Leitsätze
2913
Konversion zum Christentum
Leitsätze
I. Der VwGH hat im Zusammenhang mit der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels bereits wiederholt erkannt, dass es den Anforderungen an eine schlüssige Beweiswürdigung nicht entspricht, wenn Erfahrungssätze angewendet werden, ohne deren unterstellte generelle Geltung näher zu begründen. II. Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels muss eine (schlüssige) Beweiswürdigung auch den sehr persönlichen und daher unterschiedlichen Zugang verschiedener Menschen zu ihrem religiösen Glauben in Betracht ziehen. III. An das Wissen eines Asylwebers über den von ihm angenommenen Glauben bzw einzelne theologische Fragestellungen dürfen keine überzogenen Erwartungen geknüpft werden.
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Entscheidungsdatum: 05.09.2023
Aufbereitet am: 31.01.2024
2912
Homosexuelle Orientierung als Teil der Identität
Leitsätze
Von einem Asylwerber kann nicht erwartet werden, seine Homosexualität im Herkunftsstaat geheim zu halten, um eine Verfolgung zu vermeiden.
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Entscheidungsdatum: 12.09.2023
Aufbereitet am: 30.01.2024
2911
Einreiseverweigerungen an EU-Binnengrenzen auch bei Fehlen eines Asylgesuchs de facto unmöglich
Leitsätze
I. Auf irregulär eingereiste Drittstaatsangehörige an Binnengrenzen – selbst wenn diese nach Maßgabe der Art 25 ff VO (EU) 2016/399 ausnahmsweise wieder kontrolliert werden – ist neben der genannten VO (Schengener Grenzkodex) auch die RL 2008/115/EG (RückführungsRL) anwendbar, sofern der Aufenthalt nach der Einreise nicht legalisiert wird (insb durch ein Asylgesuch). II. Die Parallelität der beiden Sekundärrechtsakte hat zur Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten zwar eine Entscheidung auf Einreiseverweigerung (Art 14 VO [EU] 2016/399) treffen dürfen, aber zusätzlich die Garantien der RL 2008/115/EG (RückführungsRL) einhalten müssen, sofern der Drittstaatsangehörige schon auf ihrem Gebiet (etwa im Umfeld einer Grenzübergangsstelle) ist. III. Konkret müssen die Mitgliedstaaten diesen Drittstaatsangehörigen gegenüber grs eine Rückkehrentscheidung erlassen, ihnen diesfalls eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewähren und dürfen sie nur als ultima ratio abschieben (Art 6 ff RL 2008/115/EG). Ein dem Aufgriff unmittelbar folgendes Verbringen in den Mitgliedstaat, aus dem der Drittstaatsangehörige gekommen ist, steht damit nicht in Einklang.
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Entscheidungsdatum: 21.09.2023
Aufbereitet am: 29.01.2024
2910
Kein gebotener Selbsteintritt ohne Widerlegung der Sicherheitsvermutung des § 5 Abs 3 AsylG
Leitsätze
I. Für einen Selbsteintritt gemäß Art 3 Abs 2 Dublin II-VO genügen weder allgemeine Berichte, eine geringe Anerkennungsquote, eine drohende Verhaftung noch eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art 13 EMRK. Vielmehr muss eine Verletzung der Rechte des Art 3 EMRK bzw Art 4 GRC in dem für das Verfahren zuständigen Staat wahrscheinlich sein. II. Die Zuständigkeit für das Führen eines Asylverfahrens ergibt sich allein aus den Bestimmungen der Dublin-Verordnungen. Individuelle Wünsche des betroffenen Asylwerbers sind dabei nicht zu berücksichtigen. III. Führte ein Asylwerber den Großteil seiner Beziehung mit einer im Inland aufhältigen Partnerin in Form einer Fernbeziehung und ist die in Österreich lebende Partnerin nicht auf den Asylwerber angewiesen, so wird im Falle einer Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz (hier: aufgrund der Unzuständigkeit Österreichs) eine behauptete Verletzung des Art 8 EMRK erheblich relativiert.
