Leitsätze
2532
Mehrstufiger Verwaltungsakt der Vertretungsbehörden und Rechtsschutz
Leitsätze
I. In Verfahren vor den Vertretungsbehörden betreffend Visa D zum Zweck der Arbeitssuche (§§ 20 Abs 1 Z 4, 24a FPG) kommt den Mitteilungen des AMS, welches das Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 iVm Anlage A AuslBG zu prüfen hat, keine Bescheidqualität zu. Die Vertretungsbehörden sind an diese Mitteilungen gebunden und haben dementsprechend dem Antrag stattzugeben oder diesen gemäß § 24a Abs 4 FPG zurückzuweisen. II. Eine rechtsstaatliche Problematik ist in der fehlenden Bescheidqualität der Mitteilungen des AMS (§ 24a Abs 1 Z 2 FPG) nicht zu erblicken: Im Rahmen der Beschwerde gegen den Bescheid der Vertretungsbehörde kann der Antragsteller auf ein Visum D die Rechtswidrigkeit der Mitteilung des AMS vorbringen.
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Entscheidungsdatum: 02.12.2021
Aufbereitet am: 05.07.2022
2531
Schubhaft in einer Justizanstalt – Pflichten der EU-Mitgliedstaaten
Leitsätze
I. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Einrichtung, in der die Schubhaft vollzogen wird, eine "spezielle Hafteinrichtung" (iSd Art 16 Abs 1 Satz 1 RL 2008/115/EG) ist, ist eine Einzelfallbetrachtung anzustellen. Kriterien, die dafür sprechen, sind eine räumliche Trennung von sonstigen Gefangenen (insb Strafgefangenen) und ein speziell für die Betreuung der Schubhäftlinge geschultes Personal, welches für diese Häftlinge eigens verantwortlich ist. Eine organisatorische Verflechtung der Einrichtung mit dem Strafvollzug schadet nicht, solange die genannten Kriterien gewahrt sind. Insgesamt muss die Schubhaft sich möglichst von der Strafhaft unterscheiden und muss die Achtung der den Schubhäftlingen in der GRC sowie in den Art 16 Abs 2 bis 5 und Art 17 RL 2008/115/EG gewährten subjektiven Rechte sichergestellt sein. II. Ein mit der Schubhaftverhängung, -fortsetzung und -prüfung betrautes Gericht muss gemäß Art 47 GRC überprüfen können, ob die Voraussetzungen des Art 18 RL 2008/115/EG für die Unterbringung des betroffenen Drittstaatsangehörigen in einer Strafhaftanstalt erfüllt sind. III. Die Ermächtigung des Art 18 Abs 1 RL 2008/115/EG, Schubhäftlinge "notfalls" in gewöhnlichen Haftanstalten unterzubringen, ist eng auszulegen und ihre Nutzung stark rechtfertigungsbedürftig. Der Mitgliedstaat muss nachweisen, dass eine dauerhafte Überlastung seiner Schubhafteinrichtungskapazitäten wenigstens unmittelbar bevorsteht, nicht vorhersehbar war und während des gesamten Zeitraums der Nutzung der Ermächtigung fortbesteht. Zudem müssen während des Nutzungszeitraums Abhilfemaßnahmen getroffen werden. IV. In Ausführung der Ermächtigung des Art 18 Abs 1 RL 2008/115/EG dürfen den Schubhäftlingen keine anderen subjektiven Rechte entzogen werden als die in Art 16 Abs 1 und 17 Abs 2 leg cit verankerten. V. Die mitgliedstaatliche Gesetzgebung in Ausführung des Art 18 Abs 1 RL 2008/115/EG muss eine Einzelfallprüfung dahingehend vorsehen, dass bei jeder Schubhaftentscheidung zu prüfen ist, ob nicht doch ein Platz in einer "speziellen Hafteinrichtung" iSd Art 16 Abs 1 Satz 1 RL 2008/115/EG vorhanden ist. VI. Eine mitgliedstaatliche Gesetzgebung, die undifferenziert die Unterbringung in Strafhaftanstalten erlaubt (wie § 62a dt AufenthaltsG idF dBGBl 2019 I S 1294), ist mit Unionsrechtswidrigkeit belastet. Solche Vorschriften sind auf Grund des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs unangewendet zu lassen.
