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Bestimmung der Zuständigkeit im Dublin-System bei mehreren Wiederaufnahmeverfahren
LEITSATZ DES GERICHTS: I. In Konstellationen, in denen ein Antragsteller nach Antragstellung im ersten Mitgliedstaat in einen zweiten Mitgliedstaat weiterreist, dieser ein Wiederaufnahmeersuchen gegenüber dem ersten anstrengt, welchem zugestimmt wird, woraufhin der Antragsteller in einen dritten Mitgliedstaat weiterreist, der ebenso ein erfolgreiches Wiederaufnahmeersuchen gegenüber dem ersten einleitet, ist bei der Bestimmung der Zuständigkeit folgendermaßen zu verfahren: Sobald die Überstellungsfrist für den zweiten Mitgliedstaat abgelaufen ist, tritt die Rechtsfolge des Art 29 Abs 2 Dublin III-VO ein und es kommt zum Zuständigkeitsübergang auf diesen Mitgliedstaat, ungeachtet des Ergebnisses im Verfahren zwischen drittem und erstem Mitgliedstaat. II. Dem dritten Mitgliedstaat ist in den beschriebenen Konstellationen die Überstellung von Antragstellern in den ersten verwehrt. Wohl aber kann er unter Wahrung der Frist des Art 23 Abs 2 Dublin III-VO ein Wiederaufnahmegesuch an den zuständig gewordenen zweiten Mitgliedstaat stellen. III. Etwas anderes gilt nur, wenn es bereits vor dem Zeitpunkt des Ablaufes der Überstellungsfrist, die dem zweiten Mitgliedstaat zur Verfügung steht, zu einem Zuständigkeitsübergang auf den dritten gemäß Art 23 Abs 2 Dublin III-VO kommt, weil er es verabsäumt hat, seinerseits innerhalb von zwei Monaten ein Wiederaufnahmegesuch zu stellen. IV. Antragstellern muss gemäß Art 47 GRC iVm Art 27 Dublin III-VO im Mitgliedstaat der dritten Antragstellung ein gerichtlicher Rechtsbehelf offen stehen, in dessen Rahmen sie einen Zuständigkeitsübergang auf den Mitgliedstaat der zweiten Antragstellung vorbringen können. Ein Mitgliedstaat muss, wenn er in seinem nationalen Recht das Neuerungsverbot vorsieht, dieses Vorbringen nicht im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung zulassen. Stattdessen kann er dafür auch einen eigenen effektiven Rechtsbehelf zur Verfügung stellen.
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Beharren auf zivilrechtlichen Ansprüchen als asylrelevante "politische Überzeugung"?
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Der Begriff der "politischen Überzeugung" (im Alternativtatbestand des Art 10 Abs 1 lit e RL 2011/95/EU anerkannter Verfolgungsgrund) ist im Lichte der Meinungsfreiheit (Art 11 GRC) weit auszulegen. II. Erfasst sind iSd Rechtsanschauung des UNHCR alle Meinungen zu jeder Angelegenheit, auf die der Staatsapparat, die Regierung, die Gesellschaft oder die Politik Einfluss nehmen können. III. Auch bei befürchteten Repressalien infolge des Versuchs der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche (wie jeder Rechtsdurchsetzung) gegen wen auch immer, die von den verfolgenden Akteuren als Widerstand aufgefasst wird, liegt eine Verfolgung wegen einer "politischen Überzeugung" vor. IV. Bei der Frage, ob eine politische Überzeugung vorliegt, die die Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen kann, dem Antragsteller zuschreiben können, ist auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat zu berücksichtigen und oft nur eine Plausibilitätsprüfung durchführbar.
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Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie?
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Nach der Rsp des EuGH müssen die Mitglieder der sozialen Gruppe "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann", gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, "die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten". II. Zudem muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
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Unzulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde gegen eine "bevorstehende" Abschiebung
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Bei einer Maßnahmenbeschwerde hat die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung entweder noch anzudauern oder sie muss bereits vor der Beschwerdeerhebung stattgefunden haben. Dies erschließt sich implizit bereits aus § 7 Abs 4 Z 3 VwGVG, weshalb eine Maßnahmenbeschwerde, welche die Abschiebung zum Gegenstand hat, noch nicht erhoben werden kann, wenn sich die von der Befehls- und Zwangsgewalt betroffene Person – vor dem Stattfinden der Abschiebung – bloß in Verwaltungsverwahrungshaft befindet. II. Wird die Prüfung einer "bevorstehenden" Abschiebung (dh im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ist noch gar keine Abschiebung erfolgt) mittels Maßnahmenbeschwerde begehrt, so liegen die Voraussetzungen für die Beschwerdeerhebung nicht vor, weshalb eine allfällige Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist. III. Zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten darf nach vollzogener Festnahme keine gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrags erfolgen. Bei der Überprüfung der Festnahme ist allerdings auch zu beurteilen, ob diese Festnahme rechtswidrig war, weil der Festnahmeauftrag nicht hätte ergehen dürfen oder weil dieser jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre.
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Zur Beurteilung einer (potenziellen) ordre public-Widrigkeit von Kinderehen
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Es ist verfehlt, etwa allein aufgrund des Alters im Zeitpunkt der Eheschließung (hier: 14 Jahre alte Ehefrau), von vornherein eine ordre public-widrige Ehe anzunehmen. Vielmehr sind zuerst Ermittlungen zu den maßgeblichen Bestimmungen des jeweiligen (hier: syrischen) Eherechts vorzunehmen, um die Rechtsgültigkeit der Ehe festzustellen. II. Handelt es sich um eine rechtsgültig zustande gekommene Ehe (hier: nach dem syrischen Eherecht), so ist in der Folge unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rsp eine allfällige ordre public-Widrigkeit der Ehe zu klären. III. Bei der Beurteilung, ob eine gegen den ordre public-Grundsatz verstoßende Kinderehe vorliegt, ist zu prüfen, ob die Entscheidung über die Eheschließung ohne Einschränkung der Willensfreiheit erfolgte. Maßgeblich ist hierbei, dass die Ehe selbstbestimmt und ohne Zwang eingegangen wurde und die Heirat mit keinen Bedingungen verknüpft war. Auch die Wahrung des Kindeswohls, der Persönlichkeitsrechte von minderjährigen Personen und der Schutz vor Ausbeutung und unzulässigen Verpflichtungen müssen in der Beurteilung beachtet werden.
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