Leitsätze
2283
Unmöglichkeit der Erlangung eines russischen Reisepasses für einen subsidiär Schutzberechtigten
Leitsätze
I. Die Anwendung des § 3 Abs 2 AsylG bleibt auf jene Fälle beschränkt, die eine risikolose Verfolgungsprovokation durch Schaffung subjektiver Nachfluchtgründe nach Abschluss des Asylverfahrens darstellen und damit regelmäßig unter Missbrauchsverdacht stehen. II. Der Antragsteller hat in diesem Fall zur Widerlegung der Regelvermutung gute Gründe geltend und glaubhaft zu machen, die den Missbrauchsverdacht ausräumen. Gelingt dies nicht, ist die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen und bleibt lediglich die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus.
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Entscheidungsdatum: 23.06.2020
Aufbereitet am: 14.05.2021
2282
Rechtswidrigkeit der Schubhaft wegen mangelnder Realisierbarkeit der Abschiebung bei aufrechtem Strafaufschub
Leitsätze
I. Die Durchsetzbarkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges sowie in jenen Fällen aufgeschoben, in denen über den Fremden eine Freiheitsstrafe unbedingt verhängt, aber – etwa aufgrund eines Strafaufschubes – noch nicht zur Gänze vollzogen worden ist. II. Für die Dauer des Strafaufschubes darf eine Abschiebung des Fremden nicht erfolgen.
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Entscheidungsdatum: 22.09.2020
Aufbereitet am: 12.05.2021
2281
Dringend gebotene Verfügung der Rückkehrentscheidung bei unzureichender Integration
Leitsätze
I. Das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle wiegt jedenfalls mehr als das Privatleben eines Asylwerbers, und zwar auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon seit 10 Jahren im Aufnahmestaat lebt. II. Die lange Aufenthaltsdauer wird jedoch vor allem dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war und sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste. III. Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. IV. Unter Berücksichtigung der überwiegenden Sozialisation im Herkunftssaat, des Beherrschens zweier Landessprachen, des regelmäßigen Kontakts zu seiner Familie und das Vorliegen sozialer Anknüpfungspunkte in Indien ist davon auszugehen, dass sich der gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr trotz des langjährigen Aufenthalts in Österreich wieder in die Gesellschaft seines Herkunftsstaates eingliedern kann. V. Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet mangels einer verfestigten beruflichen und sozialen Integration trotz seines langjährigen Aufenthalts nur geringes Gewicht haben. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und auch nicht unverhältnismäßig. VI. Da weder eine maßgebliche Verschlechterung der allgemeinen Lage in Indien erkennbar ist noch die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers sich verändert haben, ist weiterhin davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr nicht in seinen nach Art 3 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt werden würde.
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Entscheidungsdatum: 30.01.2019
Aufbereitet am: 11.05.2021
2280
Kein humanitäres Bleiberecht bei zahlreichen Straftaten und Rückfälligkeitsprognose
Leitsätze
I. Da der Beschwerdeführer in seinem Asylverfahren falsche Angaben über seinen Herkunftsstaat und seine Identität gemacht hat, ist eine Verfolgung seiner Person bei seiner Rückkehr von staatlicher Seite nicht plausibel. II. Angesichts des kriminellen Verhaltens des bisher durchgehend beschäftigungslosen Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie seiner bereits sieben strafgerichtlichen Verurteilungen kann auch künftig nicht von seinem Wohlverhalten ausgegangen und auch keine günstige Prognose getroffen werden. III. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer mit seinem bisherigen Verhalten (illegale Einreise, Auftreten unter einer falschen Identität, beharrlicher illegaler Aufenthalt im Bundesgebiet trotz 10-jährigem Aufenthaltsverbot, Eheschließung nach der Erlassung einer Rückkehrentscheidung) eindringlich unter Beweis gestellt, dass er nicht gewillt ist, die österreichische Rechtsordnung zu akzeptieren. IV. Die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist erforderlich, wenn er infolge zahlreicher und schwerer Straftaten in Österreich mit Rückfälligkeit aktuell eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung war daher nicht zu beanstanden.