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Entscheidungsdatum: 10.03.2022
Aufbereitet am: 04.07.2022
2530
Behebung des Ausgangsbescheides trotz vorliegender Berufungsvorentscheidung
Leitsätze
I. Behebt das VwG den Ausgangsbescheid, obwohl eine Berufungsvorentscheidung vorliegt, wird ein nicht mehr dem Rechtsbestand angehörender Bescheid behoben, hingegen die den tatsächlichen Beschwerdegegenstand bildende Berufungsvorentscheidung im Rechtsbestand belassen. Daher ist eine Entscheidung noch offen. II. Der Erlassung eines neuen Bescheides durch die belangte Behörde steht rechtlich entgegen, dass über den zu Grunde liegenden Antrag durch die (im Rechtsbestand aufrechte) Berufungsvorentscheidung entschieden wurde, über einen bereits entschiedenen Antrag aber kein weiteres Mal eine Entscheidung zulässig ist.
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Entscheidungsdatum: 22.04.2021
Aufbereitet am: 01.07.2022
2529
Zum Nachweis der Unzumutbarkeit von Deutschkenntnissen
Leitsätze
I. Nach § 21a Abs 4 Z 2 NAG haben Drittstaatsangehörige durch ein amtsärztliches Gutachten oder ein Gutachten eines Vertrauensarztes einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde nachzuweisen, dass ihnen aufgrund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes der Nachweis erforderlicher Deutschkenntnisse nicht zugemutet werden kann. Demnach hat die Beurteilung des Vorliegens bzw Nichtvorliegens eines vom Drittstaatsangehörigen zu behauptenden und nachzuweisenden Unzumutbarkeitsgrundes auf Basis eines entsprechenden ärztlichen Gutachtens zu erfolgen. II. Der Gesetzgeber hat bereits durch die Anordnung einer Prüfung auf Basis eines Gutachtens ua eines Amtsarztes in § 21a Abs 4 Z 2 NAG implizit zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Arzt - allenfalls unter Heranziehung einer ergänzenden fachlichen Expertise (etwa Beischaffung von fachärztlichen Befunden bzw Stellungnahmen) - grundsätzlich zu einer Begutachtung, ob dem Fremden aufgrund seines physischen oder psychischen Gesundheitszustandes der Nachweis erforderlicher Deutschkenntnisse zugemutet werden kann, in der Lage ist.
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Entscheidungsdatum: 08.02.2022
Aufbereitet am: 30.06.2022
2528
Verbot der Verlängerung von Grenzkontrollen zu Slowenien bei gleichbleibender Bedrohung der öffentlichen Sicherheit
Leitsätze
I. Die in Art 25 VO (EU) 2016/399 enthaltene Ermächtigung, aus Anlass einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eines Mitgliedstaates wieder Binnengrenzkontrollen einzuführen, ist strikt mit sechs Monaten im Gesamten limitiert. Lediglich dann, wenn eine neue tatbildliche Bedrohung in Erscheinung tritt, kann der Mitgliedstaat die Fristen des Art 25 neuerlich in Gang setzen. Stets muss der Mitgliedstaat hierbei die Verfahrensvorschriften der Art 26 bis 28 VO (EU) 2016/399 beachten. II. Für den Fall außergewöhnlicher Umstände, während derer eine Abwesenheit von Kontrollen das Funktionieren des Schengenraums insgesamt gefährden würde, gilt für Binnengrenzkontrollen eine Höchstfrist von zwei Jahren (Art 29 VO [EU] 2016/399). III. Eine Rechtfertigung für Binnengrenzkontrollen, die die genannten Höchstfristen überdauern, kann auch nicht primärrechtlich in Art 72 AEUV gesehen werden. Denn diese Bestimmung, derzufolge die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit für den Schutz der inneren Sicherheit und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung behalten, ermächtigt nicht so ohne Weiteres zum Abgehen von Unionsrecht. IV. Die österreichischen Binnengrenzkontrollen zu Slowenien erweisen sich demnach spätestens seit Herbst 2017 (zwei Jahre nach ihrer Einführung) als rechtswidrig. V. Der Vorwurf der Unionsrechtswidrigkeit ist auch § 24 Abs 1 Z 1 PassG zu machen, der die Einreise ohne ein Reisedokument (§ 2 Abs 1 PassG) mit einer Verwaltungsstrafe bedroht, ohne aber nach der (Unions-) Rechtskonformität der jeweiligen Grenzkontrolle zu differenzieren.
