Leitsätze
2772
Gefährdungsprognose berücksichtigt nicht Gesamtverhalten des Mitbeteiligten
Leitsätze
I. Nach § 8 Abs 3a iVm § 9 Abs 2 Z 2 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. II. Ein Fehlverhalten eines Fremden kann auch dann zur Beurteilung der Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn dieses nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsgerichtlichen Bestrafung führt. Ebenso steht einer solchen Beurteilung der Umstand, dass strafgerichtliche Ermittlungen gegen den Fremden bisher zu keiner Anklage geführt haben, ebenso wenig entgegen wie eine allfällige Einstellung eines gerichtlichen Verfahrens. III. Es entspricht der Rsp des VwGH, dass es grundsätzlich im Fall von strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens bedarf, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können.
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Entscheidungsdatum: 22.02.2023
Aufbereitet am: 07.07.2023
2771
Aufhebung eines Einreiseverbots bei nachträglichem Wegfall der gesetzlichen Grundlage
Leitsätze
I. Ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthalts- bzw Einreiseverbots kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. II. Mit der Entscheidung über die Aufhebung einer solchen Maßnahme kann die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides, mit dem diese erlassen wurde, jedoch nicht mehr überprüft werden. III. Allerdings kann eine Änderung der Rechtslage den Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthalts- bzw Einreiseverbots darstellen und ist demnach bei der Prüfung der Zulässigkeit der Aufrechterhaltung zu berücksichtigen.
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Entscheidungsdatum: 21.03.2023
Aufbereitet am: 06.07.2023
2770
Prüfung eines Folgeantragsbegehrens unter Zugrundelegung unterschiedlicher Vergleichsbescheide
Leitsätze
I. Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz ist unzulässig, wenn keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, oder solche zwar vorliegen, aber nicht geeignet sind, erheblich zur Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem Antragsteller ein Schutzstatus zuzuerkennen ist. II. Als Vergleichsbescheid ist jeweils derjenige Bescheid heranzuziehen, mit welchem zuletzt in der Sache entschieden wurde.
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Entscheidungsdatum: 24.01.2023
Aufbereitet am: 05.07.2023
2769
Vorliegen von Verfolgungsgefahr bei nachträglicher Konversion zu den Zeugen Jehovas
Leitsätze
I. Wesentliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich durch regelmäßige Gottesdienstbesuche und sonstige Aktivitäten manifestiert, und eine einhergehende Verhaltens- bzw Einstellungsänderung des Konvertiten. II. Eine asylrelevante Verfolgung kann ebenso auf Ereignissen beruhen, die erst nach Verlassen des Herkunftsstaates eingetreten sind (objektive Nachfluchtgründe) bzw auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat (subjektive Nachfluchtgründe). Derartigen Aktivitäten kann Asylrelevanz zukommen, wenn anzunehmen ist, dass diese aufgrund der bestehenden inneren Überzeugung auch bei einer Rückkehr fortgesetzt werden und sich ein Fremder dadurch der realen Gefahr einer Verfolgung aussetzt.
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Entscheidungsdatum: 20.01.2022
Aufbereitet am: 04.07.2023
2768
Relevanz von Art und Schwere von Straftaten sowie dem Persönlichkeitsbild von Straftätern bei Erstellung der Gefährdungsprognose zur Rechtfertigung eines Aufenthaltsverbots
Leitsätze
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer bestehenden Verurteilung des Fremden abzustellen, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten sowie das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild.
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Entscheidungsdatum: 19.01.2022
Aufbereitet am: 03.07.2023
2767
Aufenthaltsrecht für Vertriebene nach der Vertriebenen-Verordnung
Leitsätze
I. § 1 Z 1 VertriebenenVO erfasst auch Staatsangehörige der Ukraine, welche die Ukraine nicht lange vor dem 24.2.2022 verlassen haben, weil diese am 24.2.2022 nach wie vor einen Wohnsitz in der Ukraine hatten und durch den Ausbruch des bewaffneten Konflikts aus der Ukraine vertrieben wurden. II. Ob eine Person am oder nach dem 24.2.2022 in der Ukraine anwesend war, ist für die Frage des Wohnsitzes in der Ukraine nicht entscheidend.
