Leitsätze
2215
Beginn des zweijährigen Fristenlaufs für Nachweis der Zulassung zum ordentlichen Studium
Leitsätze
I. Wenn im NAG für die Erfüllung einer Erteilungsvoraussetzung, die einen Inlandsaufenthalt voraussetzt, eine bestimmte Zeitspanne eingeräumt wird, dann muss schon aus systematischen Erwägungen ein rechtmäßiger Aufenthalt in dieser Zeitspanne möglich sein. II. Die zweijährige Frist des § 64 Abs 2 erster Satz NAG ist ab dem Beginn des Semesters zu berechnen, in dem der betreffende Drittstaatsangehörige erstmals als außerordentlicher Studierender zugelassen und auch zum Aufenthalt in Österreich berechtigt war.
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Entscheidungsdatum: 09.09.2020
Aufbereitet am: 04.02.2021
2214
Ausweisung eines von klein auf niedergelassenen Migranten, der angenommen hatte, Staatsbürger der Niederlande zu sein
Leitsätze
I. Die Unterzeichnung einer von der IOM bei der unterstützten Ausreise unterzeichneten Erklärung eines ausgewiesenen Fremden, der Einstellung aller anhängigen Verfahren über die Erteilung eines Aufenthaltstitels zuzustimmen, bezieht sich nicht auf ein Verfahren vor dem EGMR. Daher besteht kein Grund, eine Beschwerde, mit der eine Verletzung von Art 8 EMRK durch die Ausweisung behauptet wird, gemäß Art 37 EMRK aus der Liste zu streichen. II. Das Bestehen von Familienleben iSv Art 8 EMRK ist im Hinblick auf den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem die umstrittene innerstaatliche Entscheidung über die Ausweisung rechtskräftig wurde. III. Beziehungen zwischen Erwachsenen sind nur dann als durch Art 8 EMRK geschütztes Familienleben anzusehen, wenn sie über die gewöhnlichen emotionalen Bindungen hinausgehen. IV. Die Ausweisung langjährig niedergelassener Migranten, die sich den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend im Gaststaat aufgehalten haben, kann nur durch sehr schwerwiegende Gründe gerechtfertigt werden. Die im Hinblick auf die Entziehung eines Aufenthaltsrechts entwickelten Kriterien können jedoch nicht ohne Weiteres auf die Situation eines Fremden übertragen werden, der nach einem jahrelangen tatsächlichen Aufenthalt erstmals dessen Legalisierung beantragt. V. Ob den Staat eine positive Verpflichtung trifft, nach einem langjährigen unrechtmäßigen Aufenthalt einen Aufenthaltstitel zu erteilen, hängt insb von folgenden Faktoren ab: dem Umfang der Bindungen im Aufenthaltsstaat, dem Ausmaß der Unterbrechung des Familienlebens, dem Bestehen unüberwindbarer Hindernisse für ein Familienleben in einem anderen Staat, dem Bestehen von Faktoren der Einwanderungskontrolle oder Überlegungen der öffentlichen Ordnung, die für eine Ausweisung sprechen. VI. Wenn ein Privat- oder Familienleben begründet wurde, während sich die Betroffenen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, begründet die Ausweisung nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art 8 EMRK. Es sprechen schwerwiegende Gründe dafür, in dieser Hinsicht Kindern das Verhalten ihrer Eltern zuzurechnen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass Eltern die Situation ihrer Kinder ausnutzen. VII. Ein Fremder, der von klein auf im Gaststaat aufgewachsen ist, dessen Aufenthalt aber wegen der fälschlichen Annahme, dessen Staatsbürgerschaft zu besitzen, nie legalisiert wurde, kann nicht als "niedergelassener Migrant" angesehen werden, dessen Ausweisung nur durch sehr schwerwiegende Gründe gerechtfertigt werden kann. Umgekehrt kann ihm aber auch nicht die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus während der Begründung des Privat- und Familienlebens entgegengehalten werden, da ihm diese nicht bewusst sein musste. Auch das Verhalten seiner Eltern, die sich nicht um einen Aufenthaltstitel für ihn bemüht haben, kann ihm nicht zugerechnet werden, weil deren Aufenthalt nicht von seinem Aufenthaltstitel abhängig war und daher keine Gefahr einer Ausnutzung der Situation des Kindes bestand. Die Interessenabwägung hat daher in solchen Fällen von einem neutralen Standpunkt auszugehen. VIII. Die wiederholte Begehung schwerer Straftaten wie unzüchtigen Angriffen auf Frauen kann die Ausweisung eines von klein auf aufgewachsenen, wenn auch nie rechtmäßig aufhältigen Fremden rechtfertigen, der gut integriert ist und keine Beziehungen zum Staat hat, dessen Staatsangehöriger er ist.