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Entscheidungsdatum: 26.04.2022
Aufbereitet am: 29.06.2022
2527
Fristsetzungsantrag nach § 38 VwGG
Leitsätze
Da das LVwG seiner Entscheidungspflicht nach Anordnung durch den Gerichtshof letztlich nachgekommen ist, war das Verfahren gemäß § 38 Abs 4 VwGG einzustellen.
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Entscheidungsdatum: 21.01.2022
Aufbereitet am: 29.06.2022
2526
Zum Beschwerdegegenstand bei Beschwerdevorentscheidung
Leitsätze
I. Behebt das VwG den Ausgangsbescheid, obwohl eine Berufungsvorentscheidung vorliegt, wird ein nicht mehr dem Rechtsbestand angehörender Bescheid behoben, hingegen die den tatsächlichen Beschwerdegegenstand bildende Berufungsvorentscheidung im Rechtsbestand belassen. Daher ist eine Entscheidung noch offen. II. Der Erlassung eines neuen Bescheides durch die belangte Behörde steht rechtlich entgegen, dass über den zu Grunde liegenden Antrag durch die (im Rechtsbestand aufrechte) Berufungsvorentscheidung entschieden wurde, über einen bereits entschiedenen Antrag aber kein weiteres Mal eine Entscheidung zulässig ist.
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Entscheidungsdatum: 01.02.2021
Aufbereitet am: 28.06.2022
2525
Rechtsstellung von drittstaatsangehörigen Eltern eines minderjährigen Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat
Leitsätze
I. Zwar sind britische Gerichte seit dem "Brexit" nicht mehr als "Gerichte eines Mitgliedstaats" iSd Art 267 AEUV anzusehen, wohl aber bleibt der EuGH für Vorabentscheidungsersuchen solcher Gerichte zuständig, die vor dem Inkrafttreten des Austrittsübereinkommens (1.2.2020) oder wenigstens vor dem Ende des "Übergangszeitraums" (31.12.2020) bei ihm eingelangt sind (Art 86 Abs 2 Austrittsübereinkommen). Überdies muss das Ersuchen einen Sachverhalt betreffen, der in den zeitlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts in Großbritannien fällt. II. Drittstaatsangehörige Eltern eines minderjährigen Unionsbürgers, die für diesen die elterliche Fürsorge ausüben, fallen nicht in den Angehörigenbegriff der RL 2004/38/EG (Art 2 Z 2 lit d leg cit), wenn ihnen der Unionsbürger keinen Unterhalt gewährt. Nichtsdestotrotz ist ihnen kraft Art 21 AEUV eine Angehörigeneigenschaft zuzuerkennen, weil ansonsten die praktische Wirksamkeit der Unionsbürgerschaft in Mitleidenschaft geriete. Sohin können diese Personen von ihrem Kind mit Unionsbürgerschaft abgeleitete Aufenthaltsrechte nach der RL 2004/38/EG (UnionsbürgerRL) erwerben. III. Für Aufenthalte im Aufnahmemitgliedstaat zwischen drei Monaten und fünf Jahren gilt das Erfordernis eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes iSd Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG sowohl für den Unionsbürger als auch für dessen drittstaatsangehörige Familienangehörige (auch für solche iSd obigen Punktes II). IV. Sobald ein Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat fünf Jahre lang rechtmäßig iSd Kapitels III RL 2004/38/EG (UnionsbürgerRL) aufhältig war, unterliegt sein in der Folge erworbenes Daueraufenthaltsrecht nicht mehr den Bedingungen dieses Kapitels (insb des Art 7). V. Das erworbene Daueraufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers (auch solcher iSd obigen Punktes II) ist von der fortlaufenden Erfüllung der Konditionen des Kapitels III (insb des Art 7) RL 2004/38/EG unabhängig.