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Entscheidungsdatum: 29.01.2019
Aufbereitet am: 10.05.2021
2279
Kein Vorliegen humanitärer Gründe in Hinblick auf den Herkunftsstaat Armenien
Leitsätze
I. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien befinden sich bewiesenermaßen in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit. Es kann daher angenommen werden, dass es ihnen unter Nutzung dieser Fähigkeiten gelingt, sich ebenso wie in die österreichische auch in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaats vollständig zu integrieren. II. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass den beschwerdeführenden Parteien die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätten. III. Das beharrliche illegale Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und ein länger dauernder illegaler Aufenthalt stellen eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen dar. IV. Aufgrund der Sozialisation im Herkunftsstaat ist davon auszugehen, dass im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Armenien eine Integration in Österreich bei weitem überwiegen. Insb aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen. V. Werte wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft etc sind nicht als Zeichen besonderer Integration anzusehen und werden gerade für Personen, die sich in Österreich auf Dauer niederlassen wollen, vom erkennenden Gericht als selbstverständlich vorausgesetzt.
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Entscheidungsdatum: 29.11.2017
Aufbereitet am: 07.05.2021
2278
Bindung der Verwaltungsgerichte und -behörden an die Rechtsansicht des VfGH bei Erlassung der Ersatzentscheidung
Leitsätze
I. Die Verwaltungsgerichte bzw Verwaltungsbehörden sind bei Erlassung der Ersatzentscheidung an die vom VfGH im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht gebunden. II. Wird bei Erlassung der Ersatzentscheidung gegen dieses Gebot verstoßen, ohne dass sich die maßgebende Sach- und Rechtslage geändert hätte, wird der Beschwerdeführer in demselben Recht verletzt wie durch die im ersten Rechtsgang erlassene und behobene Entscheidung.
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Entscheidungsdatum: 22.09.2020
Aufbereitet am: 06.05.2021
2277
Kein Aufenthaltstitel für zumutbare Kontaktmöglichkeiten zwischen Serbien und Österreich
Leitsätze
I. Die in Serbien lebende Beschwerdeführerin vermochte einen intensiven Kontakt mit ihren in Österreich lebenden Familienangehörigen zu pflegen, indem sie seit Jahren legal nach Österreich eingereist ist und nach dem gesetzlich zulässigen Zeitraum das Bundesgebiet wieder verlassen hat. Da diese Vorgangsweise auch in Zukunft offen stünde, ist somit nicht erkennbar, dass mit einer Rückkehrentscheidung für sie ein unzulässiger Eingriff in ihr Recht auf Familienleben gemäß Art 8 EMRK verbunden wäre. II. Obwohl die Beschwerdeführerin seit 2011 behördlich im Bundesgebiet gemeldet ist, hat sie aufgrund der mit der Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen verbundenen Rückreisen in ihren Herkunftsstaat keinen durchgehenden Aufenthalt in Österreich aufzuweisen.
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Entscheidungsdatum: 30.09.2016
Aufbereitet am: 05.05.2021
2276
Kein humanitäres Bleiberecht bei Fehlen jeglicher Asylgründe im Kosovo
Leitsätze
I. Selbst bei glaubhaftem Vorliegen der Bedrohung durch den eigenen Bruder wegen der Missbilligung der Ehe und des daraus entstandenen Kindes wäre anhand der Länderberichte von der Schutzgewährungswilligkeit und Schutzgewährungsfähigkeit der Behörden im Kosovo auszugehen. II. Es liegt keine Verfolgung iSd GFK vor, wenn im Hinblick auf die ausschließlich persönlichen und wirtschaftlichen Beweggründe für das Verlassen des Herkunftsstaates der Schluss gezogen werden kann, dass die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nur aus dem Grund erfolgte, sich nach erfolgter Einreise unter Umgehung der den Aufenthalt regelnden Vorschriften den weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. III. Dem Beschwerdeführer ist jedenfalls zumutbar, eine solche Gelegenheitsarbeit (im Kosovo) erneut aufzunehmen, und er kann Sozialbeihilfe in Anspruch nehmen. Darüber hinaus ist auch seine Frau gesund und arbeitsfähig und es kann ihr in gewissem Ausmaß - neben der Betreuung der gemeinsamen Tochter - zugemutet werden, ebenfalls durch allfällige Gelegenheitsarbeiten zur Erwirtschaftung des Familieneinkommens beizutragen. IV. Die Tochter des Beschwerdeführers ist trotz Frühgeburt völlig gesund und bedarf keiner Behandlung. Eine diesbezügliche Verletzung von Art 3 EMRK liegt daher nicht vor, zumal die Tochter im Falle der Entwicklung eines behandlungsbedürftigen Zustandes kostenlosen Zugang im stetig weiter ausgebauten Gesundheitssystem des Kosovo hat. V. Da der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen zum Bundesgebiet hat, bildet die Ausweisung (Rückkehrentscheidung) keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens iSd Art 8 EMRK.