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Entscheidungsdatum: 06.09.2023
Aufbereitet am: 26.01.2024
2909
Zur Verpflichtung der Fällung einer Rückkehrentscheidung trotz Unzulässigkeit der Abschiebung
Leitsätze
I. Kann einem Fremden aufgrund dessen eklatanten Fehlverhaltens weder Asyl, subsidiärer Schutz noch ein anderer Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden, kommt jedoch eine Abschiebung aufgrund einer drohenden Verletzung seiner Rechte gemäß Art 2 und 3 EMRK nicht in Betracht, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, jedoch die Unzulässigkeit der Abschiebung auszusprechen. Sollte sich die Lage im Herkunftsstaat verändern, ist zu einem späteren Zeitpunkt ggf ein neuer Bescheid zu erlassen, mit welchem die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt wird. II. Art 6 Abs 1 RL 2008/115/EG legt im Falle eines illegalen Aufenthalts eines Fremden eine allgemeine Verpflichtung zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung fest, unabhängig davon, ob der Vollzug dieser Entscheidung zulässig ist oder nicht. III. Das non-refoulement-Gebot steht der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen. Dieses betrifft lediglich deren Vollzug und damit die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung.
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Entscheidungsdatum: 09.05.2023
Aufbereitet am: 25.01.2024
2908
Unterlassung einer Aussetzung der Visafreiheit für Bürger der USA durch die Europäische Kommission
Leitsätze
I. Art 7 Abs 1 lit a VO (EU) 2018/1806 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, der Kommission Drittstaaten zu nennen, die für die Einreise von Unionsbürgern eine Visumpflicht vorsehen, während die Staatsangehörigen dieser Drittstaaten die EU-Außengrenzen gemäß Anhang II sichtvermerkfrei überschreiten dürfen. Die Mitteilung ist im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen. Behält der Drittstaat die Visumpflicht auch nach Ablauf von 24 Monaten ab der Veröffentlichung bei, so hat die Europäische Kommission gemäß Art 7 Abs 1 lit f VO (EU) 2018/1806 per delegiertem Rechtsakt iSd Art 290 AEUV die Visafreiheit in der EU für dessen Staatsangehörige für zwölf Monate auszusetzen. II. Art 7 Abs 1 lit f VO (EU) 2018/1806 ist nicht als absolute Verpflichtung der Kommission zu deuten, die Visafreiheit für Drittstaatsangehörige auszusetzen, deren Staaten das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht leben. Vielmehr verfügt die Kommission über ein Handlungsermessen. Dabei hat die Kommission zunächst das Ergebnis der von dem betroffenen Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, sodann die von ihr selbst insbesondere in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Handel unternommenen Schritte zur Wiedereinführung oder Einführung des visafreien Reiseverkehrs und schließlich die Auswirkungen einer Aussetzung der Befreiung von der Visumpflicht auf die Außenbeziehungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu dem betreffenden Drittland zu würdigen.
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Entscheidungsdatum: 05.09.2023
Aufbereitet am: 24.01.2024
2907
Einreiseverbot wegen eingestandener Beschäftigung entgegen dem AuslBG (ohne behördlichem Betreten)
Leitsätze
I. Gemäß § 53 Abs 2 Z 7 FPG ist eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, derentwegen ein bis zu fünfjährig befristetes Einreiseverbot erlassen werden kann, ua dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen. § 53 Abs 2 Z 7 FPG verlangt ein Betreten bei der Erfüllung eines (wirtschaftlich betrachtet) Arbeits- oder arbeitnehmerähnlichen Verhältnisses ohne Aufenthaltstitel bzw Beschäftigungsbewilligung durch Organe der zuständigen Behörden (Abgabenbehörde oder AMS) oder Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Bereits die einmalige Begehung reicht, um die Gefahr für die öffentliche Ordnung zu indizieren. II. Gibt der Drittstaatsangehörige die Beschäftigung entgegen dem AuslBG zu, ohne betreten worden zu sein, ist § 53 Abs 2 Z 7 FPG nicht erfüllt. Wurde er nicht verwaltungsbehördlich deswegen rechtskräftig bestraft, so ist auch Z 1 leg cit nicht erfüllt. Nichtsdestotrotz liegt ein mit § 53 Abs 2 Z 7 FPG vergleichbarer Unrechtsgehalt vor und kann das Einreiseverbot direkt auf § 53 Abs 2 iVm Abs 1 FPG gestützt werden, sind doch die Einzeltatbestände des Abs 2 leg cit nur demonstrativ. III. Bei einem geständigen "Ersttäter" im Sinne dieser Konstellation (II.) ist ein Einreiseverbot zwar dem Grunde nach gerechtfertigt, eine Befristung im oberen Bereich des gesetzlich Möglichen aber unverhältnismäßig.