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Entscheidungsdatum: 10.03.2022
Aufbereitet am: 27.06.2022
2524
Zurückverweisender Beschluss des BVwG bei vorliegender Beschwerdevorentscheidung
Leitsätze
I. Behebt das VwG den Ausgangsbescheid, obwohl eine Berufungsvorentscheidung vorliegt, wird ein nicht mehr dem Rechtsbestand angehörender Bescheid behoben, hingegen die den tatsächlichen Beschwerdegegenstand bildende Berufungsvorentscheidung im Rechtsbestand belassen. Daher ist eine Entscheidung noch offen. II. Der Erlassung eines neuen Bescheides durch die belangte Behörde steht rechtlich entgegen, dass über den zu Grunde liegenden Antrag durch die (im Rechtsbestand aufrechte) Berufungsvorentscheidung entschieden wurde, über einen bereits entschiedenen Antrag aber kein weiteres Mal eine Entscheidung zulässig ist.
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Entscheidungsdatum: 18.06.2021
Aufbereitet am: 24.06.2022
2523
Subsidiärer Schutz aufgrund des Vorliegens einer allgemein prekären Situation im Herkunftsstaat
Leitsätze
I. Wird eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nicht glaubhaft nachgewiesen, so ist der Asylantrag abzuweisen, aber dennoch subsidiärer Schutz zu gewähren, wenn aufgrund einer allgemein prekären Lage im Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK bzw des 6. und 13. Zusatzprotokolls zur EMRK droht. II. Nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ruft ein reales Risiko iSd Art 3 EMRK hervor, vielmehr ist zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art 3 EMRK detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Derartige Umstände können als gegeben erachtet werden, wenn die betroffene Person im Herkunftsstaat etwa keine Lebensgrundlage vorfindet und damit – bezogen auf den Einzelfall – die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. III. Da die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, gilt die auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (hier: subsidiäre Schutzberechtigung gemäß § 8 Abs 1 iVm Abs 4 AsylG) ein Jahr ab Zustellung des Erkenntnisses des BVwG an die betroffene Person.
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Entscheidungsdatum: 08.11.2021
Aufbereitet am: 23.06.2022
2522
Rückkehrpolitik: Wahl zwischen Ausweisung oder Geldbuße bei illegalem Aufenthalt?
Leitsätze
I. Im System des Vorabentscheidungsverfahrens (Art 267 AEUV) ist es nicht Sache des EuGH, nationales Recht zu interpretieren, vielmehr hat der Gerichtshof seiner Beurteilung jene Auslegung zugrunde zu legen, von der das vorlegende Gericht ausgeht. II. Gemäß Art 6 Abs 1 RL 2008/115/EG ist – vorbehaltlich der in Abs 2 bis 5 leg cit vorgesehenen Ausnahmen – gegen alle illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Diese ist mit einer angemessenen Frist zur freiwilligen Ausreise iSd Art 7 RL 2008/115/EG zu verbinden und nach deren Ablauf ist grundsätzlich abzuschieben (Art 8 Abs 1 RL 2008/115/EG). III. Verlängerungen der Frist zur freiwilligen Ausreise (die sich grundsätzlich zwischen sieben und 30 Tagen zu bewegen hat) sind nur aus berücksichtigungswürdigen Gründen iSd Art 7 Abs 2 RL 2008/115/EG zulässig, wobei insb eine vom Drittstaatsangehörigen angestrebte Legalisierung seines Aufenthalts aus solchen Gründen zur Fristverlängerung führen kann. Jede Fristverlängerung darf aber nur abgestimmt auf die Umstände des Einzelfalls erfolgen und das Regelungsziel einer effektiven Rückkehrpolitik (oben II.) nicht torpedieren.