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Entscheidungsdatum: 15.03.2023
Aufbereitet am: 30.06.2023
2766
Unzulänglichkeit einer pauschalen Begründung zur Versorgungslage in Griechenland
Leitsätze
I. Im Rahmen eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der GFK und der EMRK stehe. Diese Sicherheitsvermutung kann jedoch im Einzelfall widerlegt werden. II. Allfällige festgestellte systemische bzw allgemeine Schwachstellen sind dann von Relevanz, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen würden.
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Entscheidungsdatum: 19.04.2022
Aufbereitet am: 29.06.2023
2765
Zur Wahrscheinlichkeit der Einberufung eines 50-Jährigen als Reservist in die syrische Armee
Leitsätze
I. Bei der Prüfung, ob im konkreten Fall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung betreffend die Einberufung als Reservist droht, ist auf das Alter, besondere Qualifikationen der fremden Person und das Vorliegen eines Einberufungsbefehls einzugehen. Auch sind in diesem Kontext bspw eventuelle Rekrutierungsversuche sowie die (Verfolgungs-)Situation der Familie in Syrien zu beachten. II. Gegen die Annahme der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgung iSd § 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK in Syrien sprechen etwa Umstände, wie eine legale Ausreise und regelmäßige Ein- und Ausreisen zwischen Syrien und zB dem Libanon.
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Entscheidungsdatum: 10.10.2022
Aufbereitet am: 28.06.2023
2764
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd GFK eines Opfers von Menschenhandel?
Leitsätze
I. Ob die fremde Person als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe (hier: "nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben") und ob die Gruppe als eine Gruppe iSd GFK angesehen werden kann, ist eine Rechtsfrage. II. Zur Feststellung des Vorliegens einer "sozialen Gruppe" müssen stets zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt werden. Einerseits müssen die Gruppenmitglieder "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann", gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, "die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten". Andererseits muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine "deutlich abgegrenzte Identität" haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
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Entscheidungsdatum: 07.02.2022
Aufbereitet am: 27.06.2023
2763
Folgeanträge: Maßgeblichkeit eines neuen Sachverhalts im Vergleich zu welcher Entscheidung?
Leitsätze
I. Folgeanträgen iSd § 2 Abs 1 Z 23 AsylG steht der Unzulässigkeitsgrund der res iudicata (§ 68 Abs 1 AVG) dann nicht entgegen, wenn sich im Vergleich zur früheren Entscheidung die Rechtslage geändert hat oder wenn ein neuer Sachverhalt vorgebracht wird, der insofern maßgebend ist, als er auf einem glaubwürdigen asylrelevanten Kern beruht. II. "Frühere Entscheidung" und sohin Vergleichsmaßstab kann nur jene frühere Entscheidung sein, in der zuletzt in der Sache entschieden und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs 1 AVG) zurückgewiesen wurde. III. Asylanträge sind hilfsweise auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gerichtet. Daher müssen bei der Qualifikation eines neuen Sachverhaltsvorbringens als maßgebend (Punkte I. und II.) auch Feststellungen hinsichtlich der rechtlichen Relevanz im Lichte einer möglichen Schutzwürdigkeit iSd § 8 AsylG getroffen werden.