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Entscheidungsdatum: 01.09.2023
Aufbereitet am: 23.01.2024
2906
Aktuell keine zwangsweisen Rekrutierungen in von kurdischen Milizen kontrollierten Gebieten Syriens
Leitsätze
I. Es ist von keiner Gefahr einer drohenden zwangsweisen Rekrutierung auszugehen, wenn ein Einberufungsbefehl vorliegt, der beinahe ein Jahr lang ignoriert wurde und dies auch keine Verfolgungshandlungen nach sich gezogen hatte. II. Kommt in einem Verfahren betreffend die Zuerkennung des Asylstatus eine allgemein desolate wirtschaftliche und soziale Situation im Heimatland der antragstellenden Person hervor, so kann diese nur asylrelevant sein, wenn dadurch jegliche Existenzgrundlage entzogen wird und dies zudem mit einem in der GFK genannten Grund im Zusammenhang steht.
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Entscheidungsdatum: 06.02.2023
Aufbereitet am: 22.01.2024
2905
Gegenstandslosigkeit von schriftlich eingebrachten Anträgen auf internationalen Schutz
Leitsätze
I. Anträge auf internationalen Schutz sind - soweit es sich nicht um einen Antrag von einem in Österreich nachgeborenen Kind eines Fremden handelt - persönlich und mündlich zu stellen. II. Die Unzulässigkeit eines schriftlichen Antrages ergibt sich dabei bereits aus dem Wortlaut des § 25 Abs 1 Z 2 AsylG ("wenn der Antrag ... schriftlich gestellt wurde").
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Entscheidungsdatum: 29.03.2023
Aufbereitet am: 19.01.2024
2904
Vorliegen einer Ehe iSd § 2 Abs 1 Z 22 AsylG
Leitsätze
Die in § 2 Abs 1 Z 22 lit b AsylG enthaltene Wendung "sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat" ist so zu verstehen, dass die Ehe bereits zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sein muss, als sich noch keiner der Ehepartner in Österreich aufgehalten hat. Das gilt sinngemäß auch für den Fall einer eingetragenen Partnerschaft.