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Entscheidungsdatum: 03.03.2022
Aufbereitet am: 22.06.2022
2521
Stempel "ungültig" über Sichtvermerk im Reisepass ist kein Bescheid
Leitsätze
I. Im Hinblick auf die Beurteilung des LVwG, dass die Kenntlichmachung der Ungültigkeit von in den Reisepässen der revisionswerbenden Parteien ersichtlichen Aufenthaltstiteln nicht als Bescheid iSv Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG zu qualifizieren sei und es daher an einem tauglichen Beschwerdegegenstand mangle, liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. II. Ist Gegenstand des Revisionsverfahrens die Zurückweisung einer Beschwerde durch das LVwG mangels Vorliegen eines Bescheides, geht es nur um die Frage, ob die Behörde einen Bescheid erlassen hat oder nicht. Ob sie zur Erlassung eines Bescheides aus Rechtsschutzgründen verpflichtet gewesen wäre, ist dabei nicht entscheidend. III. Die RL 2003/109/EG differenziert zwischen dem Entzug und dem Verlust der Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (vgl zB die Überschrift des Art 9, in der ausdrücklich auf den Entzug oder den Verlust der Rechtsstellung Bezug genommen wird). Die Vorgaben des Art 10 Abs 1 der RL 2003/109/EG erstrecken sich nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung (sowohl in der deutschen, als auch in der von den Revisionswerbern ins Treffen geführten französischen Sprachfassung) auf Entscheidungen, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu versagen oder zu entziehen, nicht aber auf Situationen, in denen - so wie hier - der Verlust dieses Rechtsstatus im Raum steht. IV. § 20 Abs 4 NAG sieht seit Inkrafttreten des FrÄG 2009 ausdrücklich die Möglichkeit der Beantragung eines Feststellungsbescheides vor. Aus welchen Gründen diese Ausgestaltung des behördlichen (und in weiterer Folge verwaltungsgerichtlichen) Rechtsschutzes nicht im Einklang mit Art 10 Abs 2 der RL 2003/109/EG stehen sollte, ist nicht ersichtlich.
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Entscheidungsdatum: 20.12.2021
Aufbereitet am: 21.06.2022
2520
Familiennachzug: grundlegende Verkennung des Schutzstatus von Asylberechtigten und der Anforderungen an das Kindeswohl
Leitsätze
I. Im Hinblick auf den der Ehegattin und dem Kind des Revisionswerbers zukommenden Status als Asylberechtigte steht fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat nicht möglich, jedenfalls aber nicht zumutbar ist. Die in diesem Zusammenhang angestellten verwaltungsgerichtlichen Erwägungen zu einer allfälligen Rückkehrmöglichkeit entbehren einer rechtlichen Grundlage und stehen im Widerspruch zu dem den Familienmitgliedern des Revisionswerbers zukommenden Schutzstatus. II. Kommt eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat (und auch sonst außerhalb Österreichs) nicht in Betracht, ist der mit der staatlichen Entscheidung, die eine Trennung der Familie bewirkt, verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme (hier: an der Nichterteilung des Titels) ein sehr großes Gewicht beizumessen sein. III. Eine Trennung des Revisionswerbers von dessen Ehegattin und der einjährigen Tochter, die beide in Österreich asylberechtigt sind, erfordert eine besonders sorgfältige Prüfung der Auswirkungen dieser Trennung auf die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner minderjährigen Tochter sowie auf deren Wohlergehen. IV. Die Erwägungen des LVwG zu diversen staatlichen bzw staatlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich, sonstigen Betreuungsmöglichkeiten sowie zur Situation anderer berufstätiger Eltern werden den Anforderungen an eine nachvollziehbare und wohl begründete Beurteilung des Kindeswohls nicht gerecht. Im Übrigen wäre in Ansehung des bestmöglich zu wahrenden Wohls des Kindes der Fokus der verwaltungsgerichtlichen Überlegungen nicht auf die mit externen Betreuungsmöglichkeiten einhergehende Unterstützung bzw Entlastung des betreuenden Elternteils zu legen gewesen. Vielmehr wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Aufrechterhaltung des Kontakts mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem - wie im gegenständlichen Fall rund einjährigen - Kleinkind kaum (bzw nicht) möglich ist. Auch kommt dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu.