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Entscheidungsdatum: 28.07.2020
Aufbereitet am: 03.02.2021
2213
Veränderte subsidiäre Schutzwürdigkeit durch die wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 in Afghanistan
Leitsätze
I. Gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Schutzsuchenden, die in Afghanistan keine Anknüpfungspunkte haben (va, weil sie vor der Reise nach Österreich in einem anderen Staat als Afghanistan gelebt haben), wäre unter normalen Umständen eine Rückkehr und ein Aufbau einer Existenz in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar (vgl § 11 AsylG). Derartige normale Umstände liegen aber auf Grund der durch die COVID-19-Pandemie verschärften wirtschaftlichen Situation in Afghanistan für diese Personengruppe gerade nicht vor. Stattdessen betreffen die arbeitsmarkt-, einkommens- und unterkunftstechnischen Verschärfungen im Land va diese Personengruppe. Nach derzeitigem Stand (Juli 2020) kann daher nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass derartige Schutzsuchende bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer dem Refoulementverbot (Art 2 und 3 EMRK, 6. und 13. ZPEMRK) widerstreitenden Behandlung ausgesetzt würden. Ihnen ist daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen (§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG). II. Da eine Rsp des VwGH zu dieser Frage der COVID-bedingten Situation junger und erwerbsfähiger Beschwerdeführer ohne spezifische Vulnerabilität im Herkunftsstaat fehlt, ist die Revision an den VwGH zulässig (Art 133 Abs 4 B-VG).
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Entscheidungsdatum: 01.07.2020
Aufbereitet am: 02.02.2021
2212
Dauer eines Aufenthaltsverbots nach Eingehen einer Scheinehe
Leitsätze
I. Eine im Verhältnis geringere Dauer eines Aufenthaltsverbots von Unionsbürgerinnen und -bürgern kann etwa verhängt werden, wenn sich das Fehlverhalten der betroffenen Person im Eingehen einer Aufenthaltsehe erschöpft und nicht der betroffenen Person selbst durch die Scheinehe ein Aufenthaltsrecht verschafft werden soll, sondern der Ehepartnerin bzw dem Ehepartner. II. Zum Schutz und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist etwa bei Eingehen einer Aufenthaltsehe die Erlassung eines Aufenthaltsverbots notwendig, da der Einhaltung in Bezug auf die Einreise und den Aufenthalt von fremden Personen regelnden Vorschriften ein hoher Stellenwert beizumessen ist. III. Die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 117 Abs 4 FPG steht der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wegen des Eingehens einer Scheinehe nicht entgegen. IV. Die Beurteilung, ob eine Scheinehe vorliegend ist, darf von der Verwaltungsbehörde selbstständig getroffen werden. Es ist dafür nicht notwendig, dass die Ehe für nichtig erklärt worden ist.
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Entscheidungsdatum: 06.07.2020
Aufbereitet am: 01.02.2021
2211
Entscheidungen über Aufenthaltstitel gemäß Art 6 Abs 1 und 2 RL 2003/86/EG aus Gründen der öffentlichen Ordnung
Leitsätze
I. Das unionsrechtliche Auslegungsmonopol des EuGH (Art 267 AEUV, vgl auch Art 19 Abs 1 EUV) besteht auch in Fällen, in denen die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen das Unionsrecht auf davon nicht erfasste Sachverhalte ausdehnen (selbst wenn das Unionsrecht – wie etwa die RL 2003/86/EG [FamilienzusammenführungsRL] gemäß deren Art 3 Abs 3 – diese Sachverhalte gerade nicht regelt). II. Die Bezugnahme des Art 6 Abs 1 und 2 RL 2003/86/EG auf die öffentliche Ordnung (Entziehung oder Verweigerung der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach der RL aus Gründen der öffentlichen Ordnung) geht nicht so weit wie jene des Art 27 Abs 2 RL 2004/38/EG. So reicht es nach Art 6 Abs 1 und 2 RL 2003/86/EG vielmehr aus, wenn eine solche Entscheidung wegen einer vom betroffenen Drittstaatsangehörigen begangenen Straftat getroffen wird. Es muss nicht auch geprüft werden, ob das individuelle Verhalten dieser Person eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats berührt. Wohl aber sind aus Verhältnismäßigkeitsgründen die Art und Schwere der Straftat zu berücksichtigen. Darüber hinaus haben die mitgliedstaatlichen Behörden vor Erlassung einer solchen Entscheidung auch eine Prüfung nach Art 17 RL 2003/86/EG anzustellen (zu berücksichtigende Faktoren: Art und Stärke der familiären Bindungen der Person, Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland).