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Entscheidungsdatum: 01.03.2023
Aufbereitet am: 26.06.2023
2762
Verhältnismäßigkeit der Ausweisung eines Marokkaners nach wiederholten Verurteilungen wegen Suchtgiftkriminalität
Leitsätze
I. Die Mitgliedstaaten der EMRK haben das Recht, straffällig gewordene Fremde auszuweisen. Ein damit einhergehender Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- bzw Familienlebens bedarf jedoch einer Rechtfertigung nach Art 8 Abs 2 EMRK. II. Das Bestehen eines von Art 8 EMRK geschützten Familienlebens ist eine Tatsachenfrage, die vom Bestehen enger familiärer Bindungen abhängt. Solche Bindungen können ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn die Familienmitglieder nicht im gemeinsamen Haushalt zusammenleben. Obwohl der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht mit seinen beiden Kindern und deren Mutter zusammenlebte, bestand aufgrund der Beziehung zwischen ihm und der Mutter und seines Kontakts zu den Kindern ein Familienleben iSv Art 8 EMRK. III. Die Ausweisung eines niedergelassenen Migranten, der den größten Teil seiner Kindheit und Jugend im Gaststaat verbracht hat, kann nur durch sehr schwerwiegende Gründe gerechtfertigt werden. IV. Bei der Abwägung der für eine Ausweisung sprechenden Gründe gegen das Interesse an der Fortsetzung des Privat- und Familienlebens im Gaststaat sind strafrechtliche Verurteilungen ein zu berücksichtigender Faktor. Dabei gibt es kein Mindestmaß betreffend die Schwere der Straftat oder die Höhe der Strafe, ab welchem die Ausweisung gerechtfertigt ist. Vielmehr sind diese Faktoren im Rahmen der Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Entscheidend sind zudem nicht die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe, sondern die Art der Straftat und die Umstände ihrer Begehung. Drogendelikte zählen dabei zu den schwerwiegendsten Straftaten und der EGMR hat Verständnis für ein hartes Vorgehen der Mitgliedstaaten gegen diese Form der Kriminalität. V. Wenn die nationalen Behörden bzw Gerichte eine sorgfältige Beurteilung des Sachverhalts unter Anwendung der vom EGMR entwickelten Standards vorgenommen und die widerstreitenden Interessen angemessen gegeneinander abgewogen haben, wird der EGMR ihre Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nicht durch seine eigene ersetzen. VI. Im vorliegenden Fall lagen angesichts seiner wiederholten Verurteilungen wegen Drogendelikten sehr schwerwiegende Gründe für die Ausweisung des Beschwerdeführers vor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die verhängten Strafen eher milde waren. Auch wenn der Beschwerdeführer seit mehr als 40 Jahren in den Niederlanden lebt und er nur geringe Bindungen zu Marokko hat, ist seine Ausweisung daher verhältnismäßig.
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Entscheidungsdatum: 11.04.2023
Aufbereitet am: 23.06.2023
2761
Zum Kriterium "Vermeidung einer besonderen Härte" iSd § 54 Abs 5 Z 4 NAG
Leitsätze
I. Ein ausschließliches Verschulden des anderen Ehepartners alleine reicht nicht aus, um einen besonderen Härtefall iSd § 54 Abs 5 Z 4 NAG zu begründen. II. Nach dem mit § 54 Abs 5 Z 4 NAG umgesetzten Art 13 Abs 2 Unterabs 1 lit C der Unionsbürger-RL 2004/38/EG soll der Verlust des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts (nur) dann nicht eintreten, wenn es aufgrund besonders schwieriger Umstände erforderlich ist, wie etwa bei Opfern von Gewalt im häuslichen Bereich während der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft. III. Nach stRsp kann auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung ergeben. Mangelt es an der für einen Bescheid vorgesehenen Form, muss deutlich erkennbar sein, dass die Behörde dennoch den - objektiv erkennbaren - Willen hatte, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Erledigung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit vorzunehmen. Lässt der Inhalt einer behördlichen Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essenziell.
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Entscheidungsdatum: 27.12.2022
Aufbereitet am: 22.06.2023
2760
Hemmung der Dublin-Überstellungsfrist bis zum Abschluss des Verfahrens über eine Amtsrevision auf Antrag der revisionswerbenden Behörde und Unionsrecht
Leitsätze
I. Das Unionsrecht und so auch Art 27 Dublin III-VO iVm Art 18 und 47 GRC gebieten keine zweigliedrigen Rechtszüge gegen asylrechtliche Entscheidungen, auch nicht solche nach der Dublin III-VO (604/2013). II. Folglich beschränkt sich auch der Gehalt des Art 27 Abs 3 und 4 Dublin III-VO über einstweiligen Rechtsschutz auf den Rechtsbehelf gegen die erstbehördliche Entscheidung. III. Aus Art 29 Abs 1 Dublin III-VO folgt, dass das nationale Recht, wenn es schon eine dritte Instanz vorsieht, ermöglichen kann, per einstweiliger Anordnung auf Antrag der erstinstanzlichen Asylbehörde, die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz vorgehen will (in Österreich: Amtsrevision), die Dublinüberstellungsfrist auszusetzen bzw zu erlauben, dass bis zum Abschluss dieses Rechtsbehelfsverfahrens keine neue Entscheidung getroffen wird. IV. Auf Grund des Grundsatzes der Waffengleichheit besteht die in Punkt III genannte Möglichkeit des nationalen Normsetzers nur in jenen Fällen, in denen schon der Rechtsbehelf des Antragstellers gegen die Entscheidung der ersten Instanz aufschiebende Wirkung nach Art 27 Abs 3 oder 4 Dublin III-VO hatte.