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Entscheidungsdatum: 25.05.2016
Aufbereitet am: 04.05.2021
2275
Rechtsschutz gegen Visumverweigerungen gemäß Art 32 Abs 1 lit a sublitera vi VO (EG) 810/2009
Leitsätze
I. Wird ein beantragtes Visum gemäß Art 32 Abs 1 lit a sublitera vi VO (EG) 810/2009 wegen Einwänden anderer Mitgliedstaaten (vor allem Sicherheitsbedenken) verweigert, so sind – vor allem im Lichte des Art 47 GRC – in der betreffenden Entscheidung der Mitgliedstaat, der den Einwand erhoben hat, sowie dessen Gründe anzugeben. II. Grundsätzlich beschränkt sich die Kognition der Rechtsmittelgerichte des die Visumverweigerung aussprechenden Mitgliedstaats iSv Art 32 Abs 3 VO (EG) 810/2009 darauf, zu überprüfen, dass das Konsultationsverfahren iSd Art 22 leg cit in formaler Hinsicht eingehalten wurde. III. Was die Überprüfbarkeit der inhaltlichen Gründe für den Einwand eines anderen Mitgliedstaats iSd Art 32 Abs 1 lit a sublitera vi VO (EG) 810/2009 anbelangt, ist der Antragsteller hingegen an dessen Behörden zu verweisen. Die Behörden des Mitgliedstaats der Visumverweigerung haben den Antragsteller jedoch zu belehren, an welche Behörden des einwendenden Mitgliedstaats er sich wenden muss. IV. Dem Mitgliedstaat der Visumverweigerung ist durch den Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz des Unionsrechts eine verfahrensrechtliche Vorkehrung aufgetragen, damit das Rechtsmittel der Antragsteller nicht endgültig zurückgewiesen wird, ohne dass sie die konkrete Möglichkeit gehabt haben, ihre Rechte auszuüben (vor allem in Fällen, wo die Belehrung iSd Punkts III unterblieben ist). In Betracht kommen zB Auskunftsersuchen an die zuständigen Behörden der einwendenden Mitgliedstaaten oder die Möglichkeit dieser Mitgliedstaaten, sich an dem nach Art 32 Abs 3 VO (EG) 810/2009 eingeleiteten Rechtsmittelverfahren zu beteiligen.
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Entscheidungsdatum: 24.11.2020
Aufbereitet am: 03.05.2021
2274
Asyl bei fehlenden Anhaltspunkten für Scheinkonversion
Leitsätze
I. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum nur zum Schein erfolgt wäre, sind im Beschwerdeverfahren nicht hervorgekommen. Im gegenständlichen Fall liegt daher das dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers vor. II. Auf Grund des islamischen Rechts und der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insb gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden Verfolgungsrisikos in ganz Afghanistan, ist von keiner inländischen Fluchtalternative auszugehen.