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Entscheidungsdatum: 28.03.2023
Aufbereitet am: 18.01.2024
2903
Ex-lege-Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats wegen fehlender Bindung
Leitsätze
I. Die Konstellation des Verlusts der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats, mit dem – in Ermangelung des gleichzeitigen Besitzes der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats – der Verlust der Unionsbürgerschaft einhergeht, fällt unter das Unionsrecht (Art 20 AEUV). II. Es ist den Mitgliedstaaten grs aus unionsrechtlicher Sicht unbenommen, den Verlust der Staatsangehörigkeit bei nie bestehender Bindung zum Staat oder Verlust dieser Bindung vorzusehen. Es muss aber stets eine Einzelfallprüfung der Folgen dieses Verlusts für die Situation der Betroffenen aus unionsrechtlicher Sicht offenstehen. III. Sieht das nationale Recht einen Verlust der Staatsangehörigkeit ex lege mit Eintritt eines gewissen Lebensalters wegen nicht (mehr) bestehender Bindung vor, so muss die genannte Einzelfallprüfung zur Verfügung stehen. Insb sind die Auswirkungen des Verlusts der Staatsangehörigkeit (Unionsbürgerschaft) auf das Familien- und Berufsleben der betroffenen Person in Relation zum vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Ziel zu prüfen. IV. Ist das gebotene Verfahren über einen Antrag auf Beibehaltung der Staatsangehörigkeit an eine Frist gebunden, so muss diese angemessen sein, um die unionsrechtliche Rechtsstellung wahren zu können (Effektivitätsgrundsatz). Diese Frist kann auch nur zu laufen beginnen, wenn die nationalen Behörden die betroffene Person vom (drohenden) Verlust der Staatsangehörigkeit und der Möglichkeit dieses Beibehaltungsverfahrens informiert haben. Ist der Eintritt eines bestimmten Lebensjahres Beurteilungszeitpunkt für das Bestehen der Bindung, so kann die Frist erst nach diesem Stichtag zu laufen beginnen. V. Das Fehlen eines Beibehaltungsverfahrens, in welchem die gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen wird, kann keinesfalls durch die Möglichkeit einer – allenfalls erleichterten – Wiedereinbürgerung ausgeglichen werden.
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Entscheidungsdatum: 05.09.2023
Aufbereitet am: 17.01.2024
2902
Keine Deutschnachweispflicht für Familienangehörige von Asylberechtigten
Leitsätze
Da gemäß § 21a Abs 4 Z 4 NAG Familienangehörige von Asylberechtigten, die einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs 1 Z 2 lit c NAG beantragen, keinen Nachweis von Deutschkenntnissen zu erbringen haben, sind sie behördenseits weder über das Fehlen eines Sprachnachweises zu informieren noch über einen möglichen Zusatzantrag gemäß § 21a Abs 5 NAG zu belehren.
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Entscheidungsdatum: 17.08.2023
Aufbereitet am: 16.01.2024
2901
Kassatorisch oder doch meritorisch, das ist erneut die Frage
Leitsätze
I. Dem Verwaltungsgericht steht sowohl in den in Art 130 Abs 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs 2 VwGVG angeordneten, als auch in den von § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen, in denen nicht § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen. Weiters hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, weshalb es keine meritorische Entscheidungskompetenz annehme. II. Das Verwaltungsgericht hat, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung idR an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten.
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Entscheidungsdatum: 24.08.2023
Aufbereitet am: 15.01.2024
2900
Entscheidungsfrist versäumt: Ermittlungspflicht vs Mitwirkungspflicht
Leitsätze
I. Wenn eine Verständigung der LPD iSd § 37 Abs 4 NAG nach Ablauf der Entscheidungsfrist (hier: elf Monate danach) erfolgte, ist dieses Ermittlungsersuchen nicht geeignet, ein überwiegendes Verschulden der belangten Behörde auszuschließen, selbst wenn es unerledigt geblieben sein sollte. II. Die Verletzung der Obliegenheit einer Partei zur Mitwirkung bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts enthebt die Behörde nicht von ihrer Verpflichtung, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt überhaupt festzustellen. III. Selbst eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die antragstellende Person kann nicht dazu führen, dass die Behörde von ihrer Verpflichtung entbunden wird, über den Antrag innerhalb der Entscheidungsfrist einen Bescheid zu erlassen. IV. Die nicht erfolgte Vorlage einzelner Unterlagen darf nicht als schuldhaftes Verhalten der antragstellenden Person im Rahmen der Abwägung des überwiegenden Verschuldens iSd § 8 Abs 1 VwGVG, das die Behörde an der fristgerechten Entscheidung gehindert hat, gewertet werden. Vielmehr hat die Behörde (bzw das LVwG) eine allenfalls unterbliebene Mitwirkung der antragstellenden Person zu würdigen und die (im Fall einer fehlenden Mitwirkung allenfalls auch negative) Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsfrist zu treffen.