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Entscheidungsdatum: 19.12.2019
Aufbereitet am: 28.01.2021
2210
Unzulässigkeit der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund aufrechter Rechtskraftwirkung des Zuerkennungsbescheides
Leitsätze
I. Der Rsp des VwGH und VfGH folgend ist es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden nicht zulässig, die Aberkennung nach § 9 Abs 1 Z 1 AsylG auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bzw der erfolgten Verlängerung nicht maßgeblich geändert hat. II. Entsprechend dem Prüfschema des VwGH wäre zuerst zu ermitteln, ob seit der erfolgten Erteilung bzw zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsbewilligung neue Umstände hinzugetreten sind. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist eine neue Gesamtbeurteilung vorzunehmen, bei der alle maßgeblichen Elemente einzubeziehen sind, auch wenn sie sich bereits vor der letzten Verlängerung ereignet haben.
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Entscheidungsdatum: 22.05.2020
Aufbereitet am: 27.01.2021
2209
Keine Mutwilligkeit eines Folgeantrages bei tatsächlicher Sachverhaltsänderung
Leitsätze
I. Die Behörde kann gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, eine Mutwillensstrafe verhängen. II. Mutwillig handelt, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet. Offenbar ist der Mutwille, wenn die Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen erfolgt, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist.
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Entscheidungsdatum: 22.05.2020
Aufbereitet am: 26.01.2021
2208
Willkürliches Verhalten der Behörde mangels Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens
Leitsätze
Ein willkürliches Verhalten einer Behörde ist dann anzunehmen, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet.
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Entscheidungsdatum: 24.04.2020
Aufbereitet am: 25.01.2021
2207
Aufhebung nach § 21 Abs 3 BFA-VG
Leitsätze
I. Einer behebenden Entscheidung iSd § 21 Abs 3 zweiter Satz BFA-VG muss auch - unter Überbindung der Rechtsansicht - entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde unterlaufen sind. II. Zudem hat das BVwG in seiner Begründung offenzulegen, warum es nicht in der Lage ist, die Ermittlungsmängel in der für die Erledigung des - im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens - gebotenen Eile zu beseitigen.
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Entscheidungsdatum: 06.08.2020
Aufbereitet am: 22.01.2021
2206
Unwirksamkeit von Zustellungen an prozessunfähige Personen
Leitsätze
I. Die Erlassung eines schriftlichen Bescheides hat durch rechtswirksame Zustellung bzw Ausfolgung zu ergehen. Verfahrensakte, wie etwa Zustellungen, gegen prozessunfähige Personen sind unwirksam. Die Behörde kann in einem solchen Fall Verfahrenshandlungen nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter rechtswirksam setzen. II. Die Prozessfähigkeit ist nach Rsp des VwGH als Vorfrage zu beurteilen. Muss die Behörde von Amts wegen oder aufgrund eines eingebrachten Antrages gegen einen Prozessunfähigen, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Amtshandlung vornehmen lassen, so muss sie einen Kurator bestellen lassen. Im Fall der Anhängigkeit eines Verfahrens zur Vorfrage steht es im Ermessen der Behörde, das Verfahren auszusetzen oder die Vorfrage selbst zu beurteilen.
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Entscheidungsdatum: 24.04.2020
Aufbereitet am: 21.01.2021
2205
Keine aufschiebende Wirkung bei unverzüglich erforderlicher Vorbereitung zur Außerlandesbringung
Leitsätze
I. Angesichts der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und seiner evidenten Weigerung, freiwillig das Bundesgebiet zu verlassen, ist das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers zur Regelung seiner Ausreise erforderlich. II. Die Voraussetzung für den Ausschluss einer aufschiebenden Wirkung iSd § 13 Abs 2 VwGVG ist insb erfüllt, wenn der Beschwerdeführer nicht ausreisewillig ist, den Ausreisebefehl nicht befolgt, unrechtmäßig im Bundesgebiet verbleibt, einen offenkundig unzulässigen Folgeantrag stellt, seine Identität und Herkunft verschleiert. Die Vorbereitung seiner Außerlandesbringung ist dann zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens unverzüglich erforderlich.
