermann erkennbar ist. II. Strafbarer Mutwille hat das Bewusstsein von der Grundlosigkeit des Antrages zur Voraussetzung. Dies ist anzunehmen, wenn sich der Antragsteller wissentlich auf einen unrichtigen Tatbestand stützt oder ihm bewusst ist, dass der vorliegende Tatbestand keinen Grund für einen Antrag gibt. III. Mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen ist jedoch äußerst sorgsam umzugehen und kommt ein derartiger Vorwurf nur dann zum Tragen, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt. Die Verhängung einer Mutwillensstrafe kommt daher nur im Ausnahmefall in Betracht.
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Entscheidungsdatum: 23.02.2021
Aufbereitet am: 04.11.2021
2379
Dreijährige Wartefrist für Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten verletzt das Recht auf Achtung des Familienlebens
Leitsätze
I. Aus Art 8 EMRK kann keine allgemeine Verpflichtung eines Staates abgeleitet werden, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines verheirateten Paares zu respektieren oder Familienzusammenführung auf seinem Staatsgebiet zu gestatten. Allerdings hängt in einem Fall, der sowohl Familienleben als auch Einwanderung betrifft, die Reichweite der Verpflichtungen eines Staates, Angehörige von dort lebenden Personen auf seinem Gebiet aufzunehmen, von den besonderen Umständen der betroffenen Personen und dem allgemeinen Interesse ab. Sie unterliegt einer Abwägung der betroffenen widerstreitenden Interessen. Dabei zu berücksichtigende Faktoren sind das Ausmaß, in dem Familienleben tatsächlich unterbrochen würde, das Ausmaß der Bindungen im Konventionsstaat, das Bestehen unüberwindbarer Hindernisse für ein Leben der Familie im Herkunftsland des betroffenen Fremden und Faktoren der Einwanderungskontrolle. II. Die Situation allgemeiner Gewalt in einem Staat kann so intensiv sein, dass bei jedem Rückkehrer schon alleine wegen seiner bloßen Anwesenheit von einer realen Gefahr einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung auszugehen ist. Ein erhöhter Zustrom an Migranten kann einen Staat nicht von seinen Verpflichtungen nach dieser Bestimmung befreien. Grundsätzlich kann dieser Faktor auch den Spielraum einschränken, den Staaten dabei genießen, unter Art 8 EMRK einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Familienzusammenführung und der Einwanderungskontrolle zu treffen, auch wenn Aufnahmestaaten während Phasen des Massenzustroms von Asylwerbern und erheblich beschränkten Ressourcen davon ausgehen dürfen sollten, dass es in ihren Ermessensspielraum fällt, der Gewährung von Schutz nach Art 3 EMRK an eine größere Zahl von Personen Vorrang zu geben gegenüber dem Interesse weniger Personen an einer Familienzusammenführung. III. Während der EGMR keinen Grund sieht, die Logik einer Wartefrist von zwei Jahren, wie sie Art 8 der FamilienzusammenführungsRL zugrunde liegt, in Frage zu stellen, ist er der Ansicht, dass über eine solche Dauer hinaus die unüberwindbaren Hindernisse für ein Familienleben im Herkunftsstaat fortschreitend mehr Bedeutung bei der durch Art 8 EMRK gebotenen Einschätzung des gerechten Ausgleichs gewinnen. Eine gesetzliche Wartefrist von drei Jahren für die Familienzusammenführung zu vorübergehend Schutzberechtigten, denen eine Rückkehr in ihr Heimatland aufgrund der dort herrschenden Situation nicht möglich ist, begründet einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens. IV. Der EGMR sieht keinen Grund dafür, die vom Gesetzgeber im Hinblick auf die Familienzusammenführung getroffene Unterscheidung zwischen Personen, denen aufgrund einer individuellen Bedrohung Schutz gewährt wurde, und solchen, denen wegen einer generellen Bedrohung der sogenannte "Status des vorübergehenden Schutzes" eingeräumt wurde, in Frage zu stellen.
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Entscheidungsdatum: 09.07.2021
Aufbereitet am: 03.11.2021
2378
Unzulässigkeit der Beschwerde bei nicht gesetzmäßig zustande gekommener Zustellung des bekämpften Bescheides
Leitsätze
I. Die Erteilung einer allgemeinen Vertretungsvollmacht beinhaltet grundsätzlich auch eine Zustellvollmacht. Im Falle des Bestehens eines wirksamen Vertretungsverhältnisses sind sohin alle Schriftstücke bei sonstiger Unwirksamkeit dem Bevollmächtigten zuzustellen. II. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel (wird etwa statt an den Zustellbevollmächtigten an den Vertretenen zugestellt), so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, im dem das Dokument dem Empfänger (Zustellbevollmächtigten) tatsächlich zukommt. Die bloße Kenntnisnahme ist nicht ausreichend.
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Entscheidungsdatum: 22.02.2021
Aufbereitet am: 02.11.2021
2377
Kein Wiedereinsetzungsgrund bei unrichtiger Rechtsauskunft der Behörde
Leitsätze
I. Das Verschulden des Vertreters ist jenem des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen, gleichgültig ob dieser von einem Rechtsanwalt oder einer sonstigen Vertrauensperson vertreten wird. II. Ist ein Rechtsirrtum darauf zurückzuführen, dass der Partei von Seiten der Behörde eine unrichtige Auskunft erteilt wurde, liegt bei einer darauf beruhenden Säumnis kein minderer Grad des Versehens vor, weil behördliche Auskünfte mangels einer gesetzlich angeordneten bindenden Wirkung die Missachtung zwingender gesetzlicher Regelungen nicht zu rechtfertigen vermögen. III. Bei einem Rechtsirrtum, der durch eine unrichtige Rechtsauskunft eines behördlichen Organs veranlasst wurde, ist die Verschuldensfrage im Einzelfall zu prüfen. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nur dann zu verneinen, wenn den Wiedereinsetzungswerber zumindest Fahrlässigkeit trifft. IV. Bei beruflichen, rechtskundigen Parteienvertretern gilt ein besonders strenger Maßstab hinsichtlich der erhöhten Sorgfaltspflichten.