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Entscheidungsdatum: 24.08.2023
Aufbereitet am: 12.01.2024
2899
Zum Verhältnis des § 76 Abs 2 Z 2 und Abs 2 Z 1 iVm Abs 5 FPG
Leitsätze
I. Die Bestimmung des § 76 Abs 5 FPG ist nur dann anzuwenden, wenn die aufenthaltsbeendende Maßnahme erst nach Verhängung der Schubhaft durchsetzbar wird. Die zur Verfahrenssicherung angeordnete Schubhaft gilt ab dem Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit als zur Sicherung der Abschiebung verhängt. II. Hat die fremde Person kein Bleiberecht mehr (da ihr ex lege kein faktischer Abschiebeschutz zukommt und dieser auch nicht vom BFA zuerkannt wurde), so kann die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nur auf die Bestimmung des § 76 Abs 2 Z 2 FPG gestützt werden.
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Entscheidungsdatum: 07.02.2023
Aufbereitet am: 11.01.2024
2898
Fehlende Urkundenbeglaubigung: NAG-Antrag zurück- oder abweisen?
Leitsätze
I. Nach der VwGH-Rsp darf eine Behörde nur dann nach § 13 Abs 3 AVG vorgehen, wenn das Anbringen einen "Mangel" aufweist, also von den der Partei erkennbaren Anforderungen des Materiengesetzes an ein vollständiges, fehlerfreies Anbringen abweicht. Was unter einem Mangel schriftlicher Eingaben iSd § 13 AVG zu verstehen ist, muss der in Betracht kommenden Verwaltungsvorschrift entnommen werden. II. Das Fehlen von Beilagen, die nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften (Gesetz oder Verordnung) einem Antrag anzuschließen sind, kann einen Mangel iSd § 13 Abs 3 AVG darstellen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Art des Nachweises aus dem Gesetz oder der Verordnung hinreichend konkret ersichtlich ist. Existiert eine derartige gesetzliche Anordnung nicht, dann kann die unterlassene Beibringung von Unterlagen, derer die Behörde bedarf und die sie sich nicht selbst beschaffen kann, allenfalls im Rahmen der freien Beweiswürdigung bei der Sachentscheidung Berücksichtigung finden. III. Von Mängeln eines Anbringens iSd § 13 Abs 3 AVG sind sonstige Unzulänglichkeiten zu unterscheiden, welche nicht die Vollständigkeit des Anbringens betreffen, sondern sonst im Licht der anzuwendenden Vorschriften seine Erfolgsaussichten beeinträchtigen. Ob es sich bei einer im Gesetz umschriebenen Voraussetzung (bzw bei deren Nichterfüllung) aber um einen "Mangel" iSd § 13 Abs 3 AVG oder aber um das (zur Antragsabweisung führende) Fehlen einer Erfolgsvoraussetzung handelt, ist durch die Auslegung der jeweiligen Bestimmung des Materiengesetzes zu ermitteln. IV. Wurde zu Unrecht die Mangelhaftigkeit des Anbringens angenommen (und wäre in der Sache zu entscheiden gewesen), ist die deshalb ergangene zurückweisende Entscheidung unabhängig davon inhaltlich rechtswidrig, ob der Einschreiter nur eine teilweise oder nur eine verspätete "Verbesserung" vornimmt oder diese gar nicht versucht. V. Dass eine Geburtsurkunde nach der hier noch maßgeblichen alten Rechtslage (bis 30.9.2022) - anders als nach der aktuellen Regelung des § 7 Abs 1 Z 3 NAG-DV, nach der eine Geburtsurkunde ebenso wie ein Nachweis oder eine Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis nur "erforderlichenfalls" vorzulegen ist - bei allen Erstanträgen jedenfalls vorzulegen war, deutet nicht darauf hin, dass deren Vorlage (in unbeglaubigter Form) lediglich dem Nachweis einer besonderen Erteilungsvoraussetzung dienen sollte. Bei dem somit naheliegenden Verständnis, dass § 7 Abs 1 Z 2 NAG-DV aF eine Regelung betreffend die formale Vollständigkeit eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels enthielt, wäre ein Mängelbehebungsauftrag nach § 13 Abs 3 AVG bezogen auf die Vorlage einer Geburtsurkunde an sich dem Grunde nach möglich gewesen. VI. Unabhängig davon hat aber die Vorlage einer Urkunde in beglaubigter Form nach der insoweit eindeutigen Bestimmung des § 6 Abs 4 NAG-DV nur auf Verlangen der Behörde zu erfolgen. Ein auf § 6 Abs 4 NAG-DV gestütztes Verlangen nach einer (bereits unbeglaubigt vorgelegten) Urkunde in beglaubigter Form kann daher keinen rechtmäßigen Mängelbehebungsauftrag iSd § 13 Abs 3 AVG darstellen.