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Entscheidungsdatum: 07.12.2021
Aufbereitet am: 20.06.2022
2519
Zum rechtmäßigen Aufenthalt iSv § 54a NAG
Leitsätze
I. Auch wenn die Regelung des Art 18 der Unionsbürger-RL in der Regelung des Daueraufenthaltsrechtes für Angehörige in § 54a NAG keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat, sind die Regelungen unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass einem Drittstaatsangehörigen trotz Scheidung vom EWR-Bürger bei Erfüllung der in § 54 Abs 5 Z 1 NAG vorgesehenen Bedingungen auch ein Recht auf Daueraufenthalt zukommen kann. II. Unter dem in Art 16 Abs 1 der Unionsbürger-RL bezogenen rechtmäßigen Aufenthalt ist ein im Einklang mit den in dieser RL - insb in deren Art 7 Abs 1 - vorgesehenen Voraussetzungen stehender Aufenthalt zu verstehen. Ein Aufenthalt, der nicht die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 der Unionsbürger-RL erfüllt, kann nicht als ein "rechtmäßiger" Aufenthalt iSd Art 16 Abs 1 leg cit angesehen werden. III. Für die Frage des rechtmäßigen Aufenthaltes iSd § 54a Abs 1 NAG kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit nach der innerstaatlichen Rechtslage an, sondern auf die Rechtmäßigkeit am Maßstab der Unionsbürger-RL (somit nach den §§ 51 ff NAG). IV. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Zumindest in jenem Umfang, in dem ein Drittstaatsangehöriger zwar über eine Aufenthaltskarte, aber kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt, basiert sein rechtmäßiger Aufenthalt somit auf dem NAG. V. Für die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 54a Abs 1 NAG ist nicht entscheidungserheblich, ob der Aufenthalt rechtmäßig iSd § 31 Abs 1 Z 2 FPG war, sondern ob er als im Einklang mit Art 7 Abs 1 der Unionsbürger-RL stehend anzusehen war. Dass der Prüfung des Bestehens eines fünfjährigen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes durch (hier) das LVwG im Rahmen der Beurteilung eines Antrages auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte nach § 54a Abs 1 NAG eine aufrechte Aufenthaltskarte entgegenstünde (und insoweit zuerst eine Beseitigung dieser Dokumentation erfolgen müsste), lässt sich dem Beschluss des VwGH vom 16.5.2019, Ro 2019/21/0004, nicht entnehmen. VI. Wenn das Vorliegen einer aufrechten Aufenthaltskarte der eigenständigen dahingehenden Prüfung durch das LVwG nicht entgegensteht, ob der Aufenthalt über einen (von der Aufenthaltskarte gleichsam abgedeckten) Zeitraum nach Unionsrecht rechtmäßig war, dann kann für die hier zu klärende Frage, ob dem Mitbeteiligten überhaupt ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, nichts anderes gelten. In beiden Fällen geht es darum, dass ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht das Bestehen eines (wiederum) unionsrechtlich rechtmäßigen Aufenthaltes voraussetzt, und nicht darum, ob während des Aufenthaltes eine aufrechte Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes bestand und der Aufenthalt somit allenfalls nach innerstaatlichem Recht (§ 31 Abs 1 Z 2 FPG) rechtmäßig war. In diesem Sinne hat das LVwG einem aus dem Verwaltungsakt ersichtlichen Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe trotz Bestehens einer aufrechten Aufenthaltskarte nachzugehen.