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Entscheidungsdatum: 30.03.2023
Aufbereitet am: 21.06.2023
2759
Duldung des weiteren Aufenthalts trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung aufgrund des Gesundheitszustands
Leitsätze
I. Trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung, deren Durchsetzung vom Fremden bisher unrechtmäßig vereitelt wurde, kann eine Duldung des weiteren Aufenthalts des Fremden geboten sein, wenn sich bspw der Gesundheitszustand während des illegalen Aufenthalts derart verschlechtert, dass dieser ein tatsächliches Abschiebungshindernis iSd § 46a Abs 1 Z 3 FPG darstellt. II. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung ist jedenfalls auch der Gesundheitszustand der betroffenen Person maßgebend, weshalb die Durchsetzung einer Rückkehrentscheidung trotz Rechtskraft an einem im Gesundheitszustand begründeten tatsächlichen Abschiebungshindernis scheitern kann.
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Entscheidungsdatum: 09.08.2022
Aufbereitet am: 20.06.2023
2758
Aufenthaltsbeendende Maßnahme nach bereits erfolgter Ausweisung?
Leitsätze
I. § 69 Abs 1 FPG ist – interpretiert im Lichte von Art 15 Abs 1 RL 2004/38/EG – dahin auszulegen, dass eine Ausweisung nicht bereits als vollstreckt gilt und gegenstandslos wird, wenn der Bescheidadressat aus dem Bundesgebiet ausreist. Vielmehr muss der Aufenthalt im Bundesgebiet tatsächlich und wirksam beendet worden sein. Dies ist einzelfallbezogen mit Blick auf die Lebenssituation des Ausgewiesenen zu beurteilen. II. Solange der Aufenthalt nicht im Sinne von § 69 Abs 1 FPG bzw Art 15 Abs 1 RL 2004/38/EG tatsächlich und wirksam beendet worden ist, darf keine neuerliche aufenthaltsbeendende Maßnahme ergehen. III. Insb da es an Judikatur des VwGH zu § 69 Abs 1 FPG nach Ergehen der neuesten Rsp des EuGH zu Art 15 Abs 1 RL 2004/38/EG fehlt, liegt eine revisible Grundsatzfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG vor.
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Entscheidungsdatum: 01.03.2023
Aufbereitet am: 19.06.2023
2757
Neues zum Ausweisungsschutz lange aufhältiger türkischer Staatsangehöriger
Leitsätze
I. Ein nach Maßgabe des ARB rechtmäßig in der EU aufhältiger türkischer Staatsangehöriger, dem eine Beschränkung seines Freizügigkeitsrechts auferlegt wird, kann sich bei deren gerichtlicher Bekämpfung auf Art 13 ARB (Stillhalteklausel bezüglich neuer Beschränkungen) ebenso wie auf eine fehlerhafte Anwendung des Art 14 ARB (Rechtfertigungsgründe für neue Beschränkungen) berufen. II. Soweit sich Mitgliedstaaten, die neue Beschränkungen gegenüber türkischen Arbeitnehmern oder deren Familienangehörigen erlassen, rechtfertigend auf die "öffentliche Ordnung" berufen, haben sie bei deren Definition einen gewissen politischen Wertungsspielraum. Ihre Maßnahmen unterliegen jedoch einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. III. Bei der Beurteilung von Ausweisungen von seit über zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufhältigen türkischen Arbeitnehmern kann Art 12 RL 2003/109/EG als Richtschnur herangezogen werden. Ein Auszuweisender muss demnach eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellen. Seine Ausweisung darf nicht auf rein wirtschaftlichen Erwägungen beruhen und es muss eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden können. Eine Konditionalität zwischen einer verhängten Strafe und einer Ausweisungsverfügung im Sinne eines Automatismus ist unzulässig.
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Entscheidungsdatum: 09.02.2023
Aufbereitet am: 16.06.2023
2756
Nichtzuerkennung des Asylstatus betreffend syrische Reservisten über der Altersgrenze von 42 Jahren erfolgt zu Recht
Leitsätze
I. Hat die fremde Person ihren Wehrdienst bereits abgeleistet, befindet sie sich nicht mehr im wehrfähigen Alter und kann weder einen Einberufungsbefehl noch eine militärische Spezialausbildung oder einen hohen Dienstgrad vorweisen, so ist nicht von einer drohenden Einberufung als Reservist zum syrischen Militär auszugehen. II. Wird ein Vorbringen erstmals in der Beschwerde (und somit nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens) vorgebracht und erschöpft sich dieses in kurzen sowie gänzlich unsubstanziierten Angaben, so deutet dies stark auf eine Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hin.