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Entscheidungsdatum: 22.02.2021
Aufbereitet am: 28.10.2021
2376
Zur Unionsrechtskonformität des geforderten Nachweises von Deutschkenntnissen im oö Wohnbeihilfenrecht
Leitsätze
I. Im Falle von "Kernleistungen" der Sozialhilfe oder des Sozialschutzes gilt das an die Mitgliedstaaten gerichtete Gebot der Gleichbehandlung von langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen im Verhältnis zu eigenen Staatsangehörigen immer und besteht kein Opt-out der Mitgliedstaaten (Art 11 Abs 4 RL 2003/109/EG). II. "Kernleistungen" iSd Art 11 Abs 4 RL 2003/109/EG sind Leistungen der Sozialhilfe oder des Sozialschutzes, welche dazu beitragen, es dem Betroffenen zu erlauben, seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und Gesundheit zu befriedigen. Ob dies auch für die jeweils in Rede befindliche Leistung zutrifft, hat das vorlegende Gericht zu beurteilen. Ein etwaiger Anspruch Drittstaatsangehöriger auf andere Sozialleistungen vermag einer Leistung die Eigenschaft als "Kernleistung" nicht zu nehmen. III. Für den Fall, dass eine Leistung keine "Kernleistung" ist, verbleibt die Frage ihrer Gewährung bei Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Opt-out (Art 11 Abs 4 RL 2003/109/EG) im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. IV. Die RL 2000/43/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie Rasse) findet nur auf unmittelbare oder mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft Anwendung, nicht aber aus Gründen der Staatsangehörigkeit. V. Die GRC (EU-Grundrechtecharta) ist nur dann auf die Frage der Gewährung von Sozialleistungen anwendbar, wenn dabei "Durchführung" von Unionsrecht iSd Art 51 GRC vorliegt. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die jeweilige Leistung keine "Kernleistung" iSd Art 11 Abs 4 RL 2003/109/EG darstellt und der Mitgliedstaat sich für das Opt-out aus dem Gleichbehandlungsgebot nach dieser Vorschrift entschieden hat. VI. Sollte die jeweilige Leistung hingegen eine "Kernleistung" iSd Art 11 Abs 4 RL 2003/109/EG darstellen, kommt die GRC (EU-Grundrechtecharta) als Prüfmaßstab zur Anwendung. VII. Ein verpflichtender Nachweis von Sprachkenntnissen auf einem bestimmten Niveau für die Gewährung einer Sozialleistung an Drittstaatsangehörige steht in keinem Konflikt mit Art 21 GRC, wenn die jeweilige Regelung (wie § 6 Abs 9 Z 3 und Abs 11 oö WohnbauförderungsG, LGBl 6/1993 idF LGBl 97/2017) Drittstaatsangehörige ohne Unterschied untereinander behandelt.
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Entscheidungsdatum: 10.06.2021
Aufbereitet am: 27.10.2021
2375
Rechtswidrigkeit der Abschiebung einer Unionsbürgerin vor Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
Leitsätze
I. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen. II. Die Abschiebung vor Entscheidung über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ist gemäß Unionsbürger-RL unzulässig.
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Entscheidungsdatum: 22.01.2021
Aufbereitet am: 26.10.2021
2374
Bindung an den objektiven Erklärungswert einer eingebrachten Beschwerde
Leitsätze
I. Prozesserklärungen einer Partei sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Die Behörde ist an das Parteibegehren gebunden, auch wenn sich das ergriffene Rechtsmittel vermutlich gegen einen anderen Bescheid richtet. II. Aus der Rechtsmittelerklärung muss klar und eindeutig hervorgehen, welche Entscheidung der Behörde mit dem Rechtsmittel bekämpft wird; ua ist die den Bescheid erlassende Behörde, die Rechtssache sowie die Geschäftszahl anzuführen. III. Liegt kein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor, ist auch die das Familienverfahren ergänzende Regelung des § 16 Abs 3 BFA-VG nicht anwendbar, wonach eine von einem Familienmitglied erhobene Beschwerde auch als Beschwerde gegen die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt.
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Entscheidungsdatum: 22.01.2021
Aufbereitet am: 25.10.2021
2373
Unglaubhaft erscheinendes Fluchtvorbringen und mangelnde asylrelevante Verfolgung
Leitsätze
I. Ein junger und gesunder Mensch mit Berufserfahrung und ohne Sorgepflichten ist grundsätzlich in der Lage, sich in seinem Herkunftsstaat (hier: Irak) eine Lebensgrundlage zu schaffen. Dass die betroffene Person allenfalls in Österreich gegenüber der Situation im Herkunftsstaat eine wirtschaftliche Besserstellung erfährt, genügt nicht für die Annahme, dass im Herkunftsstaat keine Lebensgrundlage vorzufinden sei und somit die Existenz nicht gesichert werden könne. II. Im Rahmen der Interessenabwägung wird das Gewicht der privaten Interessen gemindert, wenn diese in einem Zeitpunkt entstanden sind, in dem sich die betroffene Person ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war.
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Entscheidungsdatum: 03.03.2021
Aufbereitet am: 21.10.2021