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Entscheidungsdatum: 30.07.2018
Aufbereitet am: 30.04.2021
2273
Aufenthaltsverbot und Kindeswohl (Interessenabwägung)
Leitsätze
I. Wird ein Aufenthaltsverbot wegen mehrfacher strafgerichtlicher Verurteilungen erlassen und setzt die betroffene Person die Delinquenz in einem anderen Staat fort, so kann ein Wegfall der von der betroffenen Person ausgehenden Gefährlichkeit nicht festgestellt werden. Ebenso wenig ist in diesem Zusammenhang ein positiver Gesinnungswandel anzunehmen. II. Um ein Aufenthaltsverbot aufzuheben, müssen sich seit der Erlassung desselben die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten der betroffenen Person geändert haben. Um einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von der Person ausgehenden Gefährlichkeit festzustellen, muss ein Wohlverhalten der Person über einen relevanten Zeitraum in Freiheit andauern. III. Bei Entscheidungen, die auch Kinder betreffen, ist das Kindeswohl ein vorrangig zu beachtender Gesichtspunkt. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext insb, ob eine etwaige Störung des Familienlebens (etwa aufgrund eines Aufenthaltsverbots) seit der Geburt des Kindes an besteht oder zu einem späteren Zeitpunkt eintritt. IV. Bei der Prüfung, ob die Gründe für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots weggefallen sind, hat eine Gesamtbetrachtung der seit der Verhängung eingetretenen Sachlage zu erfolgen. Gehen von der betroffenen Person nicht mehr die früheren maßgebenden Gefahren aus, so ist das Aufenthaltsverbot aufzuheben. Die Rechtmäßigkeit jenes Bescheids, mit dem diese Maßnahme erlassen wurde, kann jedoch nicht mehr überprüft werden.
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Entscheidungsdatum: 08.09.2020
Aufbereitet am: 29.04.2021
2272
Unzulässigkeit von Ausweisungen langfristig Aufenthaltsberechtigter alleine wegen des Vorliegens bestimmter strafgerichtlicher Verurteilungen
Leitsätze
I. Art 12 RL 2003/109/EG steht einer nationalen Regelung entgegen, die für eine Ausweisung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen alleine das Vorliegen bestimmter strafgerichtlicher Verurteilungen genügen lässt. Stattdessen ist vielmehr eine umfassende Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (auch der Aufenthaltsverfestigung des Drittstaatsangehörigen) vorzunehmen. An deren Ende muss eine Gefährdungsprognose hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen, die die Ausweisung rechtfertigt. II. Ein entgegenstehendes Auslegungsergebnis nationaler Gerichte kann methodisch nicht auf einen systematischen Zusammenhang mit der RL 2001/40/EG (über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen) gestützt werden. Denn dieser Rechtsakt hat Ausweisungen langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger gar nicht zum Gegenstand.
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Entscheidungsdatum: 11.06.2020
Aufbereitet am: 28.04.2021
2271
Herkunftsstaat Somalia und subsidiärer Schutz
Leitsätze
I. Eine subsidiäre Schutzgewährung gemäß § 8 Abs 1 AsylG muss nicht iZm bewaffneten Konflikten oder Akteuren stehen, sondern kommt auch mit Blick auf die allgemeine Lage im Herkunftsstaat in Betracht. II. Die Situation in Somalia ist nicht dergestalt, dass jeder dorthin Zurückkehrende per se einem "real risk" einer dem Art 3 EMRK widerstreitenden Behandlung ausgesetzt wäre (und damit subsidiär schutzwürdig ist). III. Wohl aber kann bei vulnerablen Gruppen und vor allem fehlender Unterstützung infolge fehlender familiärer Anknüpfungspunkte vor Ort ein solches "real risk" drohen (und damit die Zuerkennung subsidiären Schutzes geboten sein). Eine Clanzugehörigkeit schafft hier keine Abhilfe, eine substanzielle Unterstützung durch den Clan ist nicht zu erwarten, weil diese Strukturen überstrapaziert sind. Folglich kommt auch eine Einstufung des Clangebiets als innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG nicht in Betracht.
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Entscheidungsdatum: 02.12.2020
Aufbereitet am: 27.04.2021
2270
Zu berücksichtigende Faktoren bei der Versagung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten gemäß Art 6 Abs 1 RL 2003/86/EG
Leitsätze
I. Eine nationale Umsetzungsnorm zu Art 6 Abs 1 RL 2003/86/EG, der die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt (nicht aber verpflichtet!), Drittstaatsangehörigen eine beantragte Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten iSv Art 4 Abs 1 RL 2003/86/EG aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung zu versagen, muss den Erfordernissen der Rechtssicherheit genügen: Dafür muss sie unzweifelhaft verbindlich, konkret, bestimmt und klar sein. II. Der bloße Umstand einer Vorstrafe reicht für eine Versagung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nicht aus: Vielmehr verlangt Art 6 Abs 1 (Unterabsatz 2) RL 2003/86/EG eine konkrete Prüfung des Einzelfalls insb im Hinblick auf die Art des von diesem Drittstaatsangehörigen begangenen Verstoßes, die Gefahr, die er möglicherweise für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, die Dauer seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats und das Bestehen von dortigen Bindungen. III. Die zum Ausweisungstatbestand des Art 12 Abs 3 RL 2003/86/EG ergangene Judikatur des EuGH ist auf Art 6 Abs 1 RL 2003/86/EG übertragbar.