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Entscheidungsdatum: 10.10.2022
Aufbereitet am: 15.06.2023
2755
Gar kein Rechtsmittel gegen Kartenabnahme durch Organe des BFA in Gestalt eines AuvBZ?
Leitsätze
I. Gemäß § 53 Abs 1 letzter Satz AsylG ist gegen den Entzug von Karten durch das BFA nach dem AsylG (§§ 50 bis 52) ein (selbständiges) Rechtsmittel nicht zulässig. Dieser Rechtsmittelausschluss ist umfassend zu verstehen und beschränkt sich nicht auf Beschwerden iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG gegen den bescheidmäßig verfügten Kartenentzug. Vielmehr ist auch eine Abnahme der Karte durch verwaltungsbehördlichen Befehl und Zwang durch Organe des BFA nicht beschwerdefähig iSd Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG. II. Eine Maßnahmenbeschwerde gegen eine Kartenabnahme käme nur dann in Betracht, wenn diese gemäß § 46 BFA-VG durch eine Sicherheitsbehörde oder ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgt. III. Die Frage, ob der Rechtsmittelausschluss iSd § 53 Abs 1 letzter Satz AsylG wirklich derart weit auszulegen ist oder nicht, ist einer ordentlichen Revision an den VwGH zugänglich (Art 133 Abs 4 B-VG).
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Entscheidungsdatum: 02.02.2023
Aufbereitet am: 14.06.2023
2754
Zulassung des Asylverfahrens nach ungenütztem Ablauf der Überstellungsfrist iSd Art 29 Abs 2 Dublin III-VO
Leitsätze
Verstreicht die sechsmonatige Überstellungsfrist iSd Art 29 Abs 2 Dublin III-VO ungenützt und liegen auch keine Gründe vor, die zu einer Verlängerung der Frist führen würden (wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der fremden Person nicht erfolgen konnte oder wenn die betreffende Person flüchtig ist), so geht aufgrund der in Art 29 Abs 2 Dublin III-VO normierten Rechtsfolge die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag eingebracht wurde und in dem sich die fremde Person aktuell aufhält, über.
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Entscheidungsdatum: 04.08.2022
Aufbereitet am: 13.06.2023
2753
Auflagen nach § 56 FPG dürfen bloß während der Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt werden
Leitsätze
I. Für die Weitergeltung von Auflagen (§ 56 FPG) nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise wird einerseits vorausgesetzt, dass diese bereits während des Fristenlaufs gesetzt wurden. Andererseits muss zumindest ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ungenützten Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise und der Festsetzung der Auflagen bestehen. Wird nach dem ungenützten Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise mit der Festsetzung von Auflagen gemäß § 56 FPG mehrere Monate zugewartet, so kommt weder eine Weitergeltung der Auflagen in Betracht noch ist der erforderliche zeitliche Konnex gegeben. II. Die Festsetzung von Auflagen iSd § 56 FPG darf nur erfolgen, wenn ein Interesse betreffend die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit besteht oder Auflagen zur Vermeidung von Fluchtgefahr geboten sind. Entspricht die Auflage keiner der angeführten Voraussetzungen, so ist diese als unverhältnismäßig zu qualifizieren. III. Da sich aus Art 7 Abs 3 RückführungsRL die Festlegung von Verpflichtungen bloß während der Dauer der freiwilligen Ausreisefrist und zur Vermeidung von Fluchtgefahr ergibt, kann aus ihrem Wortlaut nicht abgeleitet werden, dass die Mitgliedstaaten zur Festlegung solcher Verpflichtungen auch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ermächtigt werden, zumal der Begriff "Fluchtgefahr" nicht mit jenem der "Gefahr für die öffentliche Ordnung" gleichzusetzen ist. Damit bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des § 56 FPG mit den in der RückführungsRL festgesetzten unionsrechtlichen Vorgaben.
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Entscheidungsdatum: 03.06.2022
Aufbereitet am: 12.06.2023