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Entscheidungsdatum: 31.01.2020
Aufbereitet am: 20.01.2021
2204
Keine Rechtswidrigkeit der Anhaltung bei zeitlich verzögerter Einvernahme eines festgenommenen Fremden
Leitsätze
Die Anhaltung eines Fremden ist bis zu 24 Stunden zulässig, wobei die Anhaltedauer so kurz als möglich zu halten ist. Die Behörde hat im Interesse einer kurzen Haftdauer die dafür notwendigen und zumutbaren organisatorischen und personellen Maßnahmen zu setzen.
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Entscheidungsdatum: 24.04.2020
Aufbereitet am: 19.01.2021
2203
Ausnahme vom Rechtsfolgenausschluss für Jugendstraftaten gemäß § 5 Z 10 JGG in Asylangelegenheiten; Zurückweisung mangels Präjudizialität
Leitsätze
I. Gesetze sind im Allgemeinen auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach ihrem Inkrafttreten ereignen, sofern der Gesetzgeber nicht ausdrücklich anderes bestimmt. II. Da das BVwG § 2 Abs 4 AsylG 2005 bei seiner Entscheidung nicht anzuwenden hatte, war die angefochtene Bestimmung im vorliegenden Fall nicht präjudiziell.
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Entscheidungsdatum: 21.09.2020
Aufbereitet am: 18.01.2021
2202
Notwendige Einzelfall- und Verhältnismäßigkeitsprüfung iSd Art 21 Abs 7 StudentenRL
Leitsätze
I. Im Anwendungsbereich des Art 47 GRC erübrigt sich im Fall der Unterlassung einer nach Art 47 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung die Darlegung der Relevanz des in der Unterlassung der Durchführung der Verhandlung gelegenen Verfahrensmangels. Auf den vorliegenden Sachverhalt ist die RL (EU) 2016/801 anzuwenden. Das unbegründete Unterlassen der beantragten Verhandlung vor dem LVwG stellt somit einen relevanten Verfahrensmangel dar. II. Gemäß Art 21 Abs 7 der RL (EU) 2016/801, die bis 23.5.2018 in nationales Recht umzusetzen war, müssen bei jeder Entscheidung über die Entziehung oder Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob es unverhältnismäßig wäre, ungeachtet der Nichterfüllung der nationalen Vorgaben - im vorliegenden Fall des Nachweises eines Studienerfolges im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten - einen ausreichenden Studienerfolg zu verneinen. III. Es ist nicht zu erkennen, dass eine versäumte Studienzeit von etwa sechs Wochen (Beginn des Studienjahres mit 1.10.2018, Zulassung zum ordentlichen Studium mit 16.11.2018) für sich gesehen eine Unverhältnismäßigkeit iSd Art 21 Abs 7 RL (EU) 2016/801 darstellt, weil die Revisionswerberin auch vor dem 16.11.2018 Vorlesungen besuchen und sich vorbereiten konnte. IV. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Antrag der Revisionswerberin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung für den Zweck Studierender abgewiesen. Diese Abweisung bewirkt eine Änderung der Rechtsposition der Revisionswerberin und ist daher einem Vollzug iSd § 30 Abs 2 VwGG zugänglich. (Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 21.8.2020)
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Entscheidungsdatum: 15.09.2020
Aufbereitet am: 15.01.2021
2201
Zur Flüchtlingseigenschaft nach Militärdienstverweigerung in Syrien wegen der Befürchtung einer Teilnahme an Kriegsverbrechen
Leitsätze
I. Art 9 Abs 2 lit e RL 2011/95/EU ist dahin auszulegen, dass er einer Feststellung der Militärdienstverweigerung trotz fehlender Formalisierung derselben in einem Verfahren im Herkunftsstaat nicht entgegensteht, wenn das dortige Recht die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes nicht vorsieht. Nur wenn ein solches Recht besteht, was im Falle Syriens nicht der Fall ist, führt die Nicht-Formalisierung der Verweigerung vor der Militärverwaltung zum Ausschluss des Tatbestands des Art 9 Abs 2 lit e RL 2011/95/EU. II. Art 9 Abs 2 lit e RL 2011/95/EU ist ferner dahin auszulegen, dass für einen Wehrpflichtigen, der seinen Militärdienst in Unkenntnis seines zukünftigen Einsatzbereichs in einem Konflikt verweigert, der von der wiederholten und systematischen Begehung von Kriegsverbrechen iSd Art 12 Abs 2 lit a RL 2011/95/EU gekennzeichnet ist (wie dem syrischen Bürgerkrieg), das Ableisten des Dienstes die Beteiligung an solchen Verbrechen mit sich bringt. Denn bereits die indirekte Beteiligung daran reicht aus. III. Zwischen den in Art 10 RL 2011/95/EU taxativ genannten Verfolgungsgründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung iSv Art 9 Abs 2 lit e leg cit (Verfolgungshandlung) muss eine Verknüpfung bestehen. IV. Die Behörden der Mitgliedstaaten dürfen von der in Leitsatz III genannten Verknüpfung nicht automatisch ausgehen, weil dies zu einer Ergänzung der in Art 10 RL 2011/95/EU genannten Verfolgungsgründe um einen weiteren führen würde und so der Anwendungsbereich der RL gegenüber dem der GFK ausgedehnt werden würde, was dem Regelungsziel der RL widerspräche (ErwG 24 leg cit). Eine Beweislast im Vollsinn des Wortes besteht aber auch nicht auf Seiten von Antragstellern auf internationalen Schutz. Vielmehr besteht eine Vermutung, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art 9 Abs 2 lit e RL 2011/95/EU näher erläuterten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art 10 leg cit genannten Gründe in Zusammenhang steht. Die Prüfung der Plausibilität dieser Verknüpfung ist Sache der nationalen Behörden und Gerichte.