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Entscheidungsdatum: 03.09.2020
Aufbereitet am: 26.04.2021
2269
Zum Zusammenhang des Strafausmaßes mit der Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots
Leitsätze
I. Die gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten Interessen der beschwerdeführenden Person hat einzelfallbezogen zu erfolgen, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein die Erlassung eines Aufenthaltsverbots von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerinnen und -Bürgern nicht begründen können. Vielmehr ist auf die tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr abzustellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. II. Eine Reduktion der Dauer eines Aufenthaltsverbots von Unionsbürgerinnen und -bürgern kann erfolgen, wenn die strafgerichtliche Verurteilung aufgrund gewichtiger Milderungsgründe im unteren Bereich des Strafrahmens angesiedelt ist. Im Sinne einer Reduktion der Dauer eines Aufenthaltsverbots ist zu berücksichtigen, dass etwa mit einer teilbedingten Strafe das Auslangen gefunden werden kann und es zu keiner Rückfälligkeit der betroffenen Person kommt. III. Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen in zahlreichen Angriffen gewerbsmäßig begangener Vermögensdelinquenz als Mitglied einer kriminellen Vereinigung kann in Zusammenschau mit dem Fehlen einer Anmeldebescheinigung, dem Umstand, dass keine Meldung zur Sozialversicherung erfolgte und der Missachtung melderechtlicher Vorschriften einer positiven Zukunftsprognose entgegenstehen.
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Entscheidungsdatum: 07.09.2020
Aufbereitet am: 23.04.2021
2268
Zur Nichterteilung des Durchsetzungsaufschubs
Leitsätze
I. Die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs hat zu erfolgen, wenn die betroffene Person durch ihr persönliches Verhalten massiv die Grundinteressen der Gesellschaft verletzt. Eine derartige Gefährdung der gesellschaftlichen Interessen ist bspw anzunehmen, wenn die betroffene Person neben vorliegendem Substanzmissbrauch auch an einer Alkoholsucht und einer schweren psychiatrischen Erkrankung leidet, was bereits zum Begehen von Straftaten geführt hat. II. Hält sich eine abzuschiebende Person trotz eines bereits bestehenden Aufenthaltsverbots rechtswidrig im Bundesgebiet auf und meldet auch ihren Aufenthalt nicht, so ist in der Folge zu befürchten, dass es (zB nach Entlassung aus der Strafhaft) zu einem Untertauchen kommt und sich die Person neuerlich einer Ausreise bzw Abschiebung entziehen wird, was das Nichtgewähren eines Durchsetzungsaufschubs zu rechtfertigen vermag. III. Leidet eine abzuschiebende Person an einer Erkrankung, so ist hinsichtlich der Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs auch zu beurteilen, ob die Krankheit in dem Staat, in den die betroffene Person abgeschoben werden soll, behandelbar ist.