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Entscheidungsdatum: 24.08.2023
Aufbereitet am: 10.01.2024
2897
Asylrelevanz willkürlicher Strafverfolgung, kein Familienverfahren bei "Heirat" in Russland nach muslimischem Ritus
Leitsätze
I. Russische Behörden unterstellen schnell extremistisch (vor allem islamistisch oder rechtsextremistisch) motivierte Straftaten. Zwar ist nicht jede russische Strafverfolgung asylrelevant, allerdings dann, wenn die Behörden des Herkunftsstaates willkürlich erscheinende Verfolgungshandlungen wegen einer (unterstellten) politischen Gesinnung setzen (§ 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK). Eine große Rolle spielt auch, dass in der Russischen Föderation für solcherart exponierte Beschuldigte kein faires Verfahren zur Verfügung steht, zumal dieser Staat infolge seines Ausscheidens aus der EMRK nicht mehr vor dem EGMR belangt werden kann. II. Bei Bundesstaaten kommt es für die Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG) bei der Verfolgung durch staatliche Organe auch darauf an, ob diese Verfolgung landesweit stattfindet oder womöglich nur im örtlichen Wirkungsbereich gliedstaatlicher Entitäten. III. Im Falle russischer Staatsangehöriger gilt für die Frage der Familienangehörigeneigenschaft (vgl § 2 Abs 1 Z 22 AsylG) als Ehegatte/Ehegattin der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe. Daher können nur nach islamischem Ritus getraute Partner nicht in den Genuss des Familienverfahrens (§ 34 AsylG) kommen. Gerade, wenn auch im Bundesgebiet aufhältige Kinder betroffen sind, wird aber in aller Regel auch für solche Partner das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet (Art 8 EMRK iVm § 9 BFA-VG) überwiegen.
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Entscheidungsdatum: 02.06.2023
Aufbereitet am: 09.01.2024
2896
Bei Zurückweisung gemäß § 5 Abs 1 AsylG keine amtswegige Prüfung nach § 57 Abs 1 AsylG
Leitsätze
§ 58 Abs 1 AsylG legt fest, unter welchen Voraussetzungen das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen hat. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs 1 AsylG aufgrund der festgestellten Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, ist eine amtswegige Prüfung mangels Erwähnung dieser Fallkonstellation in § 58 Abs 1 AsylG nicht vorgesehen.
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Entscheidungsdatum: 20.04.2023
Aufbereitet am: 08.01.2024
2895
Einbringen von Anträgen beim BVwG
Leitsätze
Nach § 1 Abs 1 letzter Satz BVwG-EVV ist E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinn dieser Verordnung und entfaltet daher ein in dieser Form eingebrachter Schriftsatz keine Rechtswirkungen.
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Entscheidungsdatum: 19.04.2023
Aufbereitet am: 05.01.2024
2894
Homosexuelle Orientierung trotz leiblicher Kinder aus heterosexueller Ehe
Leitsätze
Das Führen einer Beziehung mit gegengeschlechtlichen Personen oder das Vorhandensein leiblicher Kinder schließen eine behauptete Homosexualität nicht aus.
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Entscheidungsdatum: 28.06.2023
Aufbereitet am: 04.01.2024