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Entscheidungsdatum: 19.11.2020
Aufbereitet am: 14.01.2021
2200
Unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht und zehnjähriger Aufenthalt als Ausweisungshindernisse
Leitsätze
I. Im Hinblick auf Art 7 Abs 1 lit a und b der FreizügigkeitsRL sind die Höhe der Vergütung, das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Dienstverhältnisses für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht von Bedeutung. Auch das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle kann ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln. Ausschlaggebend ist hierbei, dass dieses Bemühen nicht objektiv aussichtslos sein darf. II. Hat ein Unionsbürger aufgrund eines fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht erworben, so ist sein weiterer Aufenthalt nicht an die Voraussetzungen des § 51 NAG gebunden. Hat die fremde Person ihren Aufenthalt bereits seit zehn Jahren in Österreich, erweist sich eine Ausweisung gemäß § 66 Abs 3 FPG nur dann als zulässig, wenn der weitere Aufenthalt eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt.
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Entscheidungsdatum: 06.07.2020
Aufbereitet am: 14.01.2021
2199
Strafbarkeit von Kindesentziehungen im Unionsgebiet und Art 21 AEUV
Leitsätze
I. Zwar stehen das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht nach wie vor in der Kompetenz der Mitgliedstaaten, jedoch dürfen nationale Strafnormen keine Diskriminierung von Personen bewirken, die nach Unionsrecht Anspruch auf Gleichbehandlung haben. II. Eine nationale Strafnorm, die den Kreis strafbarer Handlungen für Kindesentziehungen im Ausland (und damit auch in EU-Mitgliedstaaten) weiter zieht als für Kindesentziehungen im Inland, bewirkt eine Beschränkung des in Art 21 AEUV verbrieften, sich aus der Unionsbürgerschaft ergebenden Rechts auf Freizügigkeit von UnionsbürgerInnen. III. Diese Beschränkung kann nicht mit praktischen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von pflegschaftsgerichtlichen Entscheidungen im Ausland gerechtfertigt werden, weil eine solche Argumentation darauf hinausläuft, Mitgliedstaaten mit Drittstaaten gleichzustellen. Für Erstere gibt es aber einen unionsrechtlich determinierten Rechtsrahmen mit der VO (EG) 2201/2003 (Brüssel IIa-VO). Da diese VO vom Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen geprägt ist, scheitert ein solcher Rechtfertigungsversuch, es bleibt bei einer Verletzung des Art 21 AEUV.