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Entscheidungsdatum: 10.09.2020
Aufbereitet am: 22.04.2021
2267
Unrechtmäßige Freiheitsentziehung im Transitzentrum Röszke unter erniedrigenden Bedingungen
Leitsätze
I. Die Anhaltung von Kindern in einem Transitzentrum für Asylwerber wirft besondere Fragen hinsichtlich der Lebensbedingungen auf, weil Kinder - egal ob begleitet oder nicht - als besonders vulnerabel anzusehen sind und wegen ihres Alters, ihrer Abhängigkeit, aber auch wegen ihres Status als Asylwerber besondere Bedürfnisse haben. Art 22 KRK fordert die Staaten auf, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um Kindern auf der Flucht Schutz und humanitäre Unterstützung zu gewähren. Die Tatsache, dass Kinder auf der Flucht von ihren Eltern begleitet werden, ändert nichts an der staatlichen Verpflichtung, sie vor einer mit Art 3 EMRK unvereinbaren Situation zu schützen. II. Ein Staat kann für eine Verletzung von Art 3 EMRK verantwortlich sein, wenn ein völlig auf staatliche Unterstützung angewiesener Beschwerdeführer mit Ignoranz oder Gleichgültigkeit seitens der Behörden konfrontiert ist, während er sich in einer Situation ernster Not befindet, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. III. Die Lebensbedingungen in der Transitzone Röszke waren 2017 generell akzeptabel für die kurzfristige Unterbringung erwachsener Asylwerber. Dies schließt jedoch Verletzungen von Art 3 EMRK durch die Anhaltung in dieser Zone im Einzelfall nicht aus. IV. Die viermonatige Anhaltung eines Asylwerbers in der Transitzone Röszke und die Verweigerung des Zugangs zu Nahrung während dieses Zeitraums, in dem er völlig von der Versorgung durch die ungarischen Behörden abhängig war, begründet eine Verletzung von Art 3 EMRK. V. Die viermonatige Anhaltung einer schwangeren Frau und ihrer drei Kinder im Alter von sechs Monaten, sechs Jahren bzw sieben Jahren in der Transitzone Röszke, wo ihnen keine psychologische Betreuung gewährt wurde, es nur sehr eingeschränkten Zugang zu kindgerechten Freizeitaktivitäten gab, sie ständig bewacht wurden und ihr Wohncontainer wiederholt durchsucht wurde, war mit Art 3 EMRK unvereinbar. VI. Zur Unterscheidung zwischen einer bloßen Freiheitsbeschränkung und einer Freiheitsentziehung iSv Art 5 EMRK im Hinblick auf die Anhaltung von Asylwerbern in einem Aufnahmezentrum zur Identifikation und Registrierung von Migranten an der Grenze sind folgende Faktoren heranzuziehen: die individuelle Situation und die Wahlmöglichkeiten der Betroffenen; das anwendbare nationale Recht; die Dauer des Aufenthalts, insb im Lichte seines Zwecks und der geltenden Verfahrensgarantien; und die Art und das Ausmaß der tatsächlich verhängten Einschränkungen. Die Situation eines Asylwerbers, der eine kurze Zeit lang angehalten wird, während der sein Recht auf Einreise geprüft wird, kann nicht als Freiheitsentziehung gewertet werden. Solange die Dauer nicht erheblich über das Maß dessen hinausgeht, was für die Prüfung des Asylantrags erforderlich ist, und keine besonderen Umstände vorliegen, wirkt sich die Dauer der Anhaltung nicht erheblich auf die Beurteilung des Vorliegens einer Freiheitsentziehung aus. Wenn jedoch wie im vorliegenden Fall die viermonatige Dauer der Anhaltung auf erhebliche Verzögerungen im Asylverfahren zurückzuführen ist, das nationale Recht keine Höchstdauer vorsieht und die Betroffenen unter sehr restriktiven Bedingungen angehalten werden, liegt eine Freiheitsentziehung iSv Art 5 EMRK vor. VII. Die Anhaltung der Beschwerdeführer im Transitzentrum war unvereinbar mit Art 5 EMRK, weil sie auf keine konkrete Rechtsgrundlage gestützt wurde und keine formellen Entscheidungen darüber ergangen sind.
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Entscheidungsdatum: 02.03.2021
Aufbereitet am: 21.04.2021
2266
Unionsrechtskonformität der Haft zur Rückführung Drittstaatsangehöriger aus einem Mitgliedstaat in den Mitgliedstaat der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
Leitsätze
I. Grundsätzlich ist gegenüber Drittstaatsangehörigen, die in einem Mitgliedstaat illegal aufhältig sind, jedoch in Besitz eines Aufenthaltstitels für einen anderen Mitgliedstaat sind und die Rückkehr dorthin verweigern, gemäß Art 6 Abs 2 RL 2008/115/EG zwingend eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. II. Eine Rückkehrentscheidung iSd Art 6 Abs 2 RL 2008/115/EG kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn rechtliche Gründe sie verunmöglichen (insb dann, wenn der Grundsatz der Nichtzurückweisung ihr entgegensteht). III. Fälle, in denen eine Rückkehrentscheidung iSd Art 6 Abs 2 RL 2008/115/EG unzulässig ist (II.), fallen nicht in den Anwendungsbereich dieser RL. Ihre Regelung bleibt folglich – unter Bindung an alle in Betracht kommenden grundrechtlichen Determinanten – den Mitgliedstaaten überlassen. IV. Daher können die Mitgliedstaaten insb eine Haft zum Zwecke der Sicherung der Überstellung derartiger Drittstaatsangehöriger in andere Mitgliedstaaten vorsehen, wo ihnen zuvor die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war.