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Entscheidungsdatum: 20.12.2021
Aufbereitet am: 17.06.2022
2518
Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung iZm § 11 Abs 5 NAG
Leitsätze
I. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die dem Zusammenführenden auch ohne Familienzuzug zustehen, sind bei der Einkommensberechnung gemäß § 11 Abs 2 Z 4 und Abs 5 NAG zu berücksichtigen. § 11 Abs 5 letzter Satz NAG steht dem nicht entgegen. II. Die in VwGH 27.2.2020, Ra 2019/22/0203, Rz 11 getroffenen Aussagen sind dahin zu verstehen, dass bei Berechnung der für den Unterhalt des Fremden zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (wie Arbeitslosenbezüge und Notstandshilfe) - im Falle von Erstanträgen nur nach Maßgabe des § 11 Abs 5 letzter Satz NAG - zu berücksichtigen sind.
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Entscheidungsdatum: 20.12.2021
Aufbereitet am: 15.06.2022
2517
Familiennachzug in Bezug auf asylberechtigten Sohn bzw Bruder
Leitsätze
I. Die Familienzusammenführung hat in Fällen, in denen den nachziehenden Familienangehörigen ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG nach Einreise in das Bundesgebiet nicht offen steht, über das NAG zu erfolgen. II. Wenn hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Zustellung des Asylzuerkennungsbescheides jegliche Feststellungen fehlen, ist sämtlichen Überlegungen zu einer Fristversäumnis die Grundlage entzogen und erweist sich eine darauf basierende Erkenntnisbegründung als nicht tragfähig. III. Dem Umstand, dass schon die den verwaltungsgerichtlichen Überlegungen zugrunde gelegte Fristversäumnis nicht ersichtlich ist, kommt gegenständlich jedenfalls insoweit (unmittelbare) Bedeutung zu, als das LVwG die Abweisung des Antrages der Erstrevisionswerberin (Mutter der zweit- bis sechstrevisionswerbenden Parteien sowie des Zusammenführenden, bei dem es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen iSd RL 2003/86/EG gehandelt hatte) bestätigte und deren im Lichte des Art 10 Abs 3 lit a der RL 2003/86/EG und des dazu ergangenen Urteils des EuGH vom 12.4.2018 näher zu prüfenden Anspruch auf Familienzusammenführung mit Hinweis auf eine Fristversäumnis verneinte. Daraus ergeben sich auch (mittelbare) Auswirkungen auf das Verfahren der zweit- bis sechstrevisionswerbenden Parteien.
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Entscheidungsdatum: 18.11.2021
Aufbereitet am: 14.06.2022
2516
Zusammenführender Unionsbürger zur Ausreise gezwungen?
Leitsätze
I. Für den Fall, dass der die Unionsbürgerschaft besitzende Ehemann der Fremden durch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels für seine Ehegattin de facto dazu gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, ist § 2 Abs 1 Z 9 NAG iSd EuGH-Rsp zu Art 20 AEUV unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der Fremden ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist. II. Die bloße Tatsache, dass es für einen Unionsbürger aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Unionsgebiet wünschenswert erscheinen könnte, dass drittstaatsangehörige Familienangehörige sich mit ihm zusammen im Unionsgebiet aufhalten können, rechtfertigen aber für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde.