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Entscheidungsdatum: 19.11.2020
Aufbereitet am: 13.01.2021
2198
Keine automatische Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder Art 3 EMRK durch eine Abschiebung in den Irak
Leitsätze
I. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist für eine Person, die keiner Risikogruppe zuzuordnen ist, festzuhalten, dass eine Verletzung des Art 3 EMRK (bei einer Abschiebung in den Irak) nicht zu erkennen ist. II. Bei einer seit etwa einem halben Jahr andauernden Beziehung zu einer Person (hier: zu einer österreichischen Staatsbürgerin), kann davon ausgegangen werden, dass keine derart engen persönlichen Bindungen bestehen, die diese Beziehung iSd Art 8 EMRK als schützenswertes Familienleben qualifizieren würden. Enge persönliche Bindungen zeigen sich bspw in der Länge einer Beziehung oder auch in der Geburt von gemeinsamen Kindern. III. Trotz der aktuell schwierigen Situation im Irak kann grds nicht davon ausgegangen werden, dass jede Rückkehr automatisch existenzielle Nöte oder eine Verletzung der in Art 2 bzw Art 3 EMRK geschützten Rechte mit sich bringt. Insb bei Personen irakischer Staatsangehörigkeit, die gesund und erwerbsfähig sind, über eine Ausbildung und Berufserfahrung verfügen und die Hilfe durch im Irak lebende Angehörige in Anspruch nehmen können, kann sich eine Rückkehrentscheidung in den Irak als zulässig erweisen.
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Entscheidungsdatum: 08.06.2020
Aufbereitet am: 12.01.2021
2197
Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist infolge von Flüchtigkeit und allumfassende Refoulement-Prüfung
Leitsätze
I. Wenn ein nach der Dublin III-VO (604/2013) zu überstellender Antragsteller auf internationalen Schutz zum Zeitpunkt der versuchten Überstellung sich nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufhält, ohne den Behörden des überstellenden Mitgliedstaats seine Abwesenheit mitgeteilt zu haben, so dürfen diese davon ausgehen, dass er "flüchtig" iSd Art 29 Abs 2 Satz 2 Dublin III-VO ist. Dies setzt aber voraus, dass der Antragsteller zuvor über die Pflicht zur Mitteilung informiert worden ist. Aber selbst dann steht es dem Antragsteller noch offen, zu beweisen, dass trotz seiner fehlenden Mitteilung keine Fluchtabsicht vorlag. II. Antragsteller können sich auf Art 29 Abs 2 Satz 2 Dublin III-VO berufen und geltend machen, nicht "flüchtig" gewesen zu sein, mit der Rechtsfolge, dass die Überstellungsfrist bereits abgelaufen ist und nicht verlängert werden kann. III. Art 29 Abs 2 Satz 2 Dublin III-VO verlangt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass der ersuchende Mitgliedstaat vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass die betreffende Person flüchtig ist, und zugleich die neue Überstellungsfrist benennt. Ein einvernehmliches Vorgehen mit dem zuständigen Mitgliedstaat ist hingegen nicht geboten. IV. Die Prüfung systemischer oder bestimmte Personengruppen betreffender Schwachstellen im Asylwesen des zuständigen Mitgliedstaats (Art 3 Abs 2 UAbs 2 Dublin III-VO) hat im Lichte des Art 4 GRC so umfassend zu erfolgen, dass auch zu prüfen ist, welche Behandlung der Antragsteller nach Abschluss des Asylverfahrens dort erfährt. V. Der Umstand, dass im zuständigen Mitgliedstaat das soziale Sicherungssystem geringere Standards aufweist als im Mitgliedstaat der Antragstellung, rechtfertigt für sich alleine nicht die Annahme einer dem Art 4 GRC widerstreitenden Behandlung.
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Entscheidungsdatum: 19.03.2019
Aufbereitet am: 11.01.2021
2196
Aufenthaltsehe nach § 30 NAG vs § 117 FPG
Leitsätze
I. IZm Strafverfahren wegen des Vergehens einer Aufenthaltsehe kommt die Bindungswirkung verurteilender strafgerichtlicher Entscheidungen im Fall einer freisprechenden Entscheidung nicht zum Tragen; diesfalls hat die zuständige Behörde (bzw das LVwG) eine eigenständige Beurteilung vorzunehmen, was ein mängelfreies Ermittlungsverfahren und eine vollständige Beweiserhebung voraussetzt. II. Während der Straftatbestand des § 117 Abs 1 FPG darauf abstellt, dass der österreichische Ehepartner "weiß oder wissen musste", dass sich der Fremde etwa für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen will, kommt es für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 30 Abs 1 NAG auf dieses Wissen oder Wissenmüssen und somit auf die Beweggründe des österreichischen Ehepartners nicht an, sondern ausschließlich auf die Absichten des Fremden. Die zu beurteilenden Sachverhaltselemente unterscheiden sich somit erheblich. III. Bei der Abweisung eines Antrags auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels handelt es sich nicht um eine Bestrafung, weswegen das Doppelbestrafungsverbot ("ne bis in idem") gemäß Art 4 Z 1 7. ZPMRK nicht relevant ist.
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Entscheidungsdatum: 03.09.2020
Aufbereitet am: 08.01.2021