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Asylrelevanz willkürlicher Strafverfolgung, kein Familienverfahren bei "Heirat" in Russland nach muslimischem Ritus
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Russische Behörden unterstellen schnell extremistisch (vor allem islamistisch oder rechtsextremistisch) motivierte Straftaten. Zwar ist nicht jede russische Strafverfolgung asylrelevant, allerdings dann, wenn die Behörden des Herkunftsstaates willkürlich erscheinende Verfolgungshandlungen wegen einer (unterstellten) politischen Gesinnung setzen (§ 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK). Eine große Rolle spielt auch, dass in der Russischen Föderation für solcherart exponierte Beschuldigte kein faires Verfahren zur Verfügung steht, zumal dieser Staat infolge seines Ausscheidens aus der EMRK nicht mehr vor dem EGMR belangt werden kann. II. Bei Bundesstaaten kommt es für die Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG) bei der Verfolgung durch staatliche Organe auch darauf an, ob diese Verfolgung landesweit stattfindet oder womöglich nur im örtlichen Wirkungsbereich gliedstaatlicher Entitäten. III. Im Falle russischer Staatsangehöriger gilt für die Frage der Familienangehörigeneigenschaft (vgl § 2 Abs 1 Z 22 AsylG) als Ehegatte/Ehegattin der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe. Daher können nur nach islamischem Ritus getraute Partner nicht in den Genuss des Familienverfahrens (§ 34 AsylG) kommen. Gerade, wenn auch im Bundesgebiet aufhältige Kinder betroffen sind, wird aber in aller Regel auch für solche Partner das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet (Art 8 EMRK iVm § 9 BFA-VG) überwiegen.
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Verkürzte Beschwerdefrist gemäß § 16 Abs 1 BFA-VG nach "beschleunigtem" Aberkennungsverfahren iSd § 7 Abs 2 AsylG
LEITSATZ DES GERICHTS: I. § 7 Abs 2 AsylG über die Durchführung von beschleunigten Aberkennungsverfahren bestimmt in seinem zweiten Satz, dass das BFA innerhalb eines Monats ab Verständigung von der strafgerichtlichen Verurteilung seinen Bescheid zu erlassen hat. § 16 Abs 1 BFA-VG gewährt für den Status des Asylberechtigten aberkennende Bescheide auf der Grundlage des § 7 Abs 2 AsylG bei Hinzukommen weiterer Voraussetzungen in Abweichung von § 7 Abs 4 erster Satz VwGVG eine verkürzte Frist von nur zwei Wochen. II. Auch wenn das BFA die genannte einmonatige Frist nicht eingehalten hat, im Vergleich zur durchschnittlichen Verfahrensdauer jedoch rascher entschieden und laufend Ermittlungsschritte gesetzt hat, ist dennoch von einem beschleunigten Verfahren iSd § 7 Abs 2 AsylG auszugehen. Ein auf Aberkennung lautender Bescheid nach diesem Verfahren unterliegt daher der nur zweiwöchigen Beschwerdefrist iSd § 16 Abs 1 BFA-VG. III. Die Strenge des Kriteriums eines vom BFA geführten "beschleunigten Verfahrens" (oben Punkt II) stellt eine revisible Grundsatzfrage dar (Art 133 Abs 4 B-VG).
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Abermals zur "verfrühten" Ausreise aus der Ukraine Anfang 2022
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Ausschlaggebend für die Eigenschaft als Aufenthaltsberechtigter ist ein am 24.2.2022 (Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine) noch bestehender Wohnsitz in der Ukraine (§ 1 Z 1 Vertriebenen-VO). Ein "nicht lange" zuvor erfolgtes Verlassen des Landes, etwa zu Urlaubszwecken, wobei auf Grund des Kriegsausbruchs nicht mehr zurückgekehrt wurde, ist daher für die Vertriebeneneigenschaft (Ipso-facto-Aufenthaltsberechtigung) unerheblich. II. Überlegungen, ob auch ein Schutz in einem anderen Staat offen gestanden wäre, sind bei ukrainischen Staatsangehörigen, die unter die Vertriebenen-VO fallen, nicht anzustellen. III. Da das Ipso-facto-Aufenthaltsrecht der Ukrainer kraft Vertriebenen-VO besteht, ist auf ein verfehltes bescheidmäßiges Absprechen dieses Rechts mit ersatzloser Behebung des Bescheids zu reagieren.
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Klaglosstellung des Amtsrevisionswerbers infolge Gegenstandslosigkeit der angefochtenen Verfahrensaussetzung
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Nach stRsp des VwGH ist bei einer Revision gemäß Art 133 Abs 1 Z 1 B-VG unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs 1 VwGG nicht nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim VwGH angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eingetreten ist. Vielmehr liegt ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) insb auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung hat und somit materiell klaglos gestellt wurde. Diese Judikatur gilt auch für Fälle einer Amtsrevision. II. Durch die Aussetzung des Verfahrens wird bis zur Entscheidung, deren Ausgang abgewartet werden soll, die Entscheidungspflicht der Behörde bzw des Gerichts suspendiert. Eine solche Aussetzungsentscheidung verliert ihre Rechtswirksamkeit jedenfalls mit dem Eintritt des Zeitpunkts, bis zu dem die Aussetzung verfügt worden ist. Nach Wegfall der Aussetzungswirkungen ist das Verfahren von der Behörde daher fortzusetzen. III. Kommt dem angefochtenen Aussetzungsbeschluss keine Rechtswirkung mehr zu, weil der Aussetzungsgrund weggefallen ist, hätte eine diesbezügliche Entscheidung bloß theoretische Bedeutung. Ein rechtliches Interesse des Revisionswerbers an einer meritorischen Erledigung ist nicht mehr gegeben.
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Zur Aufenthaltstitelerteilung iSd § 27 Abs 1 NAG bei geschiedener (Aufenthalts-)Ehe
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Wenn der - zuletzt über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs 1 Z 2 NAG verfügende - Revisionswerber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG die Voraussetzungen für den "Familiennachzug" nicht mehr erfüllt, weil seine dem Aufenthaltstitel zugrunde liegende Ehe zuvor geschieden worden ist, er folglich die Eigenschaft als Familienangehöriger iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG nicht mehr aufweist und daher die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung nicht erfüllt, steht ihm gemäß § 27 Abs 1 NAG jedoch auch in einem solchen Fall ein verselbstständigtes Aufenthaltsrecht zu, sofern kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 NAG vorliegt und die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 2 NAG erfüllt sind. II. Der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 4 NAG kann - schon nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung - nur während des aufrechten Bestehens einer Aufenthaltsehe herangezogen werden. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG an. Liegt in diesem Zeitpunkt keine Aufenthaltsehe (mehr) vor - etwa weil die Ehe inzwischen geschieden wurde - so ist der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 4 NAG nicht mehr heranzuziehen. III. Nach stRsp des VwGH ist unter dem im Verwaltungsverfahren zu beachtenden "Überraschungsverbot" zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung keine Sachverhaltselemente einbeziehen darf, die der Partei nicht bekannt waren. Der VwGH hat dazu bereits klargestellt, dass die zum "Überraschungsverbot" entwickelten Grundsätze auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren maßgeblich sind, weil in diesem auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs 3 AVG zu beachten sind.
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