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Entscheidungsdatum: 18.11.2021
Aufbereitet am: 10.06.2022
2515
Kein Erlöschen der Rechtsstellung "Daueraufenthalt – EU" auch bei nur geringer Anwesenheit im Unionsgebiet in Zwölf-Monats-Zeiträumen
Leitsätze
I. Art 9 Abs 1 lit c RL 2003/109/EG ist dahin auszulegen, dass die bestehende Rechtsstellung als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger (Art 4 ff leg cit = "Daueraufenthalt – EU" iSd §§ 8 Abs 1 Z 7, 45 NAG) bei Abwesenheiten dieser Drittstaatsangehörigen im Gebiet der EU nicht erlischt, wenn diese weniger als zwölf Monate am Stück betragen. II. An die Unterbrechungszeiträume der Abwesenheit sind keine Qualitätskriterien zu stellen, es reicht also die zwischenzeitige physische Anwesenheit im Unionsgebiet aus. Insb müssen die betroffenen Drittstaatsangehörigen nicht dartun, hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen zu haben. III. Anders als oben geschildert (I. und II.) sind nur Sachverhalte zu beurteilen, in denen der betroffene Drittstaatsangehörige Rechtsmissbrauch begangen hat. In der überwiegenden Abwesenheit aus dem Unionsgebiet alleine ist ein solcher allerdings nicht zu erblicken.
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Entscheidungsdatum: 20.01.2022
Aufbereitet am: 09.06.2022
2514
Lage in Afghanistan nach der Eroberung durch die Taliban; Frage einer fortbestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative
Leitsätze
I. Ein Beschwerdeverfahren ist vom Verwaltungsgericht iSd § 28 Abs 1 VwGVG einzustellen, wenn der Beschwerdeführer seines Erledigungsanspruchs verlustig ging. Dies ist insb bei Zurückziehung der Beschwerde der Fall. Die Einstellung ist in Beschlussform auszusprechen. II. Auf Grund des landesweiten Taliban-Vormarsches in Afghanistan und aktuell nur eingeschränkt verfügbarer Informationen insb zur aktuellen Erreichbarkeit, Sicherheits- und Versorgungslage betreffend einzelne Herkunftsprovinzen ist derzeit davon auszugehen, dass Antragstellern bezüglich ihrer Herkunftsprovinzen (hier: Bamyan) eine dem Art 2 oder 3 EMRK widerstreitende Behandlung droht. III. Um subsidiäre Schutzwürdigkeit (§ 8 AsylG) hinsichtlich eines gesamten Herkunftsstaates zu behaupten, also eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG definitiv ausschließen zu können, muss eine spezifische Vulnerabilität des betreffenden Antragstellers hinzukommen.
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Entscheidungsdatum: 01.09.2021
Aufbereitet am: 08.06.2022
2513
Unterhalt oder freiwillige Zuwendungen?
Leitsätze
I. Der Gesetzgeber hatte bei der Familienzusammenführung gemäß § 47 Abs 3 NAG in erster Linie jene Angehörigen im Blick, die während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet auf Unterhaltsmittel des Zusammenführenden angewiesen sind. Damit soll nur jenen Angehörigen die Möglichkeit des Familiennachzugs eingeräumt werden, bei denen ein - in den Fällen des § 47 Abs 3 NAG näher definiertes, nicht zwingend finanzielles - Abhängigkeitsverhältnis zum Zusammenführenden gegeben ist. Hinsichtlich der Leistungserbringung sind Unterhaltsleistungen von freiwilligen Zuwendungen abzugrenzen, wobei Letztere nicht den Tatbestand des § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG erfüllen. II. Soweit das LVwG hervorhebt, dass die Nahrungsmittel zum wesentlichen Teil aus der eigenen Landwirtschaft bezogen würden, der Schulbesuch der Kinder gewährleistet sei und die gesamte Familie auf dem landwirtschaftlichen Hof wohne, ist darauf hinzuweisen, dass die Deckung der Grundbedürfnisse einer mehrköpfigen Familie erfahrungsgemäß weit mehr Bereiche umfasst und ein weit darüber hinausgehender Lebensbedarf besteht. III. IZm § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG ist für die Beurteilung der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Antragstellers von Zahlungen eines Zusammenführenden auf das Existenzminimum im Herkunftsstaat abzustellen. Es sind daher entsprechende Ermittlungen zum Existenzminimum im Herkunftsstaat erforderlich. Zu den Ergebnissen derartiger Erhebungen sind sodann die vom Antragsteller erzielten Einkünfte in Relation zu setzen.
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Entscheidungsdatum: 22.11.2021
Aufbereitet am: 07.06.2022