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Entscheidungsdatum: 24.02.2021
Aufbereitet am: 20.04.2021
2265
Verhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses
Leitsätze
I. Ist zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Reisepasses der betroffenen Person ein amtswegig eingeleitetes Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme anhängig, so sind gemäß § 39 BFA-VG die Organe des Sicherheitsdienstes zur vorläufigen Sicherstellung des Reisepasses ermächtigt. Eine Sicherstellung wäre nur dann unzulässig, wenn diese im Einzelfall der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht standhalten würde. II. Liegen Umstände vor, die eine Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses begründen können, so sind diese von der betroffenen Person darzulegen. Folglich kann überprüft werden, ob sich die Sicherstellung im Einzelfall als unverhältnismäßig erweist. III. Steht im Hinblick auf ein anhängiges Verfahren noch nicht fest, ob sich Schritte zur Vorbereitung einer Abschiebung (wie etwa die Abnahme des Reisepasses) tatsächlich als zulässig erweisen, so sind sie den betroffenen Behörden nicht generell verwehrt. Eine Unzulässigkeit kann sich im Einzelfall aber im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben.
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Entscheidungsdatum: 09.09.2020
Aufbereitet am: 19.04.2021
2264
Aufenthaltstitel für im SIS zur Einreisverweigerung ausgeschriebene Drittstaatsangehörige
Leitsätze
I. Es spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit von vorgelegten Fragen im Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV). Dieses Zulässigkeitskriterium ist nur bei Fragen rein hypothetischer Natur oder bei "offensichtlich" fehlendem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren als nicht erfüllt zu betrachten. II. "Gewichtige Gründe" (Art 25 Abs 1 SDÜ), die einen Mitgliedstaat zur Erteilung eines Aufenthaltstitels an Drittstaatsangehörige trotz einer vorliegenden Ausschreibung zur Einreiseverweigerung durch einen anderen Staat berechtigen, sind insb in der Grundrechtssphäre des betroffenen Drittstaatsangehörigen oder mitbetroffener Angehöriger zu erblicken (vor allem iSd Art 7 und 24 GRC). III. Art 25 Abs 1 SDÜ ist nicht nur auf Erstanträge auf einen Aufenthaltstitel, sondern auch auf Verlängerungsanträge anwendbar. IV. Will der Mitgliedstaat, bei dem ein Aufenthaltstitel beantragt wird, diesen trotz einer vorliegenden Ausschreibung zur Einreiseverweigerung aus "gewichtigen Gründen" erteilen, so hat er den ausschreibenden Staat zu konsultieren und dessen Interessen zu berücksichtigen. V. Der ausschreibende Staat ist gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art 4 Abs 3 EUV) zu einer Stellungnahme im Rahmen der Konsultation innerhalb einer angemessenen Frist verpflichtet. Deren Länge bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. VI. Die VO (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex) ist auf Verlängerungsanträge von sich bereits im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaat befindlichen Drittstaatsangehörigen nicht anwendbar. VII. Eine mitgliedstaatliche Regelung, nach der Aufenthaltstitel an Drittstaatsangehörige erteilt werden können, die im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sind und deren Identität nicht festgestellt werden konnte, ist mit Art 25 Abs 1 SDÜ vereinbar, solange sich die Erteilung auf "gewichtige Gründe" (siehe oben II) beschränkt und die gebotene Konsultation mit dem ausschreibenden Staat (siehe oben IV und V) eingehalten wird.
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Entscheidungsdatum: 04.03.2021
Aufbereitet am: 16